Computersimulationen des dynamischen Verhaltens von Partikelsystemen erlauben die Erforschung und Darstellung verschiedener relevanter Probleme der Physik. Das hier vorgestellte interdisziplinäre Forschungsprojekt beinhaltet die Spezifikation einer Systemarchitektur für die parallele Partikelsimulation in Echtzeit. Ziel ist es, diese neue Simulationstechnik für die interaktive Modellberechnung und Visualisierung von Problemstellungen aus der Molekulardynamik einzusetzen.
VON CHRISTIAN STERN UND ERICH STOLL
Die technologische Entwicklung in der Computertechnik macht es heute möglich, leistungsstarke Rechner für die Berechnung und die Visualisierung von Vorgängen in der Molekulardynamik einzusetzen. Wird zusätzlich Interaktivität gefordert, steigern sich die Anforderungen an die Systemkomponenten (Hard- und Software) drastisch. Verschiedene neuere Arbeiten haben gezeigt, dass Supercomputer nicht unbedingt die Voraussetzung für die Berechnung komplexer Modelle in der Molekulardynamik sein müssen, sondern dass auch ein Verbund von parallel arbeitenden Arbeitsplatzrechnern diese Aufgabe erfüllen kann (Parallel Distributed Computing, PDC).
Abb. 1: 3-D-Random-Fraktal, bestehend aus 1653 Partikeln. |
Abb. 2: Simulation von HTc-Supraleitern auf Basis der IMDS-Applikation. |
Das im Rahmen dieses Forschungsprojektes mit Hilfe objektorientierter Programmierparadigmen realisierte Interactive Molecular Dynamics System (IMDS) erlaubt die graphisch interaktive Simulation von Problemstellungen aus der Molekulardynamik. Aufgrund komplexer Potentialfunktionen werden in aufeinanderfolgenden Rechenschritten Kraftvektoren, Beschleunigungen, Geschwindigkeiten und schliesslich die Lagekoordinaten der Partikel im Raum ermittelt. Um dabei Leistungsengpässe im Bereich der interaktiven Visualisierung zu vermeiden, werden für diesen Zweck optimierte Graphik-Workstations eingesetzt. Rechenintensive Aufgaben können im Rahmen von PDC auch auf andere Hardware-Plattformen ausgelagert werden, die mit dem Visualisierungs-Computer über ein Hochgeschwindigkeits-Asynchronous- Transfer-Mode(ATM)-Netzwerk verbunden sind.
Die Atome und deren Interaktionen können auf verschiedene Arten visualisiert werden, beispielsweise beleuchtet, als Drahtgittermodell oder als Pixel. Dabei kann das graphisch dargestellte Simulationsmodell räumlich gedreht bzw. vergrössert und verkleinert werden.
Anwendungsbereiche
Die direkte Interaktion mit dem physikalischen Modell und die Echtzeit-Visualisierung erlaubt ein besseres Verständnis der zugrundeliegenden physikalischen Vorgänge. Die mit der Modellberechnung gekoppelte Visualisierung und Interaktivität erlauben es, in einem sehr komplexen System sehr schnell die wichtigsten Modellparameter zu definieren. Diverse physikalische Vorgänge konnten mit Hilfe der IMDS-Applikation genauer untersucht werden. Beispielsweise wurden Schmelzprozesse von Kristallen simuliert und 3-D-Fraktale generiert, wie sie in Silizium-Aerogels vorkommen. Aerogels sind hochporöse Materialien, deren Eigenschaften von grossem wissenschaftlichem und kommerziellem Interesse sind. Sie können u. a. als Wärmeisolatoren oder zum Erzeugen von ultrareinem Wasser eingesetzt werden. Abbildung 1 zeigt die poröse, Partikelketten enthaltende fraktale Struktur deutlich.
Dank der Möglichkeit, einzelne Partikel interaktiv zu selektieren und zu positionieren, konnte untersucht werden, wie sich das Einfügen von Fremdatomen auf die Stabilität der Struktur von High-Temperature(HTc)-Supraleitern auswirkt (Abbildung 2).
Forschungsresultate
Es hat sich gezeigt, dass die Kopplung von interaktiver Visualisierung und Modellberechnung erlaubt, gewisse physikalische Phänomene in Echtzeit zu simulieren. Dies ist möglich dank den im Rahmen dieses Forschungsprojekts entwickelten Algorithmen und Parallel Distributed Computing. Leistungsfähige Graphik-Workstations und Hochgeschwindigkeitsnetzwerke wie ATM sind deshalb eine wichtige Voraussetzung für derartige Experimente.
Christian Stern (chstern@ifi.unizh.ch) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am MultiMedia-Laboratorium, Institut für Informatik der Universität Zürich, und Dr. Erich Stoll arbeitet als wissenschaftlicher Berater am Physik-Institut der Universität Zürich.
unipressedienst Pressestelle der
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Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
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Last update: 20.07.97