Wird heute der Begriff «Weltgesellschaft» verwendet, so verweist er zumeist auf eine vorgestellte globale Schicksalsgemeinschaft. In diesem Verständnis sind alle Bewohner der Erde Bürger und Bürgerinnen dieser einen Welt(gesellschaft) mit Rechtsansprüchen, die sich von den Menschenrechten ableiten lassen. Nach den tiefgreifenden Umwälzungen der Jahre 1989/91 lässt sich die Weltgesellschaft zusätzlich als globale Marktgesellschaft verstehen, die sich vor die Lösung vor allem zweier Probleme gestellt sieht: Umweltzerstörung und Unterentwicklung. Dabei erweisen sich nationalstaatliche Lösungsstrategien als zunehmend ineffektiv.
[Standortkonkurrenz und nachholende Entwicklung]
[Das «Klima» zwischen Nord und Süd]
[Soziale Welt Facetten des soziologischen Globalisierungsbegriffs]
Im Gegensatz zu Vorstellungen wie «internationales System», «globales System» oder «Weltsystem» verweist der Begriff «Weltgesellschaft» in unserem Verständnis zusätzlich zu den wirtschaftlichen und politischen Verknüpfungen auf eine kulturelle Dimension der globalen Vergesellschaftung. Von Weltgesellschaft im strengen Sinne kann nur dann gesprochen werden, wenn Mitgliedschaftsrechte für alle Menschen normativ fixiert und kulturell legitimiert worden sind. Dadurch entstehen dann aber auch Ansprüche von Individuen gegenüber einer solchen Gesellschaft. Seit 1945 und vor allem mit der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte» kann zumindest von einer schwach ausgeprägten Weltgesellschaft gesprochen werden. Hinzu tritt schliesslich eine vermehrt ins Bewusstsein tretende Verkettung der Menschen, die durch ihre Abhängigkeit von den globalenökologischen Lebensgrundlagen gegeben ist.
Die Welt hat sich seither, vor allem aber gegen Ende der achtziger Jahre, dergestalt verändert, dass man zu Recht vom Ende der Nachkriegsära sprechen darf. Mit dem Sieg der kapitalistischen Marktgesellschaftüber ihre bisher grösste Herausforderung den real existierenden Sozialismus endet 1989/91 mit dem Fall der Mauer in Berlin und dem Ende der Sowjetunion die Systemkonkurrenz zwischen Ost und West. Nachdem der welthistorische Konkurrent aus dem Feld geschlagen ist, existiert gegenwärtig keine gesellschaftspolitisch relevante Alternative mehr, die Fortschritt und Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse ausserhalb der liberal-demokratischen kapitalistischen Marktgesellschaft verspricht.
Wichtig für einen zukunftsgerichteten Blick ist nun gewiss die Frage, ob es der globalen Marktgesellschaft gelingt, Mittel zur Lösung der neben der Sicherung des Weltfriedens drängendsten weltgesellschaftlichen Probleme, nämlich des weltweiten Wohlstandsgefälles sowie der globalen Umweltbedrohungen, zu finden. Die Debatte, was der Markt in dieser Hinsicht leisten oder nicht leisten kann, ist nach den problematischen liberalen Fundamentalismen der achtziger Jahre wieder zu versachlichen. Die seither dominantenökonomischen Doktrinen setzen viel mehr Vertrauen in die Selbstregulierungsfähigkeit des Marktes, als dies bei der ehemals vorherrschenden Doktrin des Keynesianismus der Fall war. Aber diese Renaissance des Marktes erfordert parallel dazu eine Neubesinnung darauf, wie die legitimatorische Basis der Marktgesellschaft verbreitert werden kann, was die zukünftigen Aufgaben des Staates sind und wie die Verschränkung von Markt und Staat in der Weltgesellschaft zu regeln ist. Der Markt ist sicherlich hinsichtlich der Lösung der Effizienzfrage (Allokation knapper Ressourcen) die bis anhin erfolgreichste soziale Institution; er ist jedoch nicht voraussetzungslos, sondern bedarf einer gesellschaftspolitischen Einbettung.
Zu den Anfängen der Weltgesellschaft: Gründungsfeier der Uno in San Francisco, 1945.
Im folgenden sollen die Grenzen marktwirtschaftlicher Vergesellschaftung hinsichtlich der Umweltproblematik und des Problems nachholender Entwicklung unter Bedingungen verschärfter Standortkonkurrenz betrachtet werden. In beiden Fällen erweist sich der klassische Nationalstaat und somit die nationalstaatliche Politikformulierung als nicht mehr in der Lage, dem wachsenden Problemdruck gerecht zu werden, weil einerseits der nationale Regelungshorizontüberschritten wird und weil andererseits die Standortkonkurrenz zwischen Staaten diese zunehmend in die Defensive drängt.
Umwelt. Die Umwelt sendet von sich aus keine Marktsignale in Form von Preisen aus und verbleibt damit ausserhalb der Marktkalküle. Der Markt ist kein reflexives System, das sich vor selbstzerstörerischen Folgen schützen kann. Deshalb müssen die effektiven und zukünftig vermuteten Kosten für die Vermeidung und Behebung von Umweltschäden von aussen in den Markt eingebracht werden. Dabei handelt es sich im Kern um Sicherheitspolitik, denn der erreichte Wohlstand erfährt heute eine neuartige Gefährdung.
Der Markt als Wohlstandsschöpfer stand von Anbeginn im Zentrum der Legitimation der Marktgesellschaft. Diesbezüglich sind auch unbestreitbare Fortschritte erzielt worden, zuletzt in Form der vermehrten Demokratisierung des Wohlstandes in der Massenkonsumgesellschaft freilich auf die Wohlstandsinsel der OECD-Welt beschränkt. Seit längerem befürchten jedoch wachsende Teile der Bevölkerung für sich und ihre Nachkommen Wohlfahrtsverluste durch lokale und globale Umweltschäden. In welchem genauen Umfang diese Befürchtungen berechtigt sind, wissen wir nicht. Für eine wohlverstandene Sicherheitspolitik ist das auch nicht entscheidend politisch relevant ist die Verunsicherung selbst.
Entwicklung. Unter Bedingungen beschleunigter Globalisierung stehen Staaten nicht nur politisch-militärisch, sondern zunehmend auchüber den wirtschaftlichen Standortwettbewerb in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, weil mit unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Ordnungen ein unterschiedlicher wirtschaftlicher Langzeiterfolg einhergeht. Dieser Ordnungswettbewerb der Regierungen ist wie jede andere wirtschaftliche Konkurrenz grundsätzlich positiv zu bewerten. Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass nicht alle Teilnehmer mit den gleichen Chancen ins Rennen steigen, was vor allem für die Entwicklungsländer zutrifft.
Zum Perspektivenwechsel: erste Aufnahme aus dem Weltraum, die unseren kleinen Planeten als verloren und fragil im Raum wirkende Welt zeigt.
Es gilt dann für diesen wie jeden anderen Markt, dass Rahmensetzungen Chancengleichheit herstellen und Missbrauch, also unlauteren Wettbewerb und Dumping, verhindern müssen. Ansonsten kommt es zu Marktversagen. Dies kann durch Ordnungsmodelle für die Standortkonkurrenz verhindert werden, die Wettbewerb und Kooperation verbinden. Instrumente hierfür sind im Prinzip bekannt und werden in embryonaler Form auch von jeher in der Staatenwelt praktiziert in Form von zwischenstaatlichen Vereinbarungen oder sogenannten internationalen Regimen. Die bestehenden Regime und Vereinbarungen sind jedoch den politischen Folgen der Globalisierung noch nicht gewachsen.
Im Umfeld der Konferenz von Rio im Jahre 1992 gelang es erstmals, die beiden Dossiers Umwelt und Entwicklung im neuen Leitbild «Sustainable Development» plausibel zu verknüpfen. Damit konnte das Interesse des Südens anökologischer Weltpolitik geweckt und das Misstrauen gegenüber Vorschlägen in diesem Bereich, das in den 1970er Jahren vorherrschend war, abgebaut werden. Dadurch wurde auch eine neue moralische Begründung politischer Forderungen nach Umverteilung auf der Welt möglich. Waren die Umverteilungsforderungen des Südens in den 1970er Jahren besonders durch die historische Schuld der Kolonialisierung legitimiert worden, so wandelte sich das zu Beginn der 1990er Jahre. Mit der industriellen Entwicklung des Nordens sei ein grosser Teil des gemeinsamen Umweltkapitals aufgezehrt worden, deshalb sei Kompensation für den Süden nur legitim.
Die in Rio verabschiedeten völkerrechtlich verbindlichen Instrumente, die Biodiversitätskonvention und die Klimarahmenkonvention zur Bekämpfung des Treibhauseffektes, sind jedoch erst grobe Gerüste, die mit substantiellen Protokollen ergänzt werden müssen, um zu einer umweltverträglichen Entwicklung in Nord und Süd beizutragen.
Bei der Entstehung der Konventionen und ihrer Weiterentwicklung kommt den transnationalen sozialen Bewegungen eine wachsende Rolle zu. Die transnationalen sozialen Bewegungen verdanken sich nicht der wirtschaftlichen, sondern der kulturellen Globalisierung. Ausgehend vom antiautoritären Studentenprotest der 1960er Jahre erlebte die westliche Gesellschaft einen kulturrevolutionären Modernisierungsschub. Freiheit und Selbstrealisierung, das Projekt der Individualisierung, waren angesagt. Durch diese Individualisierung wird aber der Blick auch frei für das, was Individuen letztlich verbindet: die Belange der Menschheit eine Gemeinschaft der Spezies Mensch. Es entstand ein breiter Strom sozialer Bewegungen, der nicht bloss die nationale Politik verwandelte. Transnationale soziale Bewegungen bildeten sich in grosser Zahl, und es etabliert sich zunehmend eine kritische «transnationale Zivilgesellschaft», die ihre Anliegen mit einigem Erfolg in die Weltpolitik einzubringen beginnt.
Nach der in Schwung gekommenen Rede von der Aufwertung des Marktes als Lösung für die Probleme der Gegenwart gilt es, die Marktgesellschaft soll die Welt an ihr genesen können auf einem breiteren legitimatorischen Fundament zu errichten. Sicherheitspolitik mit Blick auf die gemeinsame Umwelt ist heute auch in die Marktlogik einzubringen, damit die Markteffizienz nicht die Lebensgrundlage aller, auch der rationalsten Akteure bei vollkommenster Konkurrenz, untergräbt. Frieden ist nicht ohne Teilen zu haben.
Zu neuen Akteuren und Konflikten: eine Aktion im Fall Greenpeace/Shell.
Damit stellen sich Fragen, die im globalen Rahmen angepackt werden müssen keine leichte Aufgabe. Die Welt war in diesem Jahrhundert aber schon einmal mit einer vergleichbaren Herausforderung konfrontiert. Vor fünfzig Jahren stand die Gründung der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg für einen Neuanfang, der wie immer man ihn hinsichtlich seines Erfolgs beurteilen will eine Verbesserung im Vergleich zu den späten dreissiger und frühen vierziger Jahren war. Heute ist die Reform der Weltorganisation angesagt, nicht zuletzt auch um kritischen Akteuren der transnationalen Zivilgesellschaft auch formell mehr Stimme zu geben.
Dr. Volker Bornschier (vobo@soziologie.unizh.ch) ist ordentlicher Professor am Soziologischen Institut der Universität Zürich; von 1983 bis 1996 war er Präsident der World Society Foundation. Zuletzt ist von ihm Western Society in Transition bei Transaction (New Brunswick, USA, und London, 1996) erschienen.
Standortkonkurrenz und nachholende Entwicklung.
Noch weniger weit gediehen als in der Frage des Umweltschutzes ist die Diskussion um die internationale Regulierung des potentiell ruinösen Standortwettbewerbs zwischen Ländern vor allem auch im Kontext nachholender Entwicklung. Verschiedene Erklärungen für Erfolg bei nachholender Entwicklung konkurrieren:
Letztere Position räumt dem Staat eine herausragende Rolle ein, muss jedoch unter Bedingungen beschleunigter Globalisierung und der damit verbundenen Schwächung staatlicher Handlungssouveränität relativiert werden. Vor diesem Hintergrund untersucht Bruno Trezzini im Rahmen seiner Dissertationsarbeiten den Fall Malaysia, weil sich hier verschiedene Gegebenheiten staatlicher Interventionismus, exportorientierte Industrialisierung, relativer Rohstoffreichtum, islamisch-konfuzianischer kultureller Hintergrund auf interessante Weiseüberschneiden.
Wirtschaftliche Globalisierung und ein engerer Schulterschluss von Nationalstaaten sind nur auf den ersten Blick Gegensätze. Ersteres impliziert eine Machtverschiebung zwischen Nationalstaat und Wirtschaft zugunsten der transnationalen Wirtschaft, und regionale Integration ist eine Antwort darauf, ein Nachrüsten der Staaten gegen ihren Funktions- und Machtverlust. Westeuropas Weg in die Politische Union wird aus dem Blickwinkel des Wettbewerbs in der politischen Weltökonomie in einem Team des Autors erforscht und vom SNF gefördert. Mit der politischen Union verlässt der europäische Staat, der für die Welt Modell war, erstmals wieder den nationalen Rahmen. Als Reaktion auf die westeuropäische Blockbildung fand gleichsam ein Wettlauf weiterer Blockbildungen statt.
Das «Klima» zwischen Nord und Süd.
So der Titel einer vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Forschung des Autors, die Andreas Missbach im Rahmen seiner Dissertation durchführt. Im Zentrum stehen die Konflikte um Umwelt und Entwicklung, die das entstehende Klimaregime der Uno prägen. Obwohl der grösste Teil bisheriger Emissionen von Treibhausgasen aus den alten Industrieländern stammen, sind die Entwicklungsländer schon heute die Hauptbetroffenen. Die Treibhausgefahr bedeutet für den Süden, dass sich die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Entwicklung nach dem Vorbild des Nordens als Illusion erweist. Ein Ansteigen des weltweiten pro-Kopf-Verbrauchs von fossilen Brennstoffen auf das heutige Niveau des Nordens würde zu Treibhausgaskonzentrationen führen, die das Leben auf dem Planeten Erde gefährden. Soll eine globale «Apartheid» vermieden werden, bei der die ungleichen Lebenschancen in Nord und Süd auf ewig fortgeschrieben werden, muss der Norden seinen ausschliessenden Lebensstil verändern und die nachhaltige Entwicklung des Südens unterstützen. Können die laufenden Verhandlungen einen Ausweg aus der drohenden «Apartheid» weisen?
Soziale Welt Facetten des soziologischen Globalisierungsbegriffs
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unipressedienst Pressestelle der Universität Zürich
Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
http://www.unizh.ch/upd/magazin/3-96/
Last update: 08.11.1996