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Schichtbilder und Stoffwechselkarten des Hirns

Die Magnetresonanz-Tomographie stellt heute die wichtigste und zentralste Untersuchungsmethode der Neuroradiologie dar. Ihre Vorteile gegenüber herkömmlichen bildgebenden Verfahren sind gross und ihre Anwendungsbereiche noch lange nicht ausgeschöpft. Ein Überblick

VON PETER BÖSIGER UND ANTON VALAVANIS
Die Magnetresonanz-Tomographie (Magnetic Resonance Imaging, MRI) hat als bildgebendes Verfahren in den vergangenen Jahren in der klinischen Routinediagnostik rasch grosse Verbreitung gefunden. Sie wird in der Neuroradiologie eingesetzt zur strukturellen und funktionellen Untersuchung des Gehirns und seiner Erkrankungen. Die Bildgebung basiert dabei auf den magnetischen Eigenschaften der Wasserstoffkerne, welche unter der Wirkung von äusseren Magnetfeldern ausgerichtet und durch Radiowellen angeregt werden (siehe Kasten).

Die Vorteile des neuen Verfahrens im Vergleich zur herkömmlichen Bildgebung mit Röntgenstrahlen oder Ultraschallwellen liegen im extrem hohen Kontrast, mit welchem die verschiedenen Weichteilstrukturen und Organe des menschlichen Körpers dargestellt werden. Die Technik erlaubt damit eine sehr differenzierte Beurteilung anatomischer Strukturen und deren Veränderungen bei Erkrankungen. Ausserdem ist sie für den menschlichen Körper nach heutigen Erkenntnissen unschädlich, da keine ionisierende Strahlung eingesetzt wird. Neue Magnetresonanz-Verfahren erlauben auch Einblick in die Funktionsweise von Organen und zeigen damit neue physiologische Aspekte des Menschen auf.

Anatomische Strukturen

Strukturelle MRI-Aufnahmen gestatten nichtinvasive anatomische Einblicke in lebende Körper, wie sie mit keiner anderen Methode möglich sind. Aufgrund deutlich unterschiedlichen Verhaltens im MR besteht zwischen der das Hirn umgebenden und dessen Kammer füllenden Hirnflüssigkeit und dem Nervengewebe ein hoher Kontrast. So lassen sich mühelos die flüssigkeitshaltigen Hirnfurchen (Sulci) zwischen den Hirnwindungen (Gyri) erkennen.
Neben hochauflösenden Schnittbildern in jeder beliebigen Ebene ist es auch möglich, mittels Computer-Bildnachverarbeitung (Segmentierung) die äussere Schädelkapsel mit den Hirnhäuten zu subtrahieren und somit den Blick freizugeben auf ein dreidimensional rekonstruiertes sulco-gyrales Relief der Hirnoberfläche. Derartige Abbildungen, die wie anatomische Hirndarstellungen imponieren, gestatten eine präzise Zuordnung bis hin zur kleinsten Hirnwindung.

Auch innerhalb des Nervengewebes lassen sich graue und weisse Substanz differenzieren. Dies ermöglicht, den äusseren Hirnmantel, der den Cortex bildet, sowie die in der Tiefe liegenden Kerngebiete von der weissen myelinhaltigen Substanz zu unterscheiden.

Eingebettet in die Masse

der weissen Substanz verlaufen parallel ausgerichtete und dicht gepackte, definierte funktionelle Fasersysteme, wie zum Beispiel die Sehstrahlung, die wegen des dort konzentrierten Myelingehalts innerhalb des Marklagers in ihrem Verlauf im MR identifizierbar sind.

Bestimmte Hirnareale weisen einen erhöhten Gehalt von biologischen Eisen, wie zum Beispiel Ferritin, auf. Wegen des starken paramagnetischen Effekts des eingelagerten Eisens werden diese Areale damit im MR markiert. Darum sind neben anderem Nukleus ruber und Substantia nigra im Mittelhirn im MR als dunkle Strukturen gut sichtbar.

An der Hirnbasis sind die Hirnnerven, die von Hirnflüssigkeit umgeben sind, zuverlässig darstellbar. Das Lumen von Gefässen mit fliessendem Blut zeigt sich in der Regel als Struktur ohne Signal, das heisst, es erscheint schwarz (hypointens) im starken Kontrast zur Umgebung. Durch entsprechende spezielle Untersuchungsmodi (Pulssequenzen) und Bildnachbearbeitung ist es möglich, die Gefässe hell hervorzuheben und Aufnahmen anzufertigen, die den Katheterangiographien ähnlich sind.

Monitoring von Stoffwechselprodukten

Lokalisierte Magnetresonanz-Spektroskopie (MRS) (Abb. 1) in vivo wird eine Technik genannt, welche die Signale von einzelnen Stoffwechselprodukten, zum Beispiel des menschlichen Gehirns, räumlich aufgelöst erfasst und somit einen direkten Einblick in die Hirnphysiologie erlaubt. Charakteristische Veränderungen in den Stoffwechselmustern können dabei Hinweise auf Erkrankungen des Gehirns geben. Da die Magnetresonanz-Techniken für den Patienten völlig unschädlich sind, eignen sie sich auch zur wiederholten Untersuchung, also zum Studium des Verlaufs von Erkrankungen oder zur Evaluation von Therapieerfolgen.

Bei den heute am häufigsten eingesetzten Techniken der Single Volume Spectroscopy werden ein oder mehrere Volumenelemente auf dem Magnetresonanz-Bild ausgewählt und darin die spektroskopischen Untersuchungen vorgenommen.

Das Spectroscopic Imaging erlaubt die räumlich aufgelöste spektroskopische Analyse eines grösseren Hirnbereichs innerhalb einer einzigen Untersuchung. Aus den Messdaten können Stoffwechselkarten gerechnet werden, bei denen die lokalen Metabolitenkonzentrationen in Farbe dem anatomischen Bild überlagert sind. Diese Metabolitenbilder erlauben es, intaktes Nervengewebe von erkrankten Bereichen zu unterscheiden.

Die Methode der Single Volume Spectroscopy von Wasserstoffkernen wurde in Zusammenarbeit mit der Klinik für Neurologie des Universitätsspitals Zürich (Prof. H.G. Wieser) zur präoperativen Untersuchung von Patienten eingesetzt, welche auf medikamentöse Behandlung ihrer Epilepsie-Krankheit nicht oder nicht mit dem gewünschten Erfolg reagieren. Die Studie hat charakteristische Abweichungen vom normalen Stoffwechsel an jenen Stellen aufgezeigt, wo auch konventionelle, das heisst invasive oder strahlungsbelastende, Techniken den epileptischen Fokus lokalisiert haben (Abb. 2). Ausserdem konnten erhebliche Veränderungen des Stoffwechsels im ganzen Gehirn dokumentiert werden.

Neue spezielle Techniken (spectral editing) lassen die Erfassung der Signale von Gamma-Aminobutyrat (GABA) zu, einem wichtigen inhibitorischen Neurotransmitter des Zentralnervensystems, welcher Zielsubstanz vieler antiepileptischer Medikamente ist.

Es ist gelungen, Patientengruppen, welche auf bestimmte Medikamente positiv ansprechen, gegenüber solchen abzugrenzen, bei welchen Behandlung mit demselben Medikament wenig Aussicht auf Erfolg verspricht. Das direkte Monitoring von GABA erlaubt nicht nur die Ermittlung der Dosis-Wirkungs-Abhängigkeit und damit die Optimierung der Verabreichung von Medikamenten, sie hilft auch in der Planung und Neuentwicklung von medikamentösen Strategien. Mit sehr ähnlichen Verfahren kann auch Glutathion erfasst werden, eine Substanz, welche bei Patienten mit Schizophrenie eine wichtige Rolle spielt.

Abbildung 1 (oben): Moderner Kernspin-Tomograph für Bildgebung und lokale Magnetresonanz-Spektroskopie, wie er an der gemeinsamen Forschungsabteilung von Universität und ETH am Universitätsspital Zürich eingesetzt wird.

Abbildung 2 (rechts): Coronales und transversales Magnetresonanz Bild des Gehirns und 1H-Spektren aus dem Hippocampus mit dem epileptischen Fokus (Volumenelemente links in den Bildern, unteres Spektrum) und aus der entsprechenden Region der gegenüberliegenden gesunden Seite.

Hirnaktivitäten sichtbar

Die funktionelle Magnetresonanz-Bildgebung (fMRI) wird seit kurzer Zeit als neue Methode eingesetzt, um durch externe Stimulationen aktivierte Hirnregionen bildlich darzustellen. Dass aktivierte Hirnregionen von den nicht stimulierten Regionen unterscheidbar sind, hat verschiedene Ursachen.

Eine wichtige Rolle spielen Veränderungen der Durchblutung des Gewebes und des Sauerstoffgehaltes des Blutes, indem aktivierte Hirnregionen einen deutlich höheren Blutfluss aufweisen als das übrige Hirngewebe und der an das Hämoglobin gebundene Sauerstoff bei erhöhter Sättigung seine magnetischen Eigenschaften verändert (blood oxygenation level deficiency, BOLD-Effekt). Beide Effekte beeinflussen die gemessenen Signalamplituden und damit die Helligkeit, mit welcher die aktivierten Strukturen im Magnetresonanz-Bild dargestellt werden.

Bei einem typischen Experiment wird zuerst ohne Stimulation eine zeitliche Reihe von Schichtbildern gemessen. Anschliessend werden mit den gleichen Messparametern mit einer eingeschalteten Stimulationsquelle Bilder aufgezeichnet. Vergleicht man die beiden Zeitreihen von Bildern, so findet man mit speziellen statistischen Verfahren die aktivierten Hirnregionen.

Im einfachsten Fall – die externe Stimulation wird periodisch ein- und ausgeschaltet – können die zeitlichen Verläufe entsprechender Bildpunktwerte der einzelnen Bilder mit der Stimulationsfunktion korreliert werden. Die Werte, welche einen vorgegebenen Schwellwert der Korrelationsfunktion überschreiten, werden als Farbwerte kodiert auf hochauflösende strukturelle Abbildungen übertragen und damit präzis anatomisch kartiert (Abb. 3).

Diese Methode eröffnet ein breites Feld zur weiteren Erforschung der strukturell-funktionellen Organisation des Gehirns bei Gesunden und ihrer Deviationen bei Erkrankten.

Bei der Erforschung komplexerer Systeme als die der primären sensomotorischen Zentren sind ausgeklügelte Paradigmen zur zuverlässigen reproduzierbaren Anregung entscheidend. Zur Auswertung der Messdaten derartig komplexer Untersuchungen, bei welchen die Stimulation nicht exakt beschrieben werden kann – wie zum Beispiel beim Lösen von Rechenaufgaben oder bei Tests des kurzzeitigen Erinnerungsvermögens –, kann die Methode mit der Korrelation nicht angewandt werden. Es muss nach anderen mathematischen Verfahren gesucht werden, um die Hirnaktivation nachzuweisen.

Mit auf Fuzzy Clustering basierenden Methoden konnte gezeigt werden, dass bei externer Stimulation die Resultate mit den Resultaten der Korrelationsverfahren übereinstimmen. Für die neuen Anwendungen müssen diese Algorithmen vorerst weiter untersucht und auch die Messprotokolle weiter ausgebaut werden. Kreative Vorschläge auf diesen Gebieten sind ganz besonders aus der intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit von Neurologen, Neuroradiologen, Psychiatern, Psychologen, Neurophysiologen, Naturwissenschaftlern und Ingenieuren zu erwarten.

Abbildung 3: Transversales Schichtbild des Gehirns eines Probanden; farbig markiert sind die durch visuelle Stimulation aktivierten Hirnregionen. Das Diagramm zeigt den zeitlichen Verlauf der Signalamplitude respektive der Gewebehelligkeit der aktivierten Hirnregionen (rote Linie) im Vergleich zum zeitlichen Verlauf der Stimulation (schwarze Linie).



Was ist die magnetische Kernresonanz?

Die magnetische Kernresonanz, in der Medizin heute kurz als Magnetresonanz bezeichnet, basiert auf der Tatsache, dass eine Reihe von Atomkernen, wie unter anderem die biologisch interessanten 1H-, 31P-, 13C-Kerne, einen Eigendrehimpuls oder Spin aufweisen. Gekoppelt an diesen Spin tritt ein magnetisches Kernmoment auf. Unter der Wirkung von äusseren Magnetfeldern richten sich diese Kernmomente vorzugsweise in Feldrichtung aus, wodurch ein makroskopisches Dipolmoment oder eine Magnetisierung der untersuchten Probe entsteht.
Durch kurze Radiowellenpulse, deren Frequenz genau mit der Eigenpräzessionsfrequenz oder Larmorfrequenz der Magnetisierung übereinstimmt, wird diese Magnetisierung aus ihrer Gleichgewichtslage ausgelenkt. Sie beginnt zu präzessieren und induziert in einer Empfangsspule ein Radiofrequenzsignal, welches als das Kernresonanzsignal bezeichnet wird. Bei der Bildgebung werden aus diesen Signalen Magnetresonanz-Bilder erzeugt; bei der Kernresonanz-Spektroskopie werden durch genaue Messung der Frequenz dieser Signale Rückschlüsse auf die chemischen Bindungen gezogen, in welchen die beobachteten Atome vorliegen.


Weitere Informationen zum Thema finden sie auf der Web-Seite: http://www.unizh.ch/phar/sleep/


Dr. Peter Bösiger ist ausserordentlicher Professor am Institut für Biomedizinische Technik
und Medizinische Informatik von Universität und ETH Zürich.
Dr. Anton Valavanis ist ordentlicher Professor für Neuroradiologie am Institut für medizinische Radiologie der Universität Zürich.



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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Daniel Bisig (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 14.10.98