Fernsehen ist nicht alles aber alles ist nichts ohne Fernsehen. Dieses vom deutschen Sportjournalisten Rudi Michel geprägte Bonmot trifft seit längerem zu: Sport und Fernsehen sind untrennbar miteinander verknüpft. Wer allerdings von einer symbiotischen Partnerschaft spricht, schliesst die Augen vor den zunehmenden Konflikten und Verteilungskämpfen, ausgelöst durch die Kommerzialisierung beim Sport und beim Fernsehen.
VON WERNER A. MEIER
Alle wollen ans grosse Geld, mit Sport und Fernsehen Geld verdienen. Die Sportvereine und Sportverbände haben dazugelernt und vermarkten die Übertragungsrechte dem Meistbietenden. Dies sind in der Regel nicht mehr die Fernsehkanäle selbst, sondern sogenannte Rechtehändler; Firmen, die als Grossisten auftreten und versuchen, ihre kostbare Ware in Form von Rechten für die Erst-, Zweit- oder Drittverwertung an die ständig wachsende Zahl von Fernsehsendern (Detaillisten) gewinnbringend weiterzuverkaufen. Ist die Übertragung vertraglich gesichert, finden sich Sponsoren, die bereit sind, einen Beitrag an die hohen Übertragungskosten zu zahlen, sofern sie dafür prominent ins Bild gerückt werden.
Auch die werbetreibende Wirtschaft macht mit und hofft, mit teuer bezahlten Spots während natürlichen und künstlichen Wettkampf- oder Spielunterbrüchen von kaufkräftigen und ausgabefreudigen Fernsehzuschauern beim nächsten Einkauf berücksichtigt zu werden. Doch die Fernsehzuschauer werden auch nach Bezahlung dieser «Werbesteuer» noch weiter zur Kasse gebeten. Die Kosten für den Erwerb von Übertragungsrechten können von den TV-Sendern immer weniger über Spot-Werbung und Sponsoring refinanziert werden, sondern müssen direkt über Entgelte hereingeholt werden. Wer diese zusätzlichen Kosten nicht zu zahlen vermag, wird zunehmend von Top-Ereignissen ausgeschlossen. Ein Recht auf uneingeschränkten TV-Fussball kann nicht eingefordert werden.
Die Entwicklung der beiden Wachstumsbranchen Sport und Fernsehen verläuft parallel. Die Professionalisierung des Hochleistungssportes ist offensichtlich. Anstelle der traditionellen Sportvereine und Verbände mit ihren ehrenamtlichen Funktionären sind kommerziell ausgerichtete, hochprofessionelle Dienstleistungsunternehmen getreten, die den Sportwettkampf systematisch und gezielt vermarkten. So gehen englische und neuerdings auch schweizerische Fussballspitzenclubs an die Börse, um die teuren Einkäufe finanzieren zu können. Die Einnahmen aus lukrativen Fernseh-, Werbe- und Ausrüsterverträgen sowie diejenigen aus dem Merchandising und von den Zuschauern reichen bei einem Budget von 61 Millionen Pfund im Falle von Manchester United nicht aus. Doch nicht nur mittels Wettkämpfen werden Umsätze erzielt, der Sport als Freizeitphänomen und Industriesektor vermag allein in der Schweiz pro Jahr mehrere Milliarden Franken zu generieren.
Auch der Fernsehsektor boomt. Durch die weltweite Deregulierung hat sich die Zahl der Fernsehsender in den letzten zehn Jahren vervierfacht, und die Digitalisierung verspricht gar eine exponentielle Zunahme der Angebote. Die Ausweitung der Sendezeiten, der Programmveranstalter und der Distributionskanäle hat zu einem verstärkten Kostenwettbewerb um die wenigen attraktiven Sportwettbewerbe geführt. Gleichzeitig sind auch in Europa reine Sport-Spartenkanäle entstanden. Das amerikanische Vorbild, der Kabelkanal ESPN, hat sich schon in den 80er Jahren etabliert, erreicht inzwischen zwei Drittel aller amerikanischen Haushalte und fährt jährliche Gewinne von mehr als 200 Millionen Dollar ein.
Fernsehen und Sport haben ihren Wachstumsprozess verstärkt unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten geplant und vollzogen. Wie beim Sport wächst der Einfluss der Werbewirtschaft und Sponsoren auch beim Fernsehen. Zielsetzungen, Kriterien und Werte des Sportes werden daher durch Marketing-Gesichtspunkte und durch die fernsehökonomische Logik geprägt. Der alpine Skirennsport findet schon lange nicht mehr in den Alpen statt, sondern sucht sich immer neue Austragungsorte und Kunstschnee auf allen Kontinenten im Hinblick auf die Erschliessung neuer lukrativer Märkte. Dabei kommt die Vermarktung der Ware Spitzensport durch Verbände, Rechtehändler, Sponsoren und Promotoren nur durch die Aktivitäten des Fernsehens zustande. Je prominenter (z. B. während der Hauptsendezeit) und flächendeckender eine TV-Übertragung vertraglich gesichert ist, desto leichter können die weiteren Vermarktungsrechte (u. a. Banden-, Trikot-, Titelwerbung) und Aktivitäten (Merchandising), aber auch langfristige Ausrüsterverträge abgeschlossen werden. Das Fernsehen respektive diejenigen, die die hohen Beiträge schliesslich bezahlen «subventioniert» durch die Bezahlung der Übertragungsrechte nicht nur den professionellen Sportbetrieb beträchtlich, sondern dreht damit bei sich und beim Sport weiter an der Kommerzialisierungsschraube.
Führende Vermarktungsgesellschaften und Rechtehändler | ||||
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Händler | Sitz | Eigentümer | Hauptereignis | Preis TV* |
Ufa | Hamburg | Bertelsmann | Wimbledon 1997 | |
ispr | München | 50% Kirch 50% Springer |
Bundesliga 1997 | 140 Mio. DM |
T.E.A.M. | Luzern | Hempel/Lenz und Partner |
Champions League | 200 Mio. sFr. pro Saison |
ISL | Luzern | 90% Sporis (Fam. Dassler) |
Fussball-WM 2002 Fussball-WM 2006 |
1,3 Mrd. sFr. 1,5 Mrd. sFr. |
CWL | Kreuzlingen | C. W. Lüthi | Eishockey-WM 19972003 Handball-WM 1997 |
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NBC | New York | General Electric | OS Sydney (US-Rechte) |
715 Mio. $ |
EBU | Genf | OS Sydney (Europa-Rechte) |
350 Mio. $ | |
* Die angegebenen Preise für die TV-Rechte sollen lediglich die Grössenordnung ausdrücken, da bei diesen Schätzungen nicht immer zwischen den TV-Rechten und den Marketingrechten und deren territorialen Gültigkeit unterschieden wird. |
Neben den rechtevertreibenden Verbänden und Vereinen profitieren vor allem auch diejenigen Unternehmen, die sich der Sportrechte-Vermarktung angenommen haben. So hat die Internationale Sportrechte- Verwertungsgesellschaft (ISPR), die zu gleichen Teilen der Kirch-Gruppe und dem Springer-Verlag gehört, für 140 Millionen Mark pro Saison dem TV-Sender Sat 1 die Übertragungsrechte für die Deutsche Fussball-Bundesliga verkauft. Dieser hat sich bis zum Jahre 2000 die Lizenz zur Übertragung gesichert und zelebriert fast täglich seine Fussballshow «ran», bzw. «ranissimo»; selbstverständlich in Zusammenarbeit mit dem Sponsor für die Präsentation, die Tabellen, die Zeitmessung und für die im Programm integrierten Glücksspiele. Die Tochtergesellschaft des umsatzstärksten europäischen Medienkonzerns Bertelsmann, Ufa Film- und Fernseh GmbH, vermarktet die Übertragungsrechte von über 100 europäischen Fussballvereinen und nationalen Verbänden.
Was die Wintersportarten betrifft, so liegen die Verwertungsrechte bei der Europäischen Rundfunk-Union (EBU), der sämtliche öffentlichen TV-Sender angeschlossen sind. Auch die Olympischen Spiele können vorderhand noch über die öffentlichen Sender empfangen werden. Allerdings sind auch hier die Kosten enorm gestiegen. Die amerikanische Gesellschaft NBC musste 1,27 Milliarden Dollar bezahlen, um die Übertragungsrechte für die Sommer- und Winterspiele im Jahre 2000 und 2002 für sich zu beanspruchen. Noch tiefer in die Taschen griffen die Multimedien-Mogule Leo Kirch und Rupert Murdock, die für annähernd 3 Milliarden Schweizer Franken die Übertragungsrechte der Fussballweltmeisterschaft von 2002 und 2006 auf spektakuläre Art und Weise und in spekulativer Voraussicht erworben haben.
Im Unterschied zum klassischen Mäzenatentum erwartet der Sponsor mit seinem finanziellen Engagement einen klar ausgewiesenen Beitrag zur Erreichung der unternehmerischen Zielsetzungen. Beim Sportsponsoring geht es den Unternehmen darum, neben der klassischen Werbung und neben der Öffentlichkeitsarbeit über ein zusätzliches Marketing- und Kommunikationsinstrument zu verfügen. Damit soll der Bekanntheitsgrad einer Marke oder einer Dienstleistung gefördert und/oder das Image eines Unternehmens in der Öffentlichkeit gestärkt oder sogar sanft verändert werden. Bedenkenswert ist allerdings die Tatsache, dass die Sponsoren bei ihrer Wahl der Sportart sehr selektiv vorgehen. Ähnlich wie bei den TV-Sendern werden dabei gewisse «attraktive» Sportarten bevorzugt, während sich für andere weder Sponsoren noch Fernsehsender erwärmen können. Aus der Sicht der grossen kommerziellen Fernsehsender zählen gegenwärtig im deutschsprachigen Europa nur Fussball, Formel 1, Tennis, Golf, Leichtathletik und Boxen zu denjenigen Sportarten, bei denen sich ein Engagement zu lohnen scheint. So bescherte der erste WM-Kampf zweier deutscher Profiboxer dem Sender RTL die höchste Einschaltquote seit seinem Bestehen. Fast 13 Millionen Zuschauer mit einem Marktanteil von 60 Prozent lautete das stolze Verdikt.
Allerdings bleiben eine ganze Reihe von Unsicherheiten bestehen. So können Sponsoren und TV-Sender ihr Engagement aus Rentabilitätsgründen plötzlich ändern, sich beispielsweise Trendsportarten zuwenden oder sich ganz aus einer attraktiven Sportart zurückziehen. TV-Veranstalter sind immer weniger bereit, die fallweise astronomisch gestiegenen Übertragungsrechte zu bezahlen oder sich mit den Unwägbarkeiten sportlicher Wettkämpfe abzufinden. So zog sich der erfolgreiche deutsche Privatsender RTL aus der deutschen Bundesliga zurück, als sein Konkurrent Sat 1 die Übertragungsrechte für 140 Millionen Mark aufgekauft hatte für die Saison 1985/86 hatte die ARD dafür lediglich 12 Millionen bezahlt und konzentrierte sich auf die Champions League und die Formel 1. Häufige Spielunterbrüche durch Regen sowie der Ausfall der einheimischen Spitzenspieler im Falle des diesjährigen Tennisturniers in Wimbledon führten zu dramatischen Reichweiteneinbussen und Werbeeinnahmeverlusten, so dass sich nach diesem «Supergau» für den RTL-Sportchef die grundsätzliche Frage stellte, ob Wimbledon ein Produkt sei, wofür man sich weiterhin finanziell engagieren sollte.
Einen besonders schweren Stand haben die öffentlichen Sender, die einen Grundversorgungsauftrag erfüllen und sich deshalb nicht bloss auf die Übertragung von lukrativen und attraktiven Sportereignissen beschränken können. Darüber hinaus sind den Einnahmen aus dem Programmsponsoring (verhindert das Wegzappen!) und aus Werbespots Grenzen gesetzt. Nicht verwunderlich, dass die öffentlichen TV-Sender beim Feilschen immer öfter auf der Strecke bleiben manchmal sogar zum Wohle der Gebührenzahler. Beim öffentlichen ZDF machen die Rechtekosten für Fussball und Tennis bereits 80 Prozent des Etats aus. Doch auch die privaten Anbieter stossen bei der traditionellen Refinanzierung der exorbitanten Rechtekosten an Grenzen. Weil mit ausschliesslich werbefinanziertem Fernsehen nicht mehr ausreichend verdient werden kann, versuchen auch die privaten TV-Veranstalter eine Direktfinanzierung via Gebühren. Bernie Ecclestone, der Veranstalter der Formel 1, sieht die Zukunft im direkten Zugriff in die Taschen der Sportfans: «In fünf Jahren wird es kein Ereignis im Massensport ohne Pay-TV geben.»
Neben den finanziellen spielen noch andere Aspekte eine Rolle. Live-Sportprogramme können dem Genre «Infotainment» zugeordnet werden und erfüllen ideale Voraussetzungen: Sie signalisieren Wichtigkeit, inszenieren Spannung, Überraschung, Spontaneität, Einmaligkeit und Ungewissheit. Durch eine Übertragung entsteht eine neue Wirklichkeit, die schillernder und extremer ist als die Realität: «Fussball wird erst durch Fernsehen schön» (Tilmann Gangloff). Der amerikanische Fernsehsender NBC hat es in Atlanta fertiggebracht, mit Herz und Schmerz aus einem globalen Ereignis ein amerikanisches Heldenepos zu konstruieren. Die Attraktivität der Sportübertragung liegt gerade darin, dass «Geschichten» erzählt werden, die sich vom Alltag klar abheben und ein charakteristisches Entfliehen erlauben, Erfüllung der Sehnsucht nach Identifikation, einfacher Struktur und weniger Komplexität. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten können Sportübertragungen einen Kontrapunkt setzen, weil Sport einfach, spannend, dynamisch und emotional vermittelt werden kann: «Erfolgreiche Athleten sind das ideale Produkt der kapitalistischen Gesellschaft: strahlend, sauber, ungefährlich» (Lutz Hachmeister).
Das ambivalente Verhältnis von Sport und Fernsehen ist durch die Kommerzialisierungsschübe noch konflikreicher geworden. Die Sportverbände und Veranstalter, aber auch die Sponsoren und Rechtehändler haben sich eingeschaltet und wollen mit dem Sport schnelles Geld verdienen. Sie treiben die Preise in die Höhe und schreiben den Käufern der Übertragungsrechte inhaltlich und formal immer detaillierter vor, wie die Berichterstattung zu erfolgen hat. Wer die festgelegten Konditionen erfüllt und weitreichende Zugeständnisse macht, erhält den Zuschlag. Auf der Strecke bleibt dabei der unabhängige Sportjournalismus, der bei einer totalen Vermarktung ausgedient hat: Schlechte Wettkampfleistungen oder langweilige Spiele gehören der Vergangenheit an. Die Veranstalter nehmen vielfach nicht nur die technische Seite der Übertragung in die Hand, sondern gleichzeitig auch die journalistische Verantwortung. Dies drängt sich bei der Formel 1 besonders auf: Ein einziger fürchterlicher Unfall, der weltweit in Zeitlupe immer und immer wieder gezeigt werden kann, könnte das Ende der Formel 1 bedeuten oder mindestens das grosse Geschäft ruinieren. Auch beim Fussball wird von der totalen Kontrolle geträumt. Vereinspräsident Franz Beckenbauer, der mit seinem FC Bayern einen jährlichen Umsatz von 400 Millionen Mark anstrebt, möchte nicht nur die TV-Rechte in eigener Regie verkaufen, sondern auch sein Produkt in einem unternehmenseigenen Pay-per-view-Sportkanal vermarkten.
Dr. Werner A. Meier (wameier@sfp.unizh.ch)ist Oberassistent und Lehrbeauftragter am Seminar für Publizistikwissenschaft der Universität Zürich.
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Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
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Last update: 09.07.97