Vom Schwindel gepackt |
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Bei fast der Hälfte der Leute, die an Schwindel leiden, ist bis heute unklar, worin ihr subjektiv gestörtes Körper-Raum-Verhältnis begründet liegt. Ein einzigartiger 3-D-Drehstuhl, der seit wenigen Monaten an der Neurologischen Klinik der Universität Zürich in Betrieb ist, soll neue Erkenntnisse bringen. |
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Unser Raum- und Bewegungssinn im dreidimensionalen Raum hängt im wesentlichen von drei sensorischen Eingängen ab, deren Informationsflüsse dem Stamm-, Klein- und Grosshirn zur Verfügung gestellt werden: den Beschleunigungsmessern im Innenohr, dem Sehsystem und dem sensorischen System von Haut, Gelenken und Muskeln. Beeinträchtigungen dieser Sinneseingänge oder deren Verarbeitung im Gehirn führen zu Gleichgewichtsstörungen und / oder Schwindel. Während bei langsamen Bewegungen des Kopfes und des Körpers im Raum alle drei Informationsflüsse einander ergänzen, ist nur das vestibuläre Organ in der Lage, hochfrequente Bewegungen zu registrieren. Das Signal aus dieser Ansammlung von Beschleunigungsmessern im Innenohr ist entscheidend, um die Augen bei jeder noch so kleinen Kopfbewegung stabil im Raum zu halten. Ohne den vestibulo-okulären Reflex würden sich die Augen bei jedem Schritt und jedem Herzschlag gegenüber der Umwelt bewegen, und unser Bild der Umwelt würde völlig verwackelt, wie bei einer bewegten Kamera ohne Stabilisierungselektronik. Damit die Augen auch bei hohen Kopfbeschleunigungen (beim Gehen und Rennen: 0,55,0 Hz) im Raum ruhig gehalten werden können, ist der vestibulo-okuläre Reflex in den Neuronen des Stammhirns als «Open-loop»-System implementiert, das heisst, der Signalfluss geht vom vestibulären Organ im Innenohr über zwei bis drei Synapsen direkt zu den Augenmuskeln. Dank dieser kurzstreckigen Verschaltung beträgt die Latenz zwischen dem Anfang der Kopfbewegung und dem Anfang der kompensatorischen Augenbewegung weniger als 16 Millisekunden. Kalibrierung Der Verzicht des vestibulo-okulären Reflexes auf eine Rückkopplung wird allerdings teuer erkauft: Die Leistung des Reflexes muss permanent gemessen werden, damit die Gewichte der synaptischen Übertragungen entsprechend angepasst werden können (Kalibrierung). Setzt ein Kurzsichtiger zum Beispiel seine Brille auf, muss sich das Auge sofort weniger weit bewegen, um die Richtung der Sehachse zu verändern. Kann sich der vestibulo-okuläre Reflex nicht an diese neue Situation anpassen, kommt es bei jeder Kopfbewegung zu einer Bewegung des Auges gegenüber der Umwelt mit entsprechend verwackeltem Bild. Die Kalibrierung des vestibulo-okulären Reflexes findet über das Sehsystem statt. Dabei wird bei jeder Kopfbewegung die Verschiebung der Umwelt auf der Netzhaut gemessen und der Verstärkungsfaktor des Reflexes so verändert, dass diese Verschiebung minimal bleibt. Alter und Krankheiten können zu Minderfunktionen des vestibulären Organs im Innenohr oder des nachgeschalteten vestibulo-okulären neuronalen Netzwerkes führen. Aber auch die Gehirnstrukturen, die den vestibulo-okulären Reflex kalibrieren, können beeinträchtigt werden. In der Diagnostik von Schwindel und Gleichgewichtsstörungen wird als erster Schritt immer geprüft, ob eine Fehlfunktion des vestibulo-okulären Reflexes vorliegt. Je nach Resultat schliessen sich weitere Funktionsprüfungen, zum Beispiel der visuellen Verarbeitung, an. Den Raum erfahren Der vestibulo-okuläre Reflex ist dreidimensional (3D) organisiert, was nicht überrascht, da wir uns ja in einer 3-D-Umwelt bewegen. Kopfbewegungen um beliebige Achsen im Raum und in beliebige Richtungen werden vom vestibulären Organ problemlos erfasst. Das 3-D-Signal wird zum Gehirn geleitet, welches daraus eine kompensatorische 3-D-Augenbewegung errechnet und dieses neue Signal an die Augenmuskeln weiterleitet. Die Transformation eines 3-D-Eingangsvektors in einen 3-D-Ausgangsvektor, welche im Stamm- und Kleinhirn erfolgt, wird durch mehrere Faktoren kompliziert:
Diese Überlegungen zeigen, dass eine adäquate Beschreibung des vestibulo-okulären Reflexes in drei Dimensionen erfolgen muss. Volker Henn (19431997), der ehemalige Leiter des Vestibulo-Okulomotorischen Labors an der Zürcher Neurologischen Klinik, war einer der ersten, der erkannte, dass zu diesem Zweck dynamisch-präzise 3-D-Drehstühle gebaut werden müssen. |
Glossar |
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Vestibuläres Organ: |
Das vestibuläre Organ ist eine Ansammlung von mikroskopisch kleinen Beschleunigungssensoren im Innenohr, welche die Winkel- und Linearbeschleunigungen des Kopfes messen. Über den achten Hirnnerv wird das neuronale Signal an das Hirn weitergeleitet. |
Vestibulo-okulärer Reflex: | Dieser Reflex dient der Stabilisierung der Augen im Raum bei Kopfbewegungen. Die Bewegung des Kopfes wird vom vestibulären Organ gemessen. Über einen Reflexbogen im Stammhirn werden kompensatorische Bewegungen der Augen in die Gegenrichtung der Kopfbewegungen ausgelöst. |
Dr. Dominik Straumann ist Privatdozent für das Gebiet «Neurologie» an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universität Zürich.