Magazin der Universit?t Z?rich Nr. 1/96

Transgene und Gen-Knock-out Tiere

VON HANS HENGARTNER UND ROLF M. ZINKERNAGEL

Tiermodelle wie die transgene Diabetes-Maus und die Perforingen-Knock-out-Maus sind Beispiele, wie mit genetisch veränderten Tieren komplexe immunologische Prozesse aufgeklärt werden können. Man hofft, mit diesen Erkenntnissen einen Beitrag zur verbesserten Behandlung von Autoimmunerkrankungen und von Virusinfektionen leisten zu können.

Das Immunsystem erkennt und reagiert gegen Fremdkörper wie Bakterien, Viren und Pilze. Gegen körpereigene Strukturen ist es hingegen tolerant. Bei Autoimmmunerkrankungen wie Diabetes, Multiple Sklerose u. a. kommt es zur Abweichung gegen dieses Prinzip. Etwa zwei Prozent der europäischen Bevölkerung leiden unter Zuckerkrankheit (Diabetes). Diese tritt hauptsächlich in zwei Formen auf: als Typ-I-Diabetes des Jugendlichen zwischen 12 und 24 Jahren und als Typ-II-Diabetes des älteren Menschen ab 40 bis 50 Jahren. Der Jugenddiabetes ist das Resultat einer fehlgeleiteten Immunabwehr gegen die körpereigenen Zellen. Die Insulin produzierenden Beta-Zellen, eine Zellpopulation der charakteristischen Inseln im Gewebe der Bauchspeicheldrüse, werden dadurch gezielt zerstört. Der Auslösungsfaktor dieser Krankheit sowie auch der Verlauf, die daran beteiligten Zellen und die für die Zellzerstörung verantwortlichen molekularen Mechanismen sind nicht bekannt. Es ist aber gesichert, dass bestimmte vererbbare Formen immunologisch wichtiger Zellmembranproteine eine Prädisposition für Diabetes-Typ-I darstellen. Beim Menschen sind aus offensichtlichen Gründen neben der statistischen Erfassung von analytischen und epidemiologischen Daten zu dieser Krankheit keine direkten analytischen Experimente möglich.

In der wissenschaftlichen Medizin werden aus diesem Grund Experimente zur Aufklärung oder Therapie von bestimmten Krankheiten mit genetisch identischen Tieren durchgeführt. Neue Methoden, die erlauben, Inzuchtmäuse genetisch gezielt zu verändern, ermöglichen, experimentelle Tiermodelle zu entwickeln, die einem bestimmten Krankheitsbild, zum Beispiel dem Diabetes-Typ-I entsprechen. Früher wurden Tiere gezielt so gezüchtet, dass sich natürlich und zufällig eine molekularbiologisch komplexe Mutation entwickelte, die einem bestimmten Krankheitsbild entsprach.

Diagramm Transgene Diabetes-Maus>

Maus mit zusätzlichem Gen

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftern der Firma Sandoz in Basel entwickelten wir Mäuse, denen wir ein zusätzliches Gen in ihr Erbgut einbauten, das für ein Eiweiss, das Glykoprotein des Hirnhautentzündungsvirus (LCMV), verantwortlich ist. Diesem Gen wurde ein molekulares Steuerungselement, der Promotor des Insulingens aus der Ratte, beigefügt. Dadurch wurde erreicht, dass dieses virale Eiweiss ausschliesslich in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse produziert wurde. Diese transgenen Mäuse sind gesund und entwickeln spontan keinen Diabetes. Infiziert man sie aber mit dem Hirnhautentzündungsvirus, so zerstören die aktivierten Killerzellen der Immunabwehr nicht nur die virusbefallenen Zellen, sondern auch die genetisch veränderten Beta-Zellen des Pankreas: Die Mäuse entwickeln in wenigen Tagen einen Typ-I-Diabetes. Mit diesem Tiermodell konnten die Zellen analysiert werden, die an dieser Zellzerstörung beteiligt waren. Ferner werden die gesunden transgenen Tiere in einer Art Desensibilisierungstherapie vor der Virusinfektion mit Eiweissfragmenten des transgenen Viruseiweisses behandelt; dadurch wurden die potentiell eiweissspezifischen Killerzellen durch Überaktivierung eliminiert. Diese Behandlung konnte einen Diabetes durch LCM-Virus-Infektion verhindern.

Behandlungsstrategien entwickeln

Es wurde verschiedentlich berichtet, dass auch beim Menschen dem Ausbruch eines Diabetes-mellitus-Typ-I eine grippeartige Virusinfektion oder extreme Stressperioden vorausgegangen waren. Dieses Virus konnte allerdings noch nicht oder nur sehr selten (z. B. Coxackie-Virus) identifiziert werden. Die Entwicklung von Behandlungsstrategien zur Verhinderung von killerzellvermittelter Zellzerstörung mit transgenen Tieren nach Virusinfektion hat deshalb in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Die aktivierte Killerzelle besitzt die Fähigkeit, während der Immunabwehr beim Kontakt mit der virusinfizierten Gewebezelleüber ein Rezeptormolekül ein Eiweiss, Perforin genannt, auszuschütten. Perforin wird in die Membran der virusinfizierten Zelle porenförmig eingebaut und führt zum Absterben der Zelle. Bei diesem Zellkontakt werden aber auch Eiweisse, Interleukine und Interferon freigesetzt. Das sind hormonähnliche Stoffe mit Aktivitäten als Zellwachstumsfaktor, Virushemmstoff oder Lockstoff für Entzündungszellen.

Wir stellten uns die Frage, ob die Ausschüttung des porenbildenden Eiweisses oder die Interleukine und Interferone nach der Einwanderung der Killerzellen in die Bauchspeicheldrüse die Zerstörung der Insulin produzierenden Zellen verursacht und so verantwortlich für die Auslösung der Zuckerkrankheit bei der transgenen Diabetes-Maus ist.

Wiederum in Zusammenarbeit mit Wissenschaftern der Firma Sandoz in Basel veränderten wir in einer Maus gezielt das Gen für Perforin so, dass die Killerzellen kein porenformendes Eiweiss mehr produzieren konnten. Diese Maus bezeichnen wir als Perforin-o/o-Maus. Durch Kreuzung beider genetisch veränderten Mäuse liess sich nun eine Diabetes-Maus züchten, die nach Virusinfektion Killerzellen entwickelte, die kein porenformendes Eiweiss auszuschütten vermochten. Obwohl in diesen Tieren nach Virusinfektion perforinlose Killerzellen in die Bauchspeicheldrüse eingewandert waren, blieben die Insulin produzierenden Zellen intakt, und es entwickelte sich kein Diabetes. Den Killerzellen fehlte offensichtlich der zellzerstörende Faktor, der für die Auslösung des Diabetes die entscheidende Rolle spielte.

Diagramm Transgenes Mausmodell für Diabetes mellitus Typ I: Rolle des Perforin

Kontrolle von Infektionen

Weitere Experimente mit diesen genetisch veränderten Mäusen, deren aktivierte Killerzellen kein porenformendes Eiweiss mehr ausschütten können, zeigten ein unterschiedliches Verhalten nach Infektion mit verschiedenen Virustypen. Die Kontrolle von Infektionen mit nicht-zellzerstörenden Viren (wie das Hirnhautentzündungsvirus, das Hepatitis-B-Virus und wahrscheinlich auch das AIDS-Virus) ist vollständig abhängig von der Anwesenheit von Perforin. Schutz gegen Infektionen mit zellzerstörenden Viren, wie zum Beispiel das Pockenvirus, das dem Tollwutvirusähnliche Vesikuläre Stomatitis Virus bei der Maus, werden hingegen durch hormonartige Zytokine und Antikörper kontrolliert.


Dr. Hans Hengartner (hheng@pathol.unizh.ch) und Dr. Rolf M. Zinkernagel (zink@pathol.unizh.ch) sind ordentliche Professoren am Institut für Experimentelle Immunologie des Universitätsspitals Zürich.


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Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
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Last update: 1-APR-96