Sportmedizin hat sich in der Humanmedizin etabliert und ist im Leistungssport nicht mehr wegzudenken. Die sportmedizinische Betreuung in Form von Präventivmassnahmen zur Verhinderung von sportartenspezifischen Verletzungen und Übertraining, von regelmässigen Gesundheitskontrollen, der Leistungsdiagnostik zur Leistungsoptimierung und von Rehabilitationsprogrammen sind heute für jeden ambitionierten Sportler eine Selbstverständlichkeit. Die Faszination am Spitzenathleten Pferd hat auch in der Veterinärmedizin diese Spezialisierung in den letzten Jahren vorangetrieben.
VON JÖRG A. AUER UND MICHAEL A. WEISHAUPT
Die Forschung im Bereich der Leistungsphysiologie und Sportmedizin hat das Wissen über den arbeitenden Pferdekörper und Einflüsse von Training dramatisch erweitert und zur Entwicklung von neuen diagnostischen Methoden und therapeutischen Mitteln geführt. Die sportmedizinische Betreuung hat zum Ziel, den Athleten unter Erhaltung seiner Gesundheit optimal für eine bestimmte Aufgabe vorzubereiten, leistungsmindernde Einflüsse frühzeitig zu erkennen und diese zu eliminieren.
Diese Aufgabe steht im Mittelpunkt des Sportmedizinischen Leistungszentrums für Pferde (SLP) an der Veterinär-Chirurgischen Klinik der Universität Zürich. Das Zentrum wurde im Zusammenhang mit der Berufung von Prof. Jörg Auer zum Direktor der Veterinär-Chirurgischen Klinik der Universität Zürich ins Leben gerufen. Die Leitung des Zentrums obliegt Dr. Michael A. Weishaupt; er wird unterstützt von Tierärzten der Veterinär-Chirurgischen und Veterinär-Medizinischen Klinik.
Wichtige Informationen über den Gesundheitszustand und über die Leistungsbereitschaft eines Sportpferdes erhält man am arbeitenden Tier. Hier können die verschiedenen Organe, namentlich der Bewegungsapparat, der Atmungsapparat und das Herz- Kreislauf-System, auf ihre Funktion hin überprüft werden. Das deshalb wohl wichtigste Arbeitsinstrument des Leistungszentrums ist das Hochgeschwindigkeitslaufband der Schweizer Firma Kagra AG aus Fahrwangen (Abb. 1). Die Lauffläche des Laufbandes kann stufenlos bis 14,5 m/s (etwa 52 km/Std.) beschleunigt und vorne bis zu einer Steigung von 11 Prozent angehoben werden. Die Pferde können auf diese Weise hohen Arbeitsintensitäten ausgesetzt und es kann nahe an ihrer Leistungsgrenze gearbeitet werden, ohne dass sie maximale Geschwindigkeiten im Galopp oder Trab laufen müssen.
Abb. 1: Das mit einem Aufhängegurt
gesicherte Pferd bewegt sich in lockerem Trab auf dem vorne
hochgestellten Laufband.
Die Laufplattform besteht aus drei miteinander starr
verschraubten Stahlplatten. Diese Plattform liegt auf 16
gefederten Widerlagern, welche die Auffussungskräfte effizient
dämpfen und am Laufkomfort dieses Laufbandes massgeblich
beteiligt sind. Während der Arbeit bei hohen Geschwindigkeiten
sind die Pferde mit einem Bauchgurt an einer Aufhängevorrichtung
gesichert; sollte ein Pferd stürzen, wird es mit diesem
Sicherheitsgurt aufgefangen, und das Laufband stellt automatisch
ab. Vor Überhitzung schützt ein speziell entwickeltes
Gegenwindgebläse. Vor den eigentlichen Laufbanduntersuchungen
werden die Pferde in mehreren Angewöhnungslektionen mit den
Apparaturen und dem Laufband vertraut gemacht. Die Arbeit mit den
Pferden auf dem Laufband gestaltet sich in der Regel problemlos.
Verschiedene zusätzliche Apparate wie Videoendoskop, Videoausrüstung und Spirometriegerät stehen im Zentrum zur Verfügung.
Erkrankungen des Bewegungsapparates sind immer noch die häufigste Ursache für einen Unterbruch oder gar für den frühzeitigen Abbruch einer sportlichen Karriere eines Sportpferdes. Neben der traditionellen Beurteilung des Bewegungsablaufes «von Auge», existieren verschiedene Hilfsmittel, um die Bewegungen genauer studieren oder gar markante Eigenschaften der Bewegung messen zu können. Auf dem Laufband laufen die Pferde bei einer vorgegebenen Geschwindigkeit äusserst regelmässig. Das Pferd kann man dabei von allen Seiten genauestens beobachten. Subtile Abweichungen vom normalen Gangmuster kann man somit besser erkennen. Auch für Bewegungsstörungen, welche sich erst bei hohen Geschwindigkeiten manifestieren, eignet sich das Laufband ausgezeichnet. Wo das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges nicht mehr ausreicht, hilft eine Videoaufzeichnung. Je nach dem, wie viele Bilder pro Sekunde angefertigt werden, löst die Zeitlupenbetrachtung jede einzelne Bewegung bis ins kleinste Detail auf. Mit reflektierenden Markern an prominenten Körperteilen kann zusätzlich die Beobachtung von sehr schnell sich bewegenden Körperteilen vereinfacht werden.
Ein messbarer Parameter, der genauestens über die Belastungsverhältnisse einer Gliedmasse Auskunft gibt, ist die vom Huf auf den Boden ausgeübte Kraft. Hat das Pferd in der betreffenden Gliedmasse Schmerzen, wird es dieses Bein weniger stark und weniger lang belasten, und somit ist die Kraft auf den Boden entsprechend vermindert. Diese Kräfte zu messen, und zwar von allen Gliedmassen gleichzeitig, hat sich die Veterinär-Chirurgische Klinik als Entwicklungsziel gesetzt. Beim Laufband des Leistungszentrums wurden deshalb zwischen den Widerlagern und der Stahlplattform Drucksensoren der Firma Kistler, Winterthur, eingebaut. Diese messen alle auf die Lauffläche einwirkenden Kräfte. Zusammen mit den Daten eines Ortungssystems, welches die genaue Position der 4 Gliedmassen auf dem Laufband erfasst, werden die 4 Kraftkurven zurückgerechnet und deren Verlauf dargestellt. Dieses System, das sich im Endstadium der Entwicklung befindet, wird uns wichtige Informationen über die Kraftverteilung zwischen den verschiedenen Gliedmassen bei Lahmheiten und nach erfolgter Therapie geben. Auch wird es interessant sein, den Einfluss der Ermüdung auf die Auffussungskräfte zu studieren, da sich die Pferde gerade in diesen Momenten die meisten Gliedmassenverletzungen zuziehen.
Abb.2: Herzfrequenz-Verlauf und
Milchsäureproduktion eines Vollblutpferdes während eines
Mehrstufenbelastungstests. Mit zunehmender
Laufbahngeschwindigkeit (Belastung) steigt die Herzfrequenz
linear (Punkte) und die Milchsäurekonzentration im Blut (Rauten)
exponentiell an. Bei diesem Pferd wurde die Bandgeschwindigkeit
in Intervallen von 0,5 m/s, welche je 1 Minute beibehalten wurde,
von 0,5 m/s, auf 8,0 m/s erhöht. Am Ende des Tests fällt die
Herzfrequenz exponentiell ab, während die
Milchsäurekonzentration im Blut zuerst zu ihrem Maximum
ansteigt, um dann ebenfalls abzufallen.
Ein weiteres Schlüsselorgan, das massgebend an der
Leistungsbereitschaft eines Pferdes mitbeteiligt ist, ist die
Lunge mit ihren oberen Atemwegen. Das Atmungssystem ist dafür
verantwortlich, dass der Körper jederzeit, also auch unter
maximaler körperlicher Anstrengung, mit genügend Sauerstoff
versorgt wird. Ist die Sauerstoffversorgung ungenügend, erreicht
das Pferd seine Leistungsgrenze viel zu früh. Leider sind immer
mehr Pferde zu einem unterschiedlichen Grad lungenkrank, und da
der Atmungsapparat in Ruhe eine grosse Reservekapazität besitzt,
äussern sich leichtgradige Erkrankungen häufig erst unter
Belastung in Form einer Leistungsschwäche. Probleme der oberen
Atemwege manifestieren sich in den allermeisten Fällen nur unter
hoher Belastung. Häufig kann nur auf Grund von Beobachtungen des
Reiters, Jockeys oder Fahrers während eines Wettkampfes auf eine
spezifische Veränderung geschlossen werden, zum Beispiel nach
Aussagen wie: «Das Pferd hat sich im Zielbogen plötzlich
verschluckt, nach Luft geschnappt», oder: «Das Pferd hat ein
gurgelndes Atemgeräusch von sich gegeben und ist dann sofort
zurückgefallen.»
Verschiedene Erkrankungen des Rachens und Kehlkopfes sind mit dieser Beschreibung vereinbar. Mit Hilfe einer Belastungsendoskopie auf dem Laufband lassen sich solche Zustände häufig reproduzieren und genau diagnostizieren. Das Endoskop wird durch einen Nasengang eingeführt und so positioniert, dass der Rachen und der Kehlkopf überblickt werden können. Die Beobachtungen werden auf Video aufgezeichnet und können anschliessend genau analysiert werden. Auf diese Weise kann eine zuverlässigere Diagnose gestellt werden. Gleichzeitig lassen sich mit dieser Untersuchung der Grad der Erkrankung bzw. der Grad des Luftwiderstandes beurteilen, was bei der Wahl der optimalen chirurgischen Korrektur eine wichtige Rolle spielt.
Eine weitere Methode zur Beurteilung der Funktion des Respirationsapparates ist die Spirometrie (Lungenfunktionsmessung) unter Belastung. Mit der ETH Zürich und der Firma Isler Bioengineering AG, Zürich, wurde ein auf Ultraschall-Messtechnik basierendes Lungenfunktionsgerät entwickelt. Es besteht aus einem Messkopf, welcher die Ultraschallsensoren beherbergt, und einer ultraleichten Pferdemaske aus PET-Material. Das Gerät ist in der Lage, den Atemfluss, das Atemzugvolumen, die Atemfrequenz und andere Parameter zu messen. Atemwiderstände der oberen Luftwege oder der Lunge beeinflussen das Atemmuster nachhaltig, was sich in den Lungenfunktionsparametern widerspiegelt. Diese Messungen liefern ebenfalls wertvolle Informationen bei der Kontrolle von chirurgischen Korrekturen von Erkrankungen der oberen Luftwege. Auf diese Weise kann der Chirurg seinen Eingriff auf Funktionalität hin beurteilen.
Sportliche «Leistungsfähigkeit» ist eine Kombination von verschiedenen Eigenschaften. Diese Eigenschaften können grob in Beweglichkeit, Koordination, Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer eingeteilt werden. Für jede spezifische Sportart bzw. Disziplin sind diese Eigenschaften durch sportartenspezifisches Training subtil aufeinander abgestimmt. Die Ausdauerkapazität oder Kondition ist eine grundlegende Eigenschaft, welche für alle Sportdisziplinen die Basis bildet. Standardisierte Leistungstests, welche die Ausdauerkapazität selektiv prüfen, sind beim Menschen bestens etabliert und werden zur Trainingskontrolle regelmässig durchgeführt. Auch beim Pferd sind solche Tests, sogenannte Mehrstufenbelastungstests, durchführbar. Dabei werden die Pferde in Intervallen von 90 Sekunden bis 2 Minuten progressiv höher belastet. Simultan wird die Herzfrequenz gemessen und pro Stufe eine Blutprobe für die Milchsäurebestimmung entnommen. Je tiefer die Herzfrequenz und je tiefer die Milchsäureproduktion im Muskel bei einer definierten Belastungsintensität ist, desto besser konditioniert ist das Pferd. Mit wiederholten Leistungstests während einer Trainingsperiode können die Ansprechbarkeit des Trainings objektiviert, Trainingsstimuli feiner abgestimmt, Übertraining vorgebeugt und gesundheitliche Probleme frühzeitig erkannt werden.
Die sportmedizinische Untersuchung basiert immer auf einer sorgfältigen orthopädischen und medizinischen Untersuchung. Die oben beschriebenen Spezialuntersuchungen werden ergänzend und gezielt eingesetzt. Informationen und Erfahrungen von Trainern und Reitern haben einen ebenso hohen Stellenwert. Jedes individuelle Pferd soll als Ganzes erfasst werden. Auf diese Weise erhoffen wir uns, in Zusammenarbeit mit Besitzern, Trainern, Reitern und Fahrern das Leistungspotential eines jeden Pferdes voll ausschöpfen zu können.
Nur ein körperlich und geistig gesunder Athlet erbringt Topleistungen.
Dr. Jörg A. Auer ist ordentlicher Professor, und Dr. Michael A. Weishaupt (mawslp@vetchir.unizh.ch)ist Leiter des Sportmedizinischen Leistungszentrums für Pferde an der Veterinär-Chirurgischen Klinik der Universität Zürich.
unipressedienst Pressestelle der
Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
http://www.unizh.ch/upd/magazin/4-96/
Last update: 09 Jul 1997