[Neues Zentrum für Neurowissenschaften]
Das neue Zentrum für Neurowissenschaften beider Zürcher Hochschulen (ZNS) startet ab dem Wintersemester 1998/99. Neben Forschung und Lehre als Schwerpunkte will man auch die Kontakte zur Industrie und zur breiten ffentlichkeit fördern. Grund genug, mit Martin E. Schwab, Mitglied des Gründungsausschusses für das Zentrum und seit neustem Doppelprofessor für Neurowissenschaften an der Universität und der ETH Zürich, ein Gespräch über die künftigen Aufgaben des Zentrums sowie seine persönlichen Ansichten zur Bewusstseinsforschung zu führen. Das Interview führten Beatrice Huber und Heini Ringger.
Die Neurowissenschaften gehören zu den zukunftsträchtigsten Forschungsgebieten. Welches sind heute schon die Schwerpunkte auf dem Hochschulplatz Zürich?
Schon seit Anfang dieses Jahrhunderts wird auf dem Platz Zürich neurowissenschaftlich geforscht. Die Schwerpunkte liegen heute sowohl in der klinischen wie auch in der Grundlagenforschung. Themen sind der Bau und die Funktionsweise sowie die Entwicklung und die Erhaltung des Nervensystems, wobei Zürich auf molekularer Ebene sehr stark ist. Viele Projekte beschäftigen sich auch mit der Frage, was sich im Krankheitsfall oder bei Verletzungen verändert. Stichworte sind Prionenforschung, Multiple Sklerose und andere Entzündungsprozesse sowie Querschnittlähmung, mit dem sich meine Gruppe beschäftigt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Systemebene. Dabei werden die Schaltkreise des Grosshirns analysiert und am Computer modelliert.
Was sind die Erwartungen im Hinblick auf die Gründung eines Kompetenzzentrums für Neurowissenschaften beider Hochschulen?
Auf dem Platz Zürich gibt es bereits heute etwa 70 neurowissenschaftliche Forschungsgruppen. Zürich ist ohne Zweifel einer der wenigen Standorte in Europa, wo so viele Gruppen auf so hohem Niveau in diesem Bereich arbeiten. Diese sollen durch das Zentrum in eine forschungsorientierte Struktur zusammengefasst werden. Dadurch sollen die wissenschaftliche Interaktion und die Ausbildung verbessert werden. Das Ziel ist klar: Topqualität und Exzellenz in der Forschung. Von den oben angesprochenen 70 Forschungsgruppen sind heute bereits rund 15 internationale Spitze.
Bisher existiert ein loses Netzwerk von Forschungsgruppen, die Arbeitsgruppe Neurobiologie Zürich. Wie wird das neue Kompetenzzentrum organisiert sein?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwierig, diese Frage im Detail zu beantworten. Es wird eine Stabsstelle geben, die das Zentrum zentral koordinieren und als Anlaufstelle für Angehörige und Aussenstehende dienen soll. Die heute schon bestehenden Seminare sollen besser aufeinander abgestimmt und Überschneidungen vermieden werden. Die Kommunikation mit der Industrie muss unbedingt gefördert werden. Wir müssen uns fragen, weshalb beispielsweise Novartis das Scripps Research Institute in Südkalifornien mit Millionenbeiträgen unterstützt und nicht eine Schweizer Universität. Dazu kommt, dass viele Hochschulabgänger keine Ahnung haben, wo sie einen Job finden. Die Industrie muss die Chance haben, sich an den Hochschulen darzustellen und uns mitzuteilen, an welchen Gebieten sie interessiert ist und für welche Stellen sie Leute sucht. Wir verkaufen dadurch ja nicht gleich unsere Seele. Noch weitgehend ungeklärt ist, wie das Zentrum finanziell organisiert sein wird. Durch eigene Mittel, ich denke da an Geld aus Drittmittelquellen, könnten bestehende Gruppen und Projekte gestärkt, aber auch neue Gruppen mit neuen Schwerpunkten geschaffen werden.
Was wird das Zentrum im Bereich Lehre anbieten? Auf welcher Stufe wird es einen Abschluss geben?
Die Studienrichtung «Verhaltens- und Neurobiologie» der Abteilung XA der ETH wird ab Herbst 1998 umorganisiert in ein Fachstudium Neurowissenschaften. Daneben wird vom Zentrum ab dem gleichen Zeitpunkt ein Doktorandenkurs angeboten, der während zweier Jahre die Teilnehmer zu wirklichen Neurowissenschaftern ausbildet, was die Berufschancen und die Forschungsqualität verbessert. Sofern der Kurs zwei bis drei Jahre gut läuft, soll er später als eigenständiges Nachdiplomstudium angeboten werden.
Wie werden Lehre, Forschung und klinische Anwendung im Zentrum zueinander finden?
Die Zusammenarbeit mit den Kliniken muss gefördert werden. Die Grundlagenforschung hat in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht, und die Kliniker haben oft zuwenig Ahnung davon. Umgekehrt wissen die Forscher sehr wenigüber die klinisch wichtigen Probleme. Dies hängt auch damit zusammen, dass in der Forschung hauptsächlich Naturwissenschafter beschäftigt sind. Deswegen wird der Doktorandenkurs auch klinische Neurowissenschaften beinhalten. Umgekehrt soll in Form eines Grundkurses den Klinikern ein Basiswissen in den Neurowissenschaften vermittelt werden.
Kann das neue Kompetenzzentrum auch Modellcharakter für andere Forschungsbereiche haben?
Dies ist natürlich unsere Hoffnung. Ideen für andere Kompetenzzentren sind bereits vorhanden. Vieles wird jedoch davon abhängen, wie unser Zentrum anlaufen wird und ob alles klappt. Die Initiative für ein solches Zentrum muss jedoch unbedingt von unten, also aus den betreffenden Forschungsgruppen kommen und kann nicht von oben verordnet werden.
Naturwissenschaften dringen heute in Gebiete vor, die traditionellerweise zu den Geisteswissenschaften gehören, etwa die Erforschung des Geistes oder der Seele. Wie wird sich das Zentrum in diesem Spannungsfeld verhalten?
Es ist schwierig, im Moment etwas dazu zu sagen. Die Psychiatrie, die mit mehreren Forschungsgruppen am Zentrum beteiligt sein wird, fungiert wohl als Schnittstelle. Das Kompetenzzentrum möchte ganz klar nicht nur molekularbiologische Gruppen aufnehmen; vielleicht wird auch einmal eine geisteswissenschaftliche Disziplin dabei sein. Bis jetzt waren die Natur- und die Geisteswissenschaften weit voneinander entfernt, in Zukunft müssen sie näher zusammenkommen. Begriffe wie Geist und Seele lassen sich naturwissenschaftlich vermutlich kaum je genau definieren, sie sind zu diffus und unscharf.
Noch eine philosophische Frage zum Abschluss: Was macht eigentlich die Faszination der Neurowissenschaften aus?
Für mich, wie für viele Neurowissenschafter, gibt es zwei Hauptpunkte, die dieses Wissensgebiet faszinierend machen. Auf der einen Seite ist das Gehirn zusammen mit dem Nervensystem das komplexeste Gebilde, das wir kennen. Kein anderes Organ des Körpers, aber auch keine Maschine ist auch nur annähernd so komplex aufgebaut und kann derart komplexe Leistungen vollbringen. Und im Gegenzug wissen wir noch sehr wenig darüber, wie das Gehirn arbeitet. Viele nennen dieses Gebiet deswegen auch «the last frontier of science». Auf der anderen Seite ist es die Suche nach den Ursachen von psychiatrischen und neurologischen Krankheiten, zum Beispiel Schizophrenie oder Alzheimer, welche das Schlimmste sind, was einem Menschen passieren kann, und für die teilweise noch gar keine Therapien bekannt sind.
Durch das Zentrum für Neurowissenschaften Zürich (ZNS) soll die wissenschaftliche Zusammenarbeit gefördert und eine qualitativ hochstehende Lehre etabliert werden. Bereits heute decken die auf dem Hochschulstandort Zürich tätigen Forschungsgruppen ein breites Feld an Arbeitsgebieten der Neurowissenschaften ab. Viele dieser Gruppen gehören zur Spitzenklasse auf ihrem Gebiet. Das Zentrum soll als Netzwerk aufgebaut sein mit einer Stabsstelle, welche sich mit organisatorischen Fragen beschäftigt, Lehrveranstaltungen und Seminare koordiniert und das Zentrum nach aussen repräsentiert. Die Stabsstelle und damit auch der Kopf des Zentrums wird sich auf dem Irchel-Campus der Universität befinden. Alle im neurowissenschaftlichen Bereich arbeitenden Forschungsgruppen der Universität und der ETH Zürich können sich am Zentrum beteiligen, verpflichten sich dadurch jedoch, an Seminarserien, Lehrveranstaltungen für Doktoranden und jährlichen Symposien aktiv teilzunehmen. Ein starkes Identitäts- und Zugehörigkeitsgefühl für das Zentrum wird angestrebt. Kernstück im Bereich Lehre ist ein Doktorandenkurs, der solide Kenntnisse in den Neurowissenschaften vermitteln soll. Das Zentrum für Neurowissenschaften und die Kliniken des Neurobereichs werden in enger partnerschaftlicher Beziehung zueinander stehen. Das Zentrum will ausserdem mehrsträngige Beziehungen zur Industrie aufbauen.
Zur PersonMartin E. Schwab (1949 geboren) studierte in Basel Zoologie. Nach Zwischenstationen am Biozentrum in Basel, als Visiting scientist an der Harvard Medical School in Boston und als Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München kam er 1985 ans Institut für Hirnforschung der Universität Zürich, zuerst als ausserordentlicher und seit 1995 als ordentlicher Professor. Derzeit ist er zudem Kodirektor des Instituts. Er gehört zu den Mitgliedern des Gründungsausschusses für das Zentrum für Neurowissenschaften, und seit diesem Jahr ist er auch ordentlicher Professor für Neurowissenschaften an der ETH Zürich. Es handelt sich dabei um eine Doppelprofessur mit der Universität. Für seine Forschungen auf dem Gebiet der Regeneration verletzter Nervenbahnen hat Martin Schwab schon mehrfach Preise erhalten, darunter den bedeutendsten schweizerischen Wissenschaftspreis, den Marcel-Benoist-Preis (1994). |
unipressedienst Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update:
09.01.98