VON WALTER SCHAFFNER
Hefen sind einzellige Mikroorganismen, welche zur Brot- und Bierherstellung verwendet werden und sich im Labor rasch und bequem wie Bakterien züchten lassen. Im Gegensatz zu Bakterien besitzen Hefen aber einen Zellkern und sind damit Mensch und Tier recht nah verwandt. Diese Eigenschaft wurde in spektakulären Experimenten demonstriert, bei welchen ein defektes Gen in der Hefe durch Verabreichung des entsprechenden menschlichen Gens korrigiert werden konnte. Seither sind gentechnisch veränderte Hefestämme aus dem Repertoire der Säugetier-Zellforschung, sogar der Krebsforschung, nicht mehr wegzudenken.
Kein Zweifel, sie sind unsere Verwandten. Hefen sind nämlich Eukaryoten, das heisst Lebewesen mit einem Zellkern, und stehen damit dem Menschen viel näher als etwa den Bakterien. Zugegeben, Pferde, Delphine, Fische, selbst Seeigel und Regenwürmer sind uns biologisch noch näher verwandt als die Hefen, diese haben aber für Experimente einen riesigen Vorteil: Sie gehören zu den wenigen Eukaryoten, die sich in Kulturschalen wie Bakterien vermehren lassen (all die vielen Bakterien, welche die Erde bevölkern, sind Prokaryoten ohne Zellkern, Einzeller welche sich seit vier Milliarden Jahren getrennt von den Eukaryoten entwickelt haben). Was ist nun das Besondere an Eukaryoten, am Zellkern? Im Kern sind die Chromosomen als Träger des Erbmaterials fein säuberlich vom hektischen Stoffwechsel des Zytoplasmas abgeschirmt. Diese «Erfindung» des Zellkerns hat wohl die Ansammlung von immer mehr Erbfaktoren (Genen) auf immer mehr Chromosomen erlaubt und letztlich die Entwicklung zu mehrzelligen, komplexen Organismen ermöglicht. Im Gegensatz zu den etwa 80000 Genen des Menschen kommt die einzellige Hefe mit etwa 6500 Genen aus. Zwar hinkt jeder Vergleich, aber ich versuche es dennoch: Die Hefezelle kann mit einer kleinen Einsiedlerhütte verglichen werden, wo die komplette Grundausstattung, nämlich ein Tisch, ein Stuhl, ein Bett usw., vorhanden ist. Eine einzelne menschliche Zelle entspräche hingegen einer Villa, in der jeder Gegenstand vielfach in abgewandelter Form vorhanden ist, zum Beispiel als Ess-, Lese-, Raucher-, Küchen-, Wickel- und Boudoirtisch (daneben gibt es etliches, was in der Einsiedlerhütte gänzlich fehlt).
Die Hefe ist ein Traumorganismus für Genetiker; in ihr lassen sich einzelne Gene leicht verändern oder ganz ausschalten. Eine solcherart mutierte Hefezelle, welche zum Beispiel einen bestimmten Schritt des Zellzyklus nicht mehr ausführen kann, bleibt mitten in der Zellteilung stecken und geht ein es sei denn, es werde ihr ein Gen verabreicht, welches in den Zellkern aufgenommen wird und an Stelle des defekten Gens den notwendigen Schritt wieder programmieren kann. Viele biologische Prozesse sind von der Hefe bis zum Menschen unverändert beibehalten («konserviert») worden. So sehr konserviert, dass vor einigen Jahren eine Reihe von sensationellen Experimenten möglich wurde: Man hat u. a. einer nicht lebensfähigen, mutierten Hefe mit einem Zellzyklus-Defekt das entsprechende menschliche Gen (umgebaut als cDNA) offeriert. Dies schien denn doch des Guten zuviel, denn immerhin haben sich Hefe und Mensch auch schon seit einer Milliarde Jahren getrennt entwickelt. Doch siehe da, die Hefe akzeptierte den ihr offerierten menschlichen Ersatz undüberlebte, wenn auch nicht ganz so perfekt wie mit dem eigenen funktionellen Gen!
Angespornt durch solche Erfolge hat man weitere frappante Übereinstimmungen in Aufbau und Funktion der Zelle zwischen Mensch und Hefe gefunden. Mit Hilfe geistreicher experimenteller Konzepte ist es auch gelungen, selbst Funktionen auf die Hefe zuübertragen und dort zu studieren, welche in der Hefe gar nicht vorkommen. Zum Beispiel bekommt Hefe keinen Krebs (dies ist eine typische Krankheit höherentwickelter mehrzelliger Organismen, darunter auch Schlangen, Fische und Vögel). Es ist aber gelungen, einzelne Schritte einer Krebserkrankung in der Hefe zu reproduzieren, und zwar gleich so, dass die Hefe von diesem Teilschritt (einer Protein-Protein-Wechselwirkung) abhängt. Man kann zum Beispiel erreichen, dass sich die Hefe beim Vorhandensein eines bestimmten menschlichen Proteins blau anfärbt oder ohne dieses Protein gar nichtüberlebt. Natürlich lassen sich längst nicht alle Aspekte einer Krebserkrankung in der Hefe studieren; ein menschliches krebsauslösendes Gen lässt sich in der Hefe, in der Taufliege, in Säugetier-Zellkultur, in der Maus mit zunehmender Annäherung an die Realität, aber auch mit steigendem Aufwand studieren (damit soll auch gesagt sein, dass man ohne Tierversuche nicht auskommt). Bezüglich Einfachheit der Handhabung schlägt die Hefe alle anderen Organismen bei weitem; dabei ist das Zwei-Hybrid-System, welches vor sieben Jahren von den beiden Forschern Stanley Fields und Ok-Kyu Song entwickelt worden ist, besonders nützlich (es würde zu weit führen, dieses System hier zu erklären). Mit einer Abwandlung dieses experimentellen Ansatzes haben wir in unserem Labor Hefezellen so verändert, dass sie nurüberlebten (und sich blau anfärben liessen) mit einem Gen aus menschlichen Zellen, welches normalerweise die Immunfunktion der B-Lymphozyten kontrolliert. Dies, obwohl die Hefe gar kein eigenes Immunsystem besitzt! Nach dem Studium des Gens in der Hefe haben wir es herausgenommen und zu weiteren Tests wieder in menschliche Zellen in Nährlösungskultur eingeführt. Die Erkenntnisse aus der Hefe wurden auf diese Weise bestätigt und weiter vertieft. Dank einer Vielzahl solcher Experimente ist die Hefe, so erstaunlich das klingen mag, weltweit zum unentbehrlichen Werkzeug der Säugetier-Zellbiologie und damit auch der Medizin geworden.
Es wäre aber ungerecht, die Hefe als blosses Werkzeug zu sehen. Sie ist hochinteressant auch für sich allein, als einfache Repräsentantin einer eukaryotischen Zelle, in Hunderten von Millionen Jahren laufend perfektioniert. Man wird bei der Hefezelle wie gesagt einiges vermissen, was zur normalen Ausstattung einer jeden menschlichen Zelle gehört. Dieses Manko hat aber auch seine Vorteile: Das meiste, was in der Hefe vorhanden ist, ist zum Überleben einer eukaryotischen Zelle wirklich unabdingbar; keine «Luxusgegenstände» lenken vom Wesentlichen ab. Man ist noch sehr weit davon entfernt, die Hefezelle in ihren Einzelheiten zu verstehen. Dennoch ist man ihrem Verständnis schon näher als dem ihrer höherentwickelten Verwandten.
Der Entdecker der Struktur der Erbsubstanz (DNA), James D. Watson, hat vor einigen Jahren das «Human Genome»-Projekt mitlanciert, in dessen Rahmen die gesamte Erbinformation des Menschen entschlüsselt werden soll. (Der Zürcher Molekularbiologe Charles Weissmann hat 1980 wohl als erster dieses gigantische Projekt zur Diskussion gestellt.) Watson hat dabei die Hefe nicht vergessen. (In seinem programmatischen Buch «Molecular Biology of the Gene» hatte er seinerzeit Hefen und Schleimpilze als unsere Verwandten angesprochen, die es jetzt mit Nachdruck zu erforschen gälte. Bis dahin hatten sich eigentlich nur Mikrobiologen für die Hefe interessiert.) Im Rahmen von weltweit koordinierten «Genom-Forschungsprogrammen» wird, quasi nebenbei, auch noch das Erbgut von zwei unterschiedlichen Hefe-Spezies (Saccharomyces cerevisiae und Schizosaccharomyces pombe), eines Fadenwurms (Caenorhabditis elegans), der Taufliege (Drosophila melanogaster), eines Kreuzblütlers (Arabidopsis thaliana) und der Hausmaus (Mus musculus) entschlüsselt. Währenddem erst etwa ein Prozent der gesamten menschlichen Erbinformation aufgeklärt ist, sind es bei der viel kleineren Hefe bereits 99 Prozent. Wenn man also das Leben einer eukaryotischen Zelle einmal ganz verstehen wird, dann zuerst dasjenige der Hefe.
Die Hefe als Hilfsmittel der Humangenetik
A. Menschliche Zellen, Hefe und Bakterien im Grössenvergleich. Die menschlichen Zellen formieren sich zu grossen organisierten Zellverbänden, aus denen die diversen Organe aufgebaut sind.
B. Gen-Komplementation in der Hefe. Die bekannteste Hefe, die Bäcker- oder Bierhefe, vermehrt sich durch Knospung. Eine Hefezelle mit einem bestimmten Gen-Defekt (Zyklin-Mutante) ist im Wachstum blockiert, d. h. kann nicht mehr knospen. Der Defekt lässt sich jedoch durch den Einbau eines menschlichen Zyklin-Gens beheben («komplementieren»). Diese und andere Experimente zeigen, dass viele der grundlegenden zellulären Prozesse in der Hefe gleich wie im Menschen ablaufen.
C. Isolierung eines gesuchten menschlichen Gens in der Hefe. Ein Hefestamm wird gentechnisch so verändert, dass die Gegenwart eines gesuchten, noch nicht isolierten menschlichen Gens durch eine Farbreaktion angezeigt wird. Dann werden etwa 100000 Hefezellen mit je einem menschlichen Gen versehen (cDNA Expressions-Bibliothek) und auf Agar-Petrischalen ausgestrichen. Diejenige Hefezelle, welche das gesuchte menschliche Gen erfolgreich aufgenommen hat, bildet eine blaue Kolonie. Jetzt ist es ein leichtes, dieses Gen aus der Hefekolonie zu isolieren und genau zu untersuchen. Mit Hilfe spezieller Hefestämme sind schon Dutzende von medizinisch wichtigen menschlichen Genen identifiziert worden, die sich zuvor einer herkömmlichen Isolierung entzogen hatten.
D. Rückführung in menschliche Zellen. Das gefundene menschliche Gen (zum Beispiel ein krebsauslösendes Gen oder ein Gen des Immunsystems) wird wieder in menschliche Zellen in Kultur zurückgeführt. Dort kann das Verständnis seiner Funktion durch weitere Experimente vertieft werden.
Dr. Walter Schaffner ist ordentlicher Professor am Institut für Molekularbiologie der Universität Zürich.
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pressedienst Pressestelle der Universität Zürich
Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
http://www.unizh.ch/upd/magazin/1-96/hefe.html
Last update: 1-APR-96