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Zeichen haben etwas Geheimnisvolles.
Bäume, Flüsse, Pflanzen, Tiere oder Menschen. Alles,
was erscheint, ist Zeichen. Die Welt erscheint
zeichenhaft als Text und Bild. Buchstaben sind Zeichen
aus dem Bereich des Wortes. Sie erscheinen in einer
bestimmten Reihenfolge. Je nach Reihenfolge erzählen sie
tausendundeine Geschichten. Geschichten, in denen sich
die Vielschichtigkeit der einzelnen Zeichen ausdrückt.
Mehr noch: Im Erscheinen der Zeichen schauen wir die
Verborgenheit des Nichts. Der Mythos erzählt, was
Zeichen sind. Zeichen sind Rufe aus dem Nichts. Dieses
Rufen aus dem Nichts ist «schwarzes Feuer auf weissem
Feuer». Das Feuer sucht sich zu festigen und
manifestiert sich in den Formen. Der Mythos erzählt vom
Wesentlichen dieses Geschehens. Indem er im Offenbaren
gleichsam verbirgt, im Enthüllen wieder verhüllt, kann
er jederzeit und überall von jeder und jedem neu
entdeckt, neu interpretiert, neu verstanden und neu
gelebt werden.
Eigenes Hieroglyphen-Alphabet
Werner Hartmann war so ein Zeichenerzähler. Seine
Schriftzeichen, Wortbilder oder einfach Hieroglyphen
illustrieren das vorliegende Magazin. Seine Zeichen
erzählen Geschichten. Geschichten, die keinen
Erkenntnisgewinn vermitteln dieser gehört zum
Logos. Seine Mitteilungen tragen mythische Züge. Auf die
wortgewaltige und bildmächtige Kommunikation von heute
antwortete er mit einem eigenen Hieroglyphen-Alphabet:
mit abstrakt-unverständlichen, mitunter
konkret-fassbaren Zeichen. Auf den ersten Blick scheinen
manche verständlich Wellen, Mond, Fisch, Haus,
Tiere, Pyramide, Spirale , aber im weiteren
Zusammenhang bleiben sie mysteriös.
Unermüdlich setzte Hartmann Zeichen um Zeichen. Eines
nach dem anderen, daneben oder darunter. Immer wieder
neue. Alle von Hand niedergeschrieben. Keines ist daher
mit anderen identisch. Jedes ist einmalig. Wie jeder
Augenblick neu, auch anders ist. Damit widersetzte er
sich den abgenutzten Mitteln und Klischees der
Kommunikation. Ständig war er in einer Metamorphose
begriffen. Manchmal fast beschwörend, manchmal akribisch
auf Details achtend teilte er seine
Botschaften mit. Öfters schrieb er Briefe, zum Beispiel
jeden Tag einen an Kolumbus im geschichtsträchtigen
Kolumbus-Jahr im Atelier zu Genua. Manchmal arbeitete er
monatelang an einem Text minutiös, zurückgezogen
wie ein Schreibmönch.
Nichts als Zeichen? Alles ist Zeichen. In der
Hafenstadt Genua angeschwemmte Holzstücke sind Zeichen.
Erkennbar etwa als Bestandteile von Schiffen.
Untergegangene, letzte Botschaften hinterlassend? Die
Schwemmhölzer hat Werner Hartmann mit seinen Zeichen
beschriftet und sie wieder auf die Reise geschickt. Wie
die Schwemmhölzer hat er zeitlebens Materialien auch vor
Ort gefunden. Bretter von Baustellen, Schiefertafeln,
Steine, Papierblätter und Holzquader. In seinem New
Yorker Jahr hat er die Megapolis zeichenhaft auf
Holzquader fixiert: Sein New York als Zeichenstadt liegt
jetzt überschaubar in seinem Atelier im Seefeldquartier.
Doch sein Lieblingsmaterial waren die Tücher. Seine
über Strassen, an Brücken und in der freien Natur
wehenden Tücher erinnerten an Mahntuchbotschaften oder
Weihefahnen, die ihre rituelle Botschaft dem Wind
übergaben.
Schrift und Sprache waren für Hartmann ein
Spannungsfeld: «Symbolisch für das, was heute
geschieht, ist meine geschriebene Sprache nicht
verständlich, nicht entzifferbar (ich kann sie zwar
sprechen).» Obwohl er sich kryptisch mitteilend
die Begegnung suchte, setzte er das
Nichtverstandenwerden vorweg. Ein Paradox? Vielleicht.
Doch Hartmann ging es nicht um faktologische
Kommunikation mit Hilfe einer Zeichensprache. Ihm ging es
um das autarke Eigenleben, um sich gegen den
alltäglichen Gebrauch und Verbrauch von Text und Bild
behaupten zu können. Daher war ihm auch jede
Verwertungs- oder Nützlichkeitsabsicht seiner Kunstwerke
fremd. Seine Zeichengeschichten erzählen vom
alltäglichen Leben als Aktion und Reaktion auf
das, was um ihn herum geschah, lokal wie global. Es sind
keine Ereignisprotokolle. Eher sind sie Ausdruck innerer
Stimmungen und psychischer Regungen.
Gegen die Entzauberung der Welt
Hartmanns Zeichengeschichten lassen sich auch als
Botschaften gegen die Entzauberung der Welt lesen. Von
den kryptischen Bilderzählungen geht eine seltsame
poetische Kraft aus. Sie können den Betrachter zur
eigenen Imagination anregen. Sie können ihn aber auch,
ohne die Bilderzählung entziffern zu wollen, ohne nach
Funktion und Zweck zu suchen, einfach der Faszination des
Geheimnisvollen überlassen.
Wie jeder Augenblick war auch jede Zeichengeschichte
für Werner Hartmann ein Geburtsvorgang, eine Botschaft
aus seinem Innern. Seine letzten Zeilen vor seinem
Hinschied im Atelier geschrieben waren
keine kryptischen Zeichen: «Alles, was ist, ist einmal
nicht mehr. Vielleicht einfach anders. Das Herz oder die
Seele sind spürbar, und es tut weh. Alle Tage, die sind,
sind spürbar...»
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