Magazin der Universität Zürich Nr. 4/96

Sport zwischen Spiel und Kampf

Der Körper spricht viele Sprachen: Die Sprache der unwillkürlichen Haltung und des Ausdrucks, die Sprache der Schmerzen und der Krankheiten, der Sexualität. Sport ist eine Sprache unter vielen. Wie jede Sprache sagt sie ebensoviel aus über die Person, die spricht, wie über die gesellschaftliche Situation, in der gesprochen wird.

Sport ist eine Sprache der Paradoxe: Eine Sprache des Zuviel (wer zählt die Wracks, die Spitzensport hinterlassen kann, wenn der Ruhm vorbei ist?) und des Zuwenig (das sind wir anderen, die meist zuwenig Sport treiben). Sport als sogenannt wichtigste Nebensache der Welt – ein weiteres Paradox – füllt unsere Medien, füllt Kassen, füllt unsere Freizeit – nicht immer als Aktivsport, zumindest aber als Gerede über Sport. Es ist kein Zufall, dass diese dritte gemeinsame Ausgabe des Magazins der Universität Zürich und des Bulletins der ETH Zürich das Thema Sport zuerst als Mediensport aufgreift. Als individuelles, gesellschaftliches und nicht zuletzt ökonomisches Spektakel.

Das Reden über Sport ist das eine, der Sport selbst das andere. Doch über den Transmissionsriemen der Medien treibt beides in eine Richtung, der wir heute zunehmend kritischer gegenüberstehen. Sportgerede, aber auch der Sport selbst sind für den Zeichenwissenschaftler Umberto Eco nur noch Gerede um des Redens willen, potenziert zum sinnbetäubenden Geräusch. Dies gilt für das Spektakel des Hochleistungssports besonders. Aber auch im Freizeitsport setzen sich immer extremere Formen durch. Risikosportarten oder Thriathlon als moderne Ersatzform der Sinnsuche – auch damit setzt sich dieses Magazin auseinander.

Was ist der eigentliche Ursprung des Sports, das, was uns letztlich fasziniert? In unseren Alltagsfloskeln über den Sport ist noch etwas vom möglichen Ursprung des Sports enthalten: «Sport und Spiel» etwa geht uns leicht über die Lippen. Der Ursprung des Sports war einmal – könnten wir uns vorstellen – die nicht zweckgerichtete, die aus blosser Freude an der Bewegung ausgeführte Handlung. Das spielerische Werfen eines Steins oder das Laufen nur um der Lust am Laufen willen. Die zweckfreie Verschwendung von Energie schlechthin. Wieviel Spielerisches ist im Sport heute noch enthalten?

Spätestens im Moment des Wettkampfes wird aus dem Spiel ein Handel. Gewinn und Verlust schleichen sich ein. Aus der Freude an der Bewegung wird Leistungssport. Die einseitige Orientierung daran hat vielleicht manchem Schulkind die Freude an der Bewegung früh vergällt. Vielleicht müssten wir unsere natürliche Bewegungsfreude als Erwachsene nicht mühsam an Maschinen im Fitnessstudio, mit allerlei technischem und modischen Gerät und Zubehör oder extremen Erlebniswelten und wechselnden Modewellen wieder hervorkitzeln lassen, wenn man sie uns, als wir Kinder waren, nicht aberzogen oder zumindest in genau vorgegebene Bahnen gelenkt hätte. Doch hier zeichnet sich ein Wandel ab. «Bewegung ist mehr als Sport», lautet die neue Devise. Das kommt in den hier präsentierten Beiträgen zur Sportwissenschaft, zur Gesundheit und Prävention zum Ausdruck. Es muss sich aber noch breitenwirksam durchsetzen.

Allerdings: Vielleicht hat es den Ursprung des Sports aus dem Spiel nie gegeben. Vielleicht entstand Sport von vornherein aus Jagd und Kampf, aus der Vorbereitung zu noch besserer Jagd, noch erfolgreicherem Kampf und der damit verbundenen Herausforderung. Sparta lässt grüssen, aber auch unsere Leistungsgesellschaft. Deren Verknüpfung mit der Konsum- und Medienwelt erst führt die zu kritisierenden Auswüchse eines pervertierten Hochleistungsports zur Vollendung. Ohne diese Verknüpfung würde die Umformung der sportlichen Hochleistungskörper mit Hilfe von Technik und Medizin nicht im gleichen Masse stattfinden. Dafür sind nicht Technik und Medizin in erster Linie verantwortlich zu machen. Vielfach werden auch Mahnungen der Sportmediziner überhört, wie das Beispiel Höhenmedizin zeigt. Und Erkenntnisse, die an der Rehabilitation von Spitzensportlern gewonnen werden, können wiederum «normalen» Patienten zugute kommen. Auch das illustrieren Magazinbeiträge.

Höher, schneller, weiter? In manchen Sportarten und auch in den Sportwissenschaften kündet sich ein Umdenken an. Es kann modisch «Wellness» heissen, sportwissenschaftlich mit der Wende von der Aussensicht zur Innensicht umschrieben werden oder sich ganz anders präsentieren. Zum Beispiel in Anlehnung an die dem Zenbuddhismus nahe stehenden Sportpraktiken. Dabei ist die völlige Beherrschung der Bewegungsformen durch Üben, Nachahmen und Wiederholen die eine Seite, die Absichtslosigkeit, das kindlich spielerische Geschehenlassen der Bewegung die andere Seite. Beide Seiten wirken zusammen – auf dem Weg zum inneren Ziel, auf dem auch das äussere Ziel nicht verfehlt werden kann. Eine Neuorientierung ist im Gange: weg vom einseitigen Leistungsprinzip hin zu Sportformen, die mehr auf die Körper und ihre Bedürfnisse, auf ihre vielen Sprachen hören.

Martina Märki-Koepp (maerki@sl.ethz.ch), Heini Ringger (ringger@zuv.unizh.ch)


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Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
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Last update: 09.07.97