Neurobiologie von Psyche und Gehirn |
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Statistisch gesehen erkrankt jeder vierzehnte Mensch über 65 Jahre an Alzheimer. Und weil wir immer älter werden, wird es auch immer mehr Alzheimerpatienten geben. Die Grundlagenforschung versucht, dieser äusserst komplexen Krankheit mit Tiermodellen auf die Spur zu kommen. |
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Das Wechselspiel zwischen Geist und Gehirn hat zwar noch keine definitive Beschreibung gefunden, aber klar ist, dass geistige Fähigkeiten ein Ausdruck der Aktivität des Gehirns sind und dass umgekehrt Erfahrungen des Geistes unser Gehirn prägen. Unklar ist, welche biologischen Vorgänge im Gehirn die Psyche bestimmen. Von einem besseren Verständnis der neuroanalen Steuerung der Psyche werden auch Hinweise auf neue Möglichkeiten der Behandlung psychischer Erkrankungen erwartet. Sigmund Freud als Neurobiologe? In seinem 1895 erschienenen Werk «Entwurf einer Psychologie» schlug der damals wenig bekannte Wiener Psychiater Sigmund Freud vor, dass die Mechanismen von normalen und abnormalen psychischen Vorgängen auf die Funktion neuronaler Schaltkreise zurückgeführt werden könnten. Nach anfänglichen Studien der Pharmakologie (Therapie mit Kokain), der Neurologie (Aphasie bei Kindern) und der Neurobiologie (Histologie von Nervenzellen) hat Freud jedoch sein ursprüngliches Projekt und damit die neurowissenschaftliche Beschreibung der Psyche aufgegeben. An ihre Stelle trat bei Freud eine rein psychodynamische Betrachtung (Psychoanalytik und Psychotherapie). Inzwischen lassen jedoch konzeptuelle und technische Entwicklungen der Neurowissenschaften es möglich erscheinen, die neuronalen Mechanismen von normalen kognitiven Prozessen zu erfassen und psychische Erkrankungen als Störungen des neuronalen Gleichgewichts verstehen zu lernen. Für psychische Erkrankungen sind bisher praktisch keine pathophysiologischen Marker bekannt, wie zum Beispiel ein erhöhter Blutzuckerspiegel für Diabetes charakteristisch ist. Psychische Erkrankungen sind daher weitgehend über Syndrome definiert. Ihr Verlauf ist mit exzessivem Leiden, hoher Morbidität und Mortalität verbunden. Der Versuch der Neurowissenschaften, eine Psychopathologie der neuronalen Verschaltungen zu entwickeln, erscheint daher sinnvoll und vielversprechend. Freuds ursprüngliches Projekt ist hochaktuell. Erforschung von Emotionen Gefühle wie Freude, Trauer oder Angst sind Farben unseres Lebens. Unser Umgang mit ihnen kann jedoch ambivalent sein. So kann Angst akzeptiert oder verleugnet werden, als Depression nach innen oder als Hass nach aussen gewandt sein, das Herz und das Denken lähmen oder aufpeitschen. Angst ist zugleich Gefühl wie Wahrnehmung, Erleiden wie Antrieb (Abb. 1). Wenn das Ausmass der Angst jedoch mit einem normalen Leben nicht mehr vereinbar ist, tritt Angst als Krankheit auf. So löst ein panischer Angstanfall, der ohne jede Vorwarnung oder erkennbaren Anlass auftritt, ein Zuschnüren der Kehle aus, verbunden mit Schweissausbruch, rasendem Herzschlag und Todesängsten. (siehe Kasten am Ende des Artikels). Beim Menschen haben nicht-invasive Messungen des regionalen Blutflusses erste Hinweise auf diejenigen Hirnareale ergeben, die mit der Steuerung von Emotionen befasst sind. Diese Messungen gaben aber weder die spezifischen Schaltkreise noch die molekularen Regelungsmechanismen preis, welche einer Fehlsteuerung zugrunde liegen könnten. Um weitere Aufschlüsse zu erhalten, wird daher versucht, das Verhaltensmuster von Tieren bestimmten Emotionen zuzuordnen und die dafür verantwortlichen neuronalen Schaltkreise zu untersuchen. Dies gelingt besonders gut beim Angstverhalten, da höhere Tiere auf ähnliche Bedrohungssignale ansprechen wie der Mensch (neue Umgebung, Konfliktsituationen, Bestrafung) und ähnliche Verhaltensreaktionen zeigen (Hemmung der Bewegung, Vermeidungs-Verhalten, Risikoscheu, Flucht). Vor allem durch Läsions-induzierte Verhaltensänderungen konnten zwei unterschiedliche Verschaltungswege zur Steuerung von Angstreaktionen skizziert werden (Abb. 2). Über eine der Verschaltungen wird eine undifferenzierte Sofortreaktion vermittelt, während der andere Weg eine situationsbezogene, angemessene Reaktionsweise ermöglicht. Nehmen wir das Szenario eines Waldspaziergangs. Beim plötzlichen Erkennen eines Objektes, welches ein Zweig aber auch eine Schlange sein könnte, verfügt ein schnelles Reaktionssystem einen Alarmstopp. Dabei wird die visuelle Information über den Thalamus und die Amygdala in eine Sofort-Reaktion umgesetzt, ohne dass eine genaue Identifizierung des Objektes und eine Abschätzung seiner möglichen Gefährlichkeit stattfindet. Eine genauere Analyse des Objektes, ein Vergleich mit früheren Erfahrungen und eine Voraussage über mögliche Konsequenzen des nächsten Schrittes erfordert die Einschaltung des cerebralen Cortex und des Hippocampus. Dieser aufwendigere Reaktionsprozess beansprucht zwar eine 4 mal längere Bearbeitungszeit (20 ms statt 5 ms), erlaubt aber ein informiertes und angepasstes Reaktionsmuster. Gene und Emotionen Die Kommunikation in neuronalen Schaltkreisen beruht auf Neurotransmittersignalen. Es sollte daher möglich sein, durch gezielte molekulare Manipulationen der Signaltransduktion die Verarbeitung von emotionalen Reizen gezielt zu verändern. Ein genetisch definiertes Modell einer veränderten Emotionalität würde wertvolle Hinweise auf die molekularen Schaltelemente der Gefühle liefern. Ausgehend von einer pharmakologischen Hypothese, wurde in unserer Arbeitsgruppe versucht, das Angstverhalten durch eine genetisch definierte Veränderung der GABAergen Neurotransmission zu steuern (Abb. 3). Die Gehirnfunktion beruht auf einem Gleichgewicht zwischen erregender und hemmender Neurotransmission. GABA (g-Amino-Buttersäure) ist der hauptsächliche hemmende Neurotransmitter. Störungen der GABA-Transmission werden mit dem Auftreten von Epilepsie, Angsterkrankungen und Schlafstörungen in Verbindung gebracht. Umgekehrt üben verschiedene Tranquillizer, Schlafmittel und Antiepileptika ihre Wirkung durch eine Verstärkung der GABAergen Hemmung aus. Den Medikamenten vom Typ der Benzodiazepine, die weltweit zu den am häufigsten eingesetzten Medikamenten zählen, kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Zur Erforschung der neuronalen Steuerung der Angst wurde ein Tiermodell mit einer genetisch bedingten Einschränkung der GABA-Wirkung entwickelt. Hierzu wurde in unserer Arbeitsgruppe die Gendosis für eine Komponente des Rezeptors für den Neurotransmitter GABA reduziert. In transgenen Mäusen, welche heterozygot für das Gen der g2-Untereinheit des GABAA-Rezeptors sind, wurden in bestimmten Hirnarealen GABAA-Rezeptoren gebildet, deren Funktion eingeschränkt war (Abb. 4). Durch diese genetische Manipulation wurden weder die sensorischen Fähigkeiten noch die Gedächtnisleistungen noch das soziale Verhalten dieser Tiere beeinflusst. Wenn die transgenen Mäuse jedoch unangenehmen Situationen ausgesetzt wurden (neue Umgebung, Licht, Konflikt) zeigten sie ein typisches Angstverhalten: fehlende Exploration einer neuen Umgebung, Vermeidung einer exponierten Position und Ausweichen vor Konflikten. Dieses Reaktionsmuster zeigt auffallende Ähnlichkeit mit dem emotionalen Verhalten, das bei Personen mit hoher Angstanfälligkeit beobachtet werden kann. Von besonderer Bedeutung ist, dass bei ersten Untersuchungen von Patienten mit Angsterkrankungen mittels PET (Positionen-Emissions-Tomographie) ebenfalls Veränderungen von GABAA-Rezeptoren sichtbar wurden. Diese Rezeptorstörungen traten in denselben Hirnarealen auf, in denen die Rezeptorveränderung in den oben beschriebenen transgenen Tieren induziert wurden. Damit erscheint es wahrscheinlich, dass das Angstverhalten eine Verminderung der GABAergen Neurotransmission, insbesondere im Hippocampus und cerebralen Cortex voraussetzt oder dadurch sogar ausgelöst wird.
Denken und Angst In seinen Untersuchungen «The nature of anxiety» (1992) hat der Psychologe Hans Eysenck bei angst-sensiblen Menschen nicht nur eine gesteigerte Gefühlserregbarkeit beobachtet, sondern auch ein kognitives Defizit. Die Fähigkeit der betroffenen Personen, den Grad der Bedrohlichkeit einer Situation richtig einzuschätzen, war eingeschränkt. Sowohl unangenehme als auch ambivalente Situationen wurden gleichermassen als bedrohlich wahrgenommen. Diese Einschränkung der kognitiven Fähigkeit ist ein typisches Merkmal hoher Angst-Empfindlichkeit. Ein entsprechendes kognitives Defizit war auch in den oben beschriebenen transgenen Tieren nachzuweisen. Die Tiere mit regional eingeschränkter GABAA-Transmission waren nicht in der Lage, einen voll konditionierten Reiz (bedrohlich) von einem partiell konditionierten Reiz (ambivalent) zu unterscheiden. Das molekulare Defizit der GABAergen Transmission bei den transgenen Tieren erscheint als der Auslöser für diese kognitive Störung. Damit wurde zum ersten Mal die Bedeutung des Neurotransmitters GABA für kognitive Prozesse nachgewiesen. Relevanz des Tiermodells In dem transgenen Tiermodell, welches von unserer Arbeitsgruppe entwickelt wurde, konnten fünf Parameter reproduziert werden, welche für Angst-Patienten typisch sind. Die Entsprechungen betreffen die molekulare Ebene (GABAA-Rezeptor-Veränderung), die topographische Ebene (selektive Hirnareale), die emotionale Ebene (erhöhte Reaktivität), die kognitive Ebene (Dysfunktion) und die therapeutische Ebene (Benzodiazepin-Sensibilisierung). Das Tiermodell liefert daher starke Hinweise für die These, dass eine Fehlfunktion der GABAergen Neurotransmission auch beim Menschen als Auslöser für Angststörungen betrachtet werden kann. Damit wird eine Hypothese zur Psychopathologie der Angst-Störungen vorgelegt, in deren Zentrum ein regional begrenztes Defizit der GABAergen Neurotransmission steht. Für den Patienten ergeben sich hieraus überprüfbare Verfahren zur Diagnose und Pharmakotherapie. Neue Medikamente durch Punktmutationen Zur Behandlung von Angstzuständen ist häufig eine Pharmakotherapie notwendig. Dabei werden vor allem Medikamente vom Typ der Benzodiazepine (Valium) eingesetzt, die rasch und effektiv wirken, aber wegen ihrer Nebenwirkungen nur eingeschränkt anwendbar sind. Die heute verwendeten Medikamente dieses Typs üben ein breites Wirkungsspektrum aus, indem sie sich im Gehirn an vier unterschiedliche Typen von Benzodiazepin-Bindungsstellen anlagern. Über diese Bindungsstellen verstärken die Medikamente die Effizienz der entsprechenden GABAA-Rezeptoren (Abb. 5). Es ist nun vorgesehen, Medikamente zu entwickeln, welche sich nur an Rezeptoren mit therapeutisch erwünschten Wirkungen anlagern. Dadurch könnte die therapeutische Selektivität erhöht und das Ausmass der Nebenwirkungen vermindert werden. Diese Strategie zur Entwicklung neuer Medikamente setzt jedoch die pharmakologische Charakterisierung der fünf Klassen von Rezeptoren voraus. Auf gentechnologischer Basis ist die angestrebte Rezeptor-Charakterisierung in unserer Arbeitsgruppe inzwischen weit forgeschritten. Durch die gezielte Einführung einer Punktmutation in die Bindungsstelle der Benzodiazepine (Histidin ersetzt durch Arginin) werden Mauslinien erzeugt, in denen jeweils einer der Rezeptoren für Benzodiazepine insensitiv ist (Abb. 5). Das Wirkungsprofil der Benzodiazepine wird genetisch zerlegt, um die therapeutisch erwünschten Rezeptoren zu identifizieren. Die Befunde, welche an den Punktmutierten Mäusestämmen erhoben werden, sind auf den Menschen übertragbar, da die Funktion und molekulare Architektur der Benzodiazepine-Bindungsstellen identisch sind. Es wird erwartet, dass die Entwicklung von Subtyp-spezifischen Liganden zu einer neuen Generation von Medikamenten führen wird, die selektive Wirkungen unter weitgehendem Fehlen von Nebenwirkungen aufweisen. Die Therapie von Angstzuständen, Schlafstörungen, Epilepsien sowie Depressionen sollte dadurch eine wesentliche Verbesserung erfahren. (MitarbeiterInnen bei den genannten Projekten: D. Benke, J. Benson, F. Crestani, J.-M. Fritschy, B. Lüscher, U. Rudolph) |
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Dr. Hanns Möhler ist ordentlicher Professor für Pharmakologie am Institut für Pharmakologie der Universität Zürich und am Departement Pharmazie der ETH Zürich.