EDITORIAL
Eine seltsame Frage zuerst: Kennen Sie Ihre Gene? Meine kenne ich (noch) nicht. Von «Genforschern» nehme ich aber zur Kenntnis, dass ich mit Ihnen genetisch gesehen zu 99.9 Prozent identisch bin. Das Gemeinsame scheint uns als Homo sapiens zu verbinden. Nur in einem einzigen von tausend Bausteinen innerhalb der Erbsubstanz, der berühmten Säure aus dem Zellkern mit der Kurzbezeichnung DNA, unterscheiden wir uns. Die Abweichung scheint minimal zu sein, ist es aber nicht. Von den insgesamt drei Milliarden Basenpaaren unseres Genoms, der Gesamtheit unserer Gene, machen drei Millionen Gensequenzen unsere physische Individualität aus. Das sieht für Individualisten schon besser aus. Vom Schimpansen, unserem genetisch nächsten Verwandten unter den Primaten, heben wir uns schon in dreissig Millionen Gensequenzen ab. Aber zu 99 Prozent gleichen wir auch ihm. Gemeinsamkeiten, Unterschiede. Diese interessieren nicht nur direkt beteiligte «Genforscher», auch Anthropologen und Historiker. Denn Gene lassen Schlüsseüber die Herkunft zu. Zum Beispiel: Woher stammt die Menschheit? Von einem einzigen Kontinent? Oder ist sie parallel auf verschiedenen Kontinenten entstanden? Die Anschauung, dass die Menschheit aus einem gemeinsamen Urahn in Afrika hervorgegangen ist, belegen jüngst publizierte, internationale Studien eines Genabschnitts auf dem Chromosom 12: Dieser variiert nur bei afrikanischen Völkern, bei allen anderen ist er gleich. Schon in Nordostafrika nimmt die Genvielfalt ab, auf den anderen Kontinenten herrscht nurmehr eine Variante vor. Das spreche, meinen Genetiker, für die «Out of Africa» Theorie. Selbst innerhalb Schweizer Volksgruppen lassen sich anhand von Genabschnitten Gemeinsamkeiten und Unterschiede nachweisen.
Herkunft, Zukunft. Mehr noch als die Herkunft interessiert viele die Zukunft, vor allem die persönliche, gesundheitheitliche. Weisen meine Gene Abweichungen, gar Defekte auf? Sind daraus absehbare, genetisch bedingte Krankheiten möglich? Erwartungen knüpfen sich an das 1989 ins Leben gerufene «Human-Genome»-Projekt, HUGO. Dabei will man das ganze menschliche Erbgut, das Genom, entschlüsseln. Ausgewählte Modellorganismen wie Hefen, Würmer und Taufliegen sind zusätzlich in das Projekt einbezogen worden. Die Wissenschafter hoffen, Geheimnissen der Evolution und der Vererbung auf die Spur zu kommen: Kenntnisse der molekularen biologischen Vorgänge sollen helfen, vererbte und erworbene Genkrankheiten einmal zu heilen. Mittlerweile sind mehr als 500 krankheitsverursachende Gene bekannt. Aber erst etwa zwei Prozent des menschlichen Genoms ist aufgeklärt. Anders bei der Hefe. Ihr Genom ist zu 99 Prozent bekannt. Die Genomanalyse beim Menschen geht weiter, schneller als je zuvor. Auch die Anwendung der Erkenntnisse und letztlich deren Vermarktung.
Gentechnik. Sie gibt es seit Anfang der 70er Jahre. Dank gentechnischen Methoden lassen sich Medikamente, beispielsweise Hormone oder Interferone, herstellen; dank ihnen lässt sich aber auch gezielter zum Beispiel mit gentechnisch veränderten Tieren nach Ursachen von Krankheiten forschen. In der medizinischen Praxis lassen sich diese Methoden in der Diagnostik, Gentherapie, Prävention und in der Forschung anwenden. Manches gehört heute schon zur Routine des medizinischen Alltags. Diese Forschungsaktivitäten bilden an der hiesigen Universität, wie vorliegendes Magazin demonstriert, ein weites Feld: «Molekulare Medizin/Somatische Gentherapie/Tumorforschung» sind gemeinsam mit den Projektbereichen «Molekulare Erkennung», «Zell- und Molekularbiologie» sowie «Molekulare Veterinärmedizin» als interfakultärer Schwerpunkt vorgesehen.
Gentherapie. Ein noch junger Zweig der Gentechnik ist die Gentherapie. Mit der Behandlung des Mädchens Ashanti erreichte sie 1990 in den USA ihren ersten Höhepunkt und Anfang: Ashanti, mit einer seltenen, vererbten Immunschwäche geboren, konnte dank dem Einbau des ADA-Gens geholfen werden. Ashanti geht es deutlich besser. Die Gentherapie ist ein noch offenes, vielversprechendes Feld. Das illustrieren die aktuellen und geplanten Gentherapieprojekte am Universitäts- und Kinderspital. Durch Übertragung von menschlichen Spendergenen in Körperzellen des Patienten versucht man, genetisch bedingte Krankheiten zu heilen oder günstig zu beeinflussen.
Gentechnische Erkenntnisse und Anwendungen lassen in naher Zukunft nachhaltige gesellschaftliche Auswirkungen erwarten. Weltweit, auch in der Schweiz, finden gegenwärtig Diskussionenüber Gesetze und Verordnungen statt. Mit klaren Richtlinien und sinnvollen Gesetzen gilt es Missbräuche zu verhindern ohne aber den Einsatz und die Weiterentwicklung der Gentechnik und der Gentherapie auf Kosten etwa der Kranken unnötig einzuschränken oder gar zu verunmöglichen.
Heini Ringger (ringger@zuv.unizh.ch)
uni
pressedienst Pressestelle der Universität Zürich
Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
http://www.unizh.ch/upd/magazin/1-96/editorial.html
Last update: 1-APR-96