Vom Campus zum Camp |
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In diesen Tagen wird an der Universität Irchel die vorläufig letzte Ausbauetappe eingeweiht. Und auf dem Hönggerberg werden mit dem Bau des neuen Gebäudes für Chemie und Biochemie gleichzeitig die endgültigen Umrisse der ganzen Anlage ETH Hönggerberg sichtbar. Zwei städtebauliche Grossplanungen stehen vor ihrem absehbaren Abschluss. Wie haben sie sich über die Jahre entwickelt? Was stellen sie heute dar? |
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Am 9. September 1996 fielen auf dem Hönggerberg grosse Worte. Jakob Nüesch, der Präsident der ETH Zürich, lobte in seiner Rede anlässlich des Spatenstichs die eben begonnene dritte Ausbauetappe als ein Zeichen des Mutes und des Aufbruchs. Nüesch mochte in erster Linie an die Investition in zukunftsweisende Forschung gedacht haben, den Bau selbst meinte er höchstens mit. Dabei sind die ETH Hönggerberg und mit ihr das zweite grosse Zürcher Hochschulbauwerk, die Universität Irchel, als Bauwerke mit jahrzehntelanger Baugeschichte ebenso Produkte des fortwährenden Aufbruchs und gleichzeitg hervorragende Studienobjekte in Sachen Städtebau. Ausgrenzungen Universität Irchel und ETH Hönggerberg sind in dieser Hinsicht Grossereignisse. Schon heute nehmen die zwei Hochschulen zusammen eine grössere Fläche ein als die gesamte Zürcher Altstadt. Doch nicht ihre Grösse fällt beim Besuch beider Gelände zuerst auf, sondern die Tatsache, dass sich sowohl die Universität Irchel wie auch die ETH Hönggerberg von der Stadt zurückziehen. Die Universität Irchel liegt zwar mitten in der Stadt, wer aber am Irchel aus dem Tram steigt, wird durch eine Gartenanlage mit Weiher und Wäldchen zur Lehr- und Forschungsstation geführt. Im Gegensatz dazu endet die Buslinie 69 nicht wie die meisten anderen peripheren Verbindungen zwischen saftigen Wiesen und putzigen Einfamilienhäusern, sondern auf einem gepflästerten Platz, umgeben von wuchtigen Bauten, überragt von einem Hochhaus: vor der ETH Hönggerberg. Hier die Forschungsstation mitten in der Stadt, dort das Mini-Manhatten auf der grünen Wiese: Die Brüche mit der Umgebung haben Konzept. Beide Anlagen folgen städtebaulichen Lehren, in denen Aus- und Abgrenzung von der Stadt noch Absicht waren.
Die Ausgangspunkte Die ETH Hönggerberg wurde in ihren Grundzügen Ende der fünfziger Jahre von Albert Heinrich Steiner geplant. In dieser Zeit hatten die städtebaulichen Konzepte der klassischen Moderne noch ihre Gültigkeit. Weg von der miefigen Kleinräumigkeit der mittelalterlichen Stadt hin zu durchgrünten Anlagen mit grossen, objekthaften Einzelbauten lautete die Devise. Das Konzept der Moderne angewandt auf den Standort Hönggerberg ergab eine Anlage, bei der sich Landschaft und Gebäude durchdringen. Steiner plante die ETH Hönggerberg als einen Teil der Landschaft, der durch die lockere und stark durchgrünte Anlage keine Grenzen gesetzt sein sollten. Dieses Bebauungskonzept war grosszügig, aber auch landfressend, und schon zehn Jahre später das Schlagwort der verbetonierten Landschaft war schon geboren kein Thema mehr. Max Ziegler, den Architekten der ersten Etappe am Irchel, leiteten Mitte der sechziger Jahre daher schon neue Ideen. Seine Planungsmaximen hiessen verdichtetes Bauen und Nutzungsflexibilität. Aus einzelnen Raumzellen sollte ein dichtes architektonisches Gewebe entstehen, das wenig Bodenfläche beansprucht und verschiedene Nutzungen zuliess. Die dichte Bauweise bestimmt auch die Beziehung zur Umgebung. Im Gegensatz zum Hönggerberg ist am Irchel das unbebaute Land Teil der Siedlung: Wie bei einer Villa gehört der Park zur Anlage. Die kompakten Bauten sollten auf dem ehemalige Areal der landwirtschaftlichen Schule Strickhof eine möglichst grosse Freifläche belassen. An der Universität Irchel und der ETH Hönggerberg wird seit mehr als dreissig beziehungsweise vierzig Jahre gebaut. Während dieser Zeit haben sich die Problemstellungen und auch ihre Lösungsansätze verändert. Jede Planung, deren Realisation sich über Jahrzehnte hinwegzieht, ist Orientierungswechseln ausgesetzt. Nicht immer aber wird der Bebauungsplan so umgedeutet, wie das in den letzten Jahrzehnten bei der ETH Hönggerberg geschehen ist. Umorientierung am Hönggerberg Bereits die zweite Bauetappe, das bräunliche, blechverkleidete Gebäude der Bauingenieure und Architekten, bricht mit dem ursprünglichen Bebauungsplan. Der Komplex aus den siebziger Jahren erstreckt sich über zweihundert Meter und setzt damit der bis anhin offenen Anlage im Westen eine deutliche Grenze. Die jetzt im Bau befindliche dritte Etappe macht sich diesen Ansatz zum Konzept. Das Gebäude für Chemie und Biochemie wird den Campus zum Camp machen. Die ursprünglich offene Siedlung wird geschlossen und streng begrenzt. Die Intimität urbaner Innenräume löst die Weitläufigkeit der Aussenräume der ersten Etappe ab. Kontinuität am Irchel Auch die Anlage am Irchel ist den veränderten Bedürfnissen angepasst worden, der Bebauungsplan aus den sechziger Jahren ist aber immer die Leitlinie geblieben. Anzahl und Reihenfolge der Bauabschnitte erschliessen sich hier über die Baustile der letzten Jahrzehnte. Beton und viel Glas verweisen auf den Funktionalismus der frühen siebziger Jahre und damit auf den Baubeginn im Irchel. An der nächsten Etappe lassen sich die Folgen des Erdölschocks ablesen: Kleiner gewordene Fensterflächen und vorgehängte Betonfassaden verweisen auf ein gestiegenes Umweltbewusstsein Mitte der siebziger Jahre. In den achtziger Jahren dagegen war wieder die Form Trumpf. Die Gebäude der dritten Etappe zeigen mit Dachvorsprüngen, dreiteiligen Fenstern und repräsentativen Granitfassaden traditionelle Architekturelemente. Die Postmoderne hat sich nach Jahren als Stil der Avantgarde auch als Gestaltungskonzept für den Allgemeingebrauch durchgesetzt. Und schliesslich kennzeichnet die jüngste Stilrichtung, die neue Einfachheit, den letzten Bauabschnitt. In ihrem Äusseren zurückhaltend, vermittelt die vierte Etappe zwischen den angrenzenden Gebäuden der ersten und dritten Etappe. Der Wandel der Zeit reicht am Irchel aber hinter die Fassadengestaltungen. Zieglers Konzept fusst auf einem flexiblen Konstruktionssystem. Die Anlage soll ständig neuen Anforderung angepasst und erweitert werden können. Das Ergebnis seiner Planung war deshalb nicht eine Form, sondern eine Struktur. Die Gebäude der ersten Etappe zeigen das genau. Sie kommen ohne eigentlichen Sockel aus, haben keinen Dachabschluss und schon gar keine Kopfausbildungen. Ganz im Gegensatz zur dritten und vierten Etappe. Hier sind die Baukörper durch Architekturelemente genau begrenzt. Die ursprüngliche Anlage demonstriert die Veränderbarkeit, die neueren Etappen dagegen sind Ausdruck ewig währender Werte.
Wenn gut geplant wird Irchel und Hönggerberg sind architektonisch gesehen Retortenstädte. Wie im Reagenzglas lassen sich hier städtebauliche Konzepte und deren Entwicklung beobachten und aus dieser Schlüsse ziehen: Zum Beispiel, dass Brüche im Konzept zum Risiko jeder Grossplanung gehören und dass eine Planung, die Bestand haben will, sich verändernden Umständen anpassen können muss. Das Bebauungskonzept der Universität Irchel, das sich auf die Vorgabe einer Struktur beschränkt, ist dafür ein Beispiel. Sich anpassen können allein genügt jedoch noch nicht. Eine wirklich vollständige Planung muss auch ihre eigenen Grundsätze in Frage stellen können. Dafür steht die ETH Hönggerberg. Das ursprüngliche Konzepte hat heute auf dem Hönggerberg keine Gültigkeit mehr. Dennoch erwies es sich, die neueste Etappe miteingeschlossen, als so offen, dass es seine eigene Umdeutung zuliess. |
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