[Institut für Medizinische Radiobiologie]
Tumoren beginnen ihre Laufbahn als Einzelzellen und können solange wachsen, wie es ihre Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr erlaubt. Hat ein Tumor die kritische Grösse von etwa einem Millimeter erreicht, so ist er auf die Versorgung durch Blutgefässe angewiesen. Zum aggressiven Wachstum ist also Gefässneubildung notwendig. Fehlt diese, so kann ein kleiner Tumor nicht grösser werden und ein grosser Tumor wird «ausgehungert» und schrumpft. Diesen Umstand versucht man sich am Institut für Medizinische Radiobiologie zunutze zu machen.
Tumorzellen scheiden unter Sauerstoffmangel erhöhte Mengen eines Wachstums- und Überlebensfaktors, des sogenannten Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF), aus. Der VEGF stimuliert die Zellen der innersten Schicht von Blutgefässen zur Teilung. VEGF bindet an zwei Rezeptoren an der Zelloberfläche, die in der Folge intrazelluläre Signale auslösen. Die Biosynthese von wenigstens einem dieser Rezeptoren wird durch VEGF stimuliert, so dass Blutgefässe in Tumoren viel mehr von diesen Rezeptoren zeigen als die meisten der übrigen körpereigenen Zellen. Deshalb ist VEGF ein hervorragendes Mittel zur Lokalisierung von tumorspezifischen Blutgefässen. Die Forscherinnen und Forscher des IMR wollen diese Tatsache dazu benützen, um neuartige Anti-Krebs-Pharmaka und -Diagnostika zu entwickeln.
Ausserdem kann VEGF strahlengeschädigten Zellen, die zu Krebszellen mutiert sind, dabei helfen, besser zu überleben. Gelingt es, diese Wirkung zu eliminieren, so könnte man Radiotherapien, die der Bekämpfung von Tumoren dienen, bei niedrigeren Dosen und damit auch mit geringeren Nebenwirkungen durchführen. Die Spezifität von Radiotherapien ist eine Spezialität des PSI. Die kürzlich am PSI in Betrieb genommene teilchenbeschleunigerbasierte Protonen-Radiotherapieanlage erlaubt präzise Bestrahlungen von grossen Tumoren mit komplexen Formen. Kann diese Therapie mit einer Anti-VEGF-Therapie kombiniert werden, so sind auch die momentan limitierenden biologischen Einschränkungen (zum Beispiel Bewegung) reduziert.
Moleküle, die radioaktiv markierte VEGF-Rezeptoren binden, werden in Zukunft für die Tumordiagnose nützlich sein. Auch auf diesem Gebiet (Positronen-Emissions-Tomographie) verfügt das PSI über die entsprechenden Geräte und die nötige Erfahrung. Zum Verständnis der Signalübermittlung in bestrahlten und VEGF-behandelten Gefässzellen ist es zudem notwendig, die Raumstrukturen von Proteinkomplexen zu kennen. Für die dazu notwendigen Strukturanalysen bietet das PSI mit seiner Neutronenquelle einmalige Möglichkeiten. Durch den Bau einer Synchrotron-Lichtquelle werden sie künftig noch erweitert.
Rolf Janssi, Josef Jiricny
Tumoren produzieren Wachstumshormone, welche die Bildung von neuen Blutgefässen veranlassen. Die eintretende Blutzufuhr ermöglicht das Tumorwachstum.
A: Endothelzellen der neuen Blutgefässe exprimieren VEGF-Rezeptoren. VEGF bindet an zwei Rezeptormoleküle und verursacht dabei ihre Dimerisierung. Die Dimerisierung ihrerseits löst eine Kette von Signalübertragungen aus, die zu weiterer Gefässbildung und damit zum Tumorwachstum führt.
B: Radioaktiv markierte VEGF-Homologe binden an den Rezeptor, lösen aber keine Dimerisierung aus. Dabei werden nicht nur die Bindung von wild-typ VEGF verhindert, sondern auch endotheliale Zellen abgetötet und damit das Wachstum neuer Blutgefässe verhindert. Die Folge davon ist das Absterben des Tumors wegen ungenügender Nährstoffzufuhr.
Zirkulierendes VEGF besteht aus zwei identischen Molekülen, die in grün und gelb dargestellt und durch Disulfid-Brücken verbunden sind. Dieses dimerische (zweiteilige) Molekül trifft mit zwei Rezeptoren des VEGF mittels ihren Schlaufenstrukturen (im Kreis sichtbar) in Wechselwirkung. Man darf erwarten, dass eine Veränderung der Schlaufenstruktur rekombinante Moleküle hervorbringen wird, die als Antagonisten zum Rezeptor wirken werden. (Das Bild stellt ein molekulares Modell des VGEF-Dimers dar, dessen nichtstrukturierte Schlaufen weggelassen sind)
Professor Josef Jiricny ist Direktor des Instituts für Medizinische Radiobiologie (IMR) der Universität Zürich und des Paul-Scherrer-Instituts (PSI). Das IMR wurde 1991 gegründet. Dies geschah durch den Zusammenschluss des Strahlenbiologischen Instituts der Universität Zürich mit Gruppen des Forschungsbereiches Biowissenschaften des PSI. Die Gründung des von Kanton und Bund getragenen IMR geschah im Bestreben, die an der Universität Zürich und am PSI vorhandenen wissenschaftlichen Kompetenzen und Forschungseinrichtungen optimal zu nutzen. Die Konstellation der Zusammenarbeit zwischen dem IMR und dem PSI erlaubt die Durchführung von Experimenten mit Gross-Apparaturen in einem wissenschaftlich multidisziplinären Umfeld, wie sie andernorts nicht möglich wären.
Das Institut besteht aus zwei örtlich getrennten Forschungszentren: In den Zürcher Labors liegt der Schwerpunkt beim Studium der Reparaturmechanismen der DNS-Schäden, die durch Strahlenwirkung oder durch spontane Reaktionen in menschlichen Zellen entstehen. Die klinisch orientierte Forschung am PSI in Villigen (AG) ist einerseits auf neue biologische Entwicklungen fokussiert (siehe nebenstehenden Beitrag); diese Forschungstätigkeiten werden von Professor Jiricny geleitet. Andererseits befasst man sich in Villigen mit der Entwicklung eines Langzeit-Forschungsprogramms auf dem Gebiet der anwendungsbezogenen Grundlagenforschung sowie mit neuen technologischen Projekten, wie der Neutronen-Einfang-Mikroradiografie und der Kompakt-Zell-Klonierung. Die Leitung dieser Projekte liegt bei Professor Boerje Larsson.
Last update: 09.01.98