VON A. LINKE, A. PEYER UND H. SITTA
Auf die Frage danach, wann und wo denn die Linguistik als Teilbereich der Germanistik öffentlich relevant werde oder umgekehrt wo denn die ffentlichkeit Bedürfnisse habe, zu deren Befriedigung ausgerechnet die Linguistik über die entsprechenden Mittel verfügt, gibt es verschiedene Antworten, je nachdem, wo man sie sucht.
Kunstvolle Initialen in diesem Fall sogar zwei ganze Titelzeilen entstehen auch noch heute, und sogar in alltäglichen Situationen. Zum Beispiel wenn eine Schülerin mit einem Aufsatzthema kämpft, vor der Hürde «Anfang» steht und beim Malen Gedanken sammelt.
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Sabine Illi, C3a, Kantonsschule Zürcher Oberland, Wetzikon)
So weiss, wer Zeitung liest, sehr schnell einmal, wo Linguistik und ffentlichkeit sich berühren: bei der Rechtschreibung zum Beispiel, genauer: bei der öffentlichen Diskussion um deren Reform. In dieser Diskussion haben sich nicht nur die professionell Schreibtätigen die Zeitungsleute, die SchriftstellerInnen sowie VertreterInnen aus der Schule und dem Druckereigewerbe zu Wort gemeldet, sondern sie hat auch eine grosse Runde von Sprachliebhabern zu vehementen Stellungnahmen für oder gegen die angestrebten Neuerungen bewegt.
Aber auch der sogenannte Sprachverfall, der mit einer gewissen Regelmässigkeit in den Medien ausgerufen und einerseits der allgemeinen Nachlässigkeit der Jugend in Sachen Form, andererseits der Nachlässigkeit der Schule in Sachen Spracherziehung angelastet wird, ist eines der Themen, die dem Bereich «Linguistik und ffentlichkeit» zugehören. Gar nicht zu reden von der Hitze der Auseinandersetzungen über Doppelformen, grosses I und generisches Maskulinum, wie sie in den Feuilletons und auf den Leserbriefseiten der Tageszeitungen geführt werden und die im Jahr 1994 in Wädenswil zu einem denkwürdigen Abstimmungskampf über eine ansonsten unumstrittene Gemeindeordnung geführt haben. Und dann gibt es noch die lange Reihe der kleineren und grösseren Dauerprobleme, mit denen sich sprachsensible Zeitgenossen in Sprachglossen und sprachkritischen Artikeln auseinandersetzen die zunehmende Unverständlichkeit von Fachsprachen gehört ebenso hierher wie die Frage nach dem Verhältnis von Dialekt und Hochsprache im Regionalradio, die frappante Affinität bestimmter Sachbereiche zur englischen Sprache und ihre morphologischen Folgen («wir recyceln») werden ebenso öffentlich beklagt wie die modische Vorliebe für bestimmte Wortbildungsmuster («unimässig läuft da nichts») oder die Irritation durch neue Anredeformen in Briefen («Guten Tag Frau Dr. X»).
Es ist auffällig, dass es nur in den seltensten Fällen professionelle Linguisten und Linguistinnen sind, die in den genannten Diskussionen in der Medienöffentlichkeit das Wort ergreifen und wenn, dann oft gezwungenermassen auf direkte Anfrage hin und eher widerwillig. Die grossen und kleinen Sprachkritiker von Fritz Mauthner über Karl Krauss bis zu Wolf Schneider sind von Haus aus eher Sprachpraktiker als Wissenschaftler. Was nicht heisst, dass die Menschen, die linguistisch «in Forschung und Lehre» tätig sind, grundsätzlich hinter den Türen ihres linguistischen Elfenbeinturmes versteckt blieben. Im Gegenteil. Doch die eigentliche « ffentlichkeitsarbeit» der LinguistInnen erfolgt meist abseits der Mediendiskussion und betrifft zum Teil auch ganz andere Bereiche als die bisher dargelegten. Das gilt auch für die entsprechenden Tätigkeiten der LinguistInnen am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Wir wollen ohne vollständig zu sein einige dieser Tätigkeitsfelder kurz benennen:
Was sich also mit Blick auf das Verhältnis von ffentlichkeit und Linguistik feststellen lässt, ist ein gewisses Missverhältnis. Während LinguistInnen in vielen Bereichen ganz konkrete, kontinuierliche, häufig aber eher unspektakuläre « ffentlichkeitsarbeit» leisten, scheinen sie andererseits nur bedingt bereit, auf die sprachlichen Fragen, die die Medienöffentlichkeit bewegen, einzugehen. Nun ist nicht anzunehmen, dass es eine fachspezifische Bescheidenheit ist, die uns daran hindert, gerade in medienwirksamen Zusammenhängenöffentlich zu werden. Einzelne Ansätze dazu gibt es ausserdem, so etwa die Kür des «Unwortes des Jahres», die von der «Gesellschaft für deutsche Sprache» ins Leben gerufen wurde, unter der Leitung von LinguistInnen stattfindet und von Jahr zu Jahr an Popularität gewinnt. Grundsätzlich scheint jedoch das, was die ffentlichkeit in Sachen Sprache bewegt, nicht sehr deckungsgleich mit dem, was LinguistInnen bewegt; das, was die ffentlichkeit als «Sprachfragen» wahrnimmt, entspricht nur bedingt dem, was wir als unsere Forschungsgegenstände, als unsere eigentliche Profession ansehen. Den AlltagsanwenderInnen wird Sprache dann zum Gegenstand der Aufmerksamkeit, wenn sie ihnen zum Problem wird LinguistInnen dagegen interessieren sich vor allem dafür, weshalb das komplexe Kommunikationsmittel Sprache meist so problemlos funktioniert. Wo Laien am Spezialfall interessiert sind, fragen wir nach dem Normalfall, und wo SchülerInnen (und LehrerInnen) nach «richtig oder falsch» fragen, fragen wir nach dem «Warum».
Mit anderen Worten: Wir stellen offenbar Fragen, die sich Laien nicht stellen und die sie das wiegt schwerer häufig auch gar nicht als sinnvolle Fragestellungen nachvollziehen können. Wir fragen, wie etwas funktioniert, dessen Funktionieren im allgemeinen als selbstverständlich hingenommen wird. Nicht umsonst gilt «Grammatik» vielen SchülerInnen (und auch vielen StudentInnen der Germanistik) als Gegenstand von sehr beschränktem Tiefsinn die Einsicht, dass es dabei letztlich um die Erforschung der strukturellen Grundfesten von Sprache und Kommunikationüberhaupt geht, kommt selten oder nie.
Andererseits reagieren wir LinguistInnen auf die Sprachfragen, die die ausserlinguistische ffentlichkeit an uns heranträgt, oft auffallend spröde, zum Teil sogar peinlich berührt. Fragen wie denjenigen nach der Korrektheit einer bestimmten sprachlichen Form, nach der eigentlichen Bedeutung eines Wortes, nach der stilistisch besten Formulierung eines Sachverhaltes gehen wir als Fachleute lieber aus dem Weg. Mehr noch: als LinguistInnen fühlen wir uns missverstanden, ja geradezu missbraucht, wenn wir als Norminstanzen und Sprachschiedsrichter angesehen werden. Während von uns erwartet wird, dass wir Normen setzen, Werturteile fällen und uns als fachlich legitimierte und mit den Waffen der Wissenschaft ausgerüstete Hüter des Sprachschatzes erweisen, finden wir die Drachen, gegen die wir uns zur Wehr setzen sollten, in erster Linie einmal interessant.
Dieses Missverständnis ist erklärbar: Sprache ist nicht nur Kommunikationsmedium, sie ist auch Medium sozialer Identität, sie reflektiert und zementiert soziale Strukturen, und sie ist ein wichtiges Medium politischer Macht. Es ist folglich nicht verwunderlich, dass Sprache hoch emotional besetzt ist und dass Auseinandersetzungen über Sprache und Sprachgebrauch oft nur vordergründig mit Sprache, letzten Endes aber sehr viel mehr mit gesellschaftlichen Problemen zu tun haben. Ob es zulässig ist, die Wendung «ethnische Säuberung» in einem Zeitungsbericht ohne Anführungszeichen zu gebrauchen, ist keine linguistische, sondern eine politische, letztlich eine moralische Frage. Ähnliches gilt für die meisten der Forderungen, die heute an eine geschlechtergerechte Sprachverwendung gestellt werden. Diese Vernetzung von Sprache und damit auch von Linguistik mit gesellschaftlichen, philosophischen und soziokulturellen Problemen macht auch für uns LinguistInnen den Reiz unseres Fachgebietes aus; die sogenannten «Bindestrichlinguistiken» wie Soziolinguistik, Psycholinguistik, Ethnolinguistik usw. tragen diesem Reiz Rechnung. Aber eben: Wir interessieren uns für die spezifischen Funktionen, die Sprache in solchen Zusammenhängenübernimmt, sowie für die Regelhaftigkeiten und systematischen Voraussetzungen, die diese Zusammenhänge begründen. Und oft sind es gerade die hier gewonnenen Einsichten, die es bewirken, dass wir mit Werturteilen in Sachen Sprache vorsichtig sind und mit der Zuschreibung von «richtig» und «falsch» eher zögerlich umgehen.
Mit anderen Worten: Die Innenansichten und Aussenansichten des Faches und seiner Aufgaben klaffen offenbar gerade bei der Linguistik, die sich mit dem beschäftigt, was alle schon können und mit dem alle täglich umgehen, nämlich mit der Sprache, besonders weit auseinander. Und das hat zur Folge, dass das Verhältnis von Linguistik und ffentlichkeit von beiden Seiten nicht immer als befriedigend erfahren wird.
Die AutorInnen:
Dr. Angelika Linke (alinke@ds.unizh.ch) ist Privatdozentin für Linguistik; Dr. des. Ann Peyer (apeyer@ds.unizh.ch) ist Assistentin, und Dr. Horst Sitta ist ordentlicher Professor für deutsche Sprache am Deutschen Seminar der Universität Zürich.