Bereits heute arbeiten die Biologieinstitute von Universität und ETH im Bereich des Grundstudiums eng zusammen. Durch die Einführung eines Kreditsystems sollte es den Studierenden ab diesem Winter auch im Hauptstudium erleichtert werden, Veranstaltungen der jeweils anderen Schule zu besuchen. Die Idee an sich wäre gut. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail.
Noch verschiedene Visionen für die Zukunft des Biologiestudiums.
VON CHRISTOF DEJUNG
Fusionen liegen derzeit im Trend. Als eine internationale Expertenkommission 1994 den Auftrag erhielt, Modelle für eine engere Zusammenarbeit der beiden Biologieinstitute von Universität und ETH zu prüfen, stand auch die Frage im Raum, ob man die beiden Institute nicht kurzerhand zusammenlegen solle. Doch was Credit Suisse recht und Novartis billig ist, ist nicht automatisch das Richtige für die beiden Hochschulen. Die Expertenkommission riet jedenfalls entschieden davon ab, die beiden Institute miteinander zu verschmelzen. Es sei wesentlich sinnvoller, wenn sie, wie bis anhin, in freundschaftlichem Wettbewerb zueinander stünden.
Verbesserung der Ausbildung
Im Bereich der Lehre erschien den Schulleitungen von Universität und ETH jedoch eine stärkere Zusammenarbeit nötig. ETH-Rektor Konrad Osterwalder meint dazu: «Die Universität und die ETH ergänzen sich in vielen Bereichen. Es ist deshalb sinnvoll, wenn die Studierenden an beiden Schulen Kurse besuchen können.» Der wichtigste Aspekt bei einer solchen Kooperation sei nun aber nicht, Geld zu sparen: «Das wäre natürlich ein angenehmer Nebeneffekt. Aber das Sparen soll nicht der Hauptpunkt sein. Wichtigstes Ziel ist die Verbesserung der Ausbildung.»
Um den Biologiestudierenden die Mobilität zwischen den beiden Hochschulen zu erleichtern, sollte an den biologischen Instituten der Universität und in der Abteilung für Biologie der ETH das Kreditsystem eingeführt werden. Beim Kreditsystem können die Studierenden nach dem zweiten Vordiplom für das Hauptstudium selbständig die Lehrveranstaltungen auswählen, die sie besuchen wollen. Für jede besuchte Veranstaltung erhalten sie eine bestimmte Anzahl Punkte. Wenn sie eine gewisse Punktesumme erreicht haben, können sie sich für die Schlussprüfung anmelden. Ein solches Kreditsystem wurde im Verlauf der letzten Jahre an mehreren Abteilungen der ETH mit Erfolg eingeführt. Durch die Einführung des Kreditsystems im Fachbereich Biologie würde es auch den Biologiestudierenden möglich, im Hauptstudium sowohl an der Universität als auch an der ETH Punkte zu sammeln.
Das Kreditsystem bringt verschiedene Vorteile. Prorektor Clive Kuenzle, der an der Universität verantwortlich ist für den Bereich der Naturwissenschaften, führt an: «Das Kreditsystem kann zu einer Flexibilisierung der Ausbildung und zu einer Aufweichung von starren Fakultäts- und Fächergrenzen beitragen. Das ist deshalb von grosser Bedeutung, weil die Anforderungen, die von Wirtschaft und Hochschule an unsere Absolventen gestellt werden, immer vielfältiger werden.» Da die Europäische Union die Einführung des Kreditsystems an ihren Hochschulen beschlossen hat, würde ausserdem auch ausländischen Studierenden das Studium in Zürich erleichtert.
Kommt das Kreditsystem?
Bei der Umsetzung steckt der Teufel aber wie so oft im Detail. Die beiden Institute jedenfalls sind von der Idee nicht gerade begeistert. «Theoretisch finde ich das Kreditsystem gut», meint Thomas Leisinger, Vorsteher der Abteilung für Biologie an der ETH, «aber wenn man damit eine engere Kooperation zwischen Uni- und ETH-Instituten in der Lehre erreichen will, so ergeben sich dabei gewisse Schwierigkeiten.» Das Hauptproblem bestehe darin, dass das Hauptstudium in Biologie an der Universität in Form von Blockkursen stattfindet, während an der ETH der Stoff in einzelnen Wochenstunden über das ganze Semester hinweg unterrichtet wird. Wenn also Studierende der ETH einen Blockkurs an der Universität besuchen wollen, so könnten sie im betreffenden Semester keine Vorlesungen und Übungen an der ETH mehr belegen. Dazu kommt, dass die Biologiestudierenden an der Uni zwischen dem zweiten Vordiplom und der Schlussprüfung mehr Pflichtstunden besuchen müssen als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen von der ETH. Wie diese quantitativ unterschiedliche Stundenbelastung in Kreditpunkte umgerechnet werden soll, ist eine ungeklärte Frage.
Auf Wunsch der Schulleitung hat die Abteilung Biologie an der ETH dennoch auf Beginn des Wintersemesters 1997/98 das Kreditsystem eingeführt. Das Biologieinstitut an der Universität hat jedoch nicht mitgezogen. Der Zoologieprofessor Rüdiger Wehner von der Universität hält zwar den Willen zur Kooperation, der hinter der Einführung des Kreditsystems steht, für eine gute Sache. Er ist jedoch der Ansicht, dass das Kreditsystem in seiner jetzt diskutierten Variante zu starr sei und nicht auf die unterschiedlichen Studiengänge in Biologie an Universität und ETH Rücksicht nehme.
In der heutigen Wissenschaftslandschaft orientieren sich die Forschenden zudem mehr und mehr global: Kontakte zu Universitäten auf der anderen Seite des Erdballs sind schon seit langem genauso wichtig wie Kontakte zur Hochschule in der unmittelbaren Nachbarschaft wenn nicht gar wichtiger. Auch auf diesen Punkt verweist Rüdiger Wehner: Etwa die Hälfte der Leute, die bei ihm eine Diplomarbeit oder eine Dissertation schrieben, befänden sich zur Zeit für einen Forschungsaufenthalt in den USA. Umgekehrt kämen auch immer wieder Jungforscherinnen und -forscher aus den Vereinigten Staaten nach Zürich: «Bei diesen Leuten nützt einem das Kreditsystem überhaupt nichts, da die Amerikaner ein ganz anderes Ausbildungssystem haben.»
Was wünschen sich denn die Biologiedozenten an Stelle des Kreditsystems von den Schulleitungen? Rüdiger Wehner findet: «Die Hochschulen sollten einfach die Vorraussetzungen dafür schaffen, dass die Kooperation zwischen den einzelnen Instituten möglich wird.» Denn eine engere Zusammenarbeit im Bereich der Naturwissenschaften in Zürich hält Wehner für sinnvoll: «Am besten funktioniert das, wenn man gemeinsame Forschungsgruppen oder Kompetenzzentren bildet. Das führt dann automatisch zu einer stärkeren Zusammenarbeit im Bereich der Lehre.» Auch Thomas Leisinger von der ETH findet: «Eine diktierte Zusammenarbeit, die nicht auf dem Interesse der Institute beruht, ist wenig fruchtbar.» Sein Vorschlag: «Man könnte zum Beispiel einen Fonds einrichten, dessen Gelder nur bei Projekten verteilt werden, die von Forschern von Universität und ETH gemeinsam durchgeführt werden.»
»Gemeinsam eine unheimliche Power»
Ob das Kreditsystem in näherer Zukunft auch an den biologischen Instituten der Universität eingeführt wird, dazu haben alle Beteiligten eine andere Meinung. Uni-Professor Wehner meint: «Wir haben vom Rektorat der Universität bis heute keinen Auftrag erhalten, bei uns das Kreditsystem einzuführen.» Im Fachbereich Biologie der Universität sei man der Ansicht, dass das Kreditsystem aufgrund der oben geschilderten Schwierigkeiten eine untaugliche Massnahme sei.
Auch Uni-Prorektor Kuenzle ist skeptisch: «Ich mache mir schon Sorgen, dass das bei uns an der Uni mit dem Kreditsystem in Biologie nicht klappen könnte, zumindest nicht in nächster Zeit.» Optimistischer ist ETH-Rektor Osterwalder: «Man erhofft sich in der Schulleitung der ETH, dass auch an der Universität der Fachbereich Biologie sich bald von den Vorteilen des Kreditsystems überzeugen lässt.» Und er betont: «Das Geschäft ist nicht gescheitert.» Doch ist sich Osterwalder bewusst, dass die Schulleitungen und die Institute je nach Hierarchiestufe möglicherweise eine andere Sicht auf das Problem haben: «Von oben her sieht man eher die Visionen, von unten her eher die Schwierigkeiten. Für einen erfolgreichen Prozess braucht es aber beide Perspektiven.»
Klar und eindeutig ist die Vision von Uni-Prorektor Clive Kuenzle: «Der Hochschulstandort Zürich soll der beste sein!» Und um dieses Ziel zu erreichen, gebe es kein besseres Rezept als die Zusammenarbeit von Universität und ETH: «Beide Schulen sind gut. Und gemeinsam haben sie eine unheimliche Power.»
Unabhängig vom Kreditsystem besteht zwischen der Abteilung Biologie der ETH und den Biologischen Instituten der Universität bereits heute auf verschiedenen Gebieten eine enge Kooperation. So ist nach dem zweiten Vordiplom der Wechsel von der Universität an die ETH oder umgekehrt von der ETH an die Universität problemlos möglich, da das Grundstudium an beiden Schulen relativ ähnlich ist. Verschiedene Dissertationen werden von Referenten der anderen Hochschule betreut und es existieren diverse gemeinsame Forschungsprojekte. Ab dem Wintersemester 1997/98 wird zudem von Dozenten beider Hochschulen neu eine Ringvorlesung durchgeführt, die den Studierenden des zweiten Studienjahres einen Überblick über die Forschungsschwerpunkte der verschiedenen Fachbereiche an Universität und ETH geben soll.
unipressedienst
Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 09.01.98