Magazin der Universität Zürich Nr. 3/97

Die Pflanzenwissenschaften blühen auf

An den Zürcher Hochschulen soll ein Kompetenzzentrum für Pflanzenwissenschaften entstehen. Prorektor Clive Kuenzle, zuständig für Planung an der Universität Zürich, erklärt im Gespräch mit Willi Wottreng, was dieses Projekt erwarten lässt.

Boanischer Garten (27659 Byte)Der Botanische Garten ist dem breiten Publikum bekannt, doch vieles passiert im Hintergrund.

Verändern sich Hochschulen organisch wie Pflanzen? Auf den ersten Blick würde man sagen nein, greifen doch Planungskonzepte und wissenschaftspolitische Strategien in ihre Entwicklung ein. Doch haben nicht auch Pflanzen ihre Baupläne, ihre Anpassungsmechanismen und ihre Strategien? Reagieren nicht auch sie auf Umweltbedingungen? Wer den Blick auf die Prozesse wirft, die an den Zürcher Hochschulen im Bereich Pflanzenwissenschaften im Gang sind, kommt um den Eindruck nicht herum, diese gingen organisch vor sich.

Pflanzenwissenschaften wurden an der Universität Zürich und an der ETH schon seit jeher betrieben. Es bestehen an beiden Orten rund ein halbes Dutzend Professuren in diesem Gebiet. Doch sind sie in ganz verschiedene Richtungen gewachsen: Die einen beschäftigen sich mit der Systematik der Pflanzen, die anderen mit Biotechnologie, wieder andere mit Pflanzen in Gewässern, mit Pilzen, mit den Krankheiten von Pflanzen oder mit deren Wachstumsprozessen. Auf Seite der Universität findet sich als Spezialität das Institut für Systematische Botanik, das die international bekannte Sammlung des Herbariums betreut, auf Seite der ETH geniesst vor allem die Molekularbiologie Weltruf.

Von der Botanisiertrommel zur Gentechnologie

Dass die Zürcher Hochschulen naturnah und grün sind, mag überraschen. Indes arbeiten der Pflanzenwissenschafter oder seine wissenschaftliche Kollegin heute kaum mehr mit der Botanisiertrommel. Sie sind häufig zu Genforschern mutiert, die durch das Studium der Erbsubstanz das Pflanzenschicksal zu verstehen und zu verändern suchen. «Gentech» besitzt ja derzeit eine ausserordentlich hohe wissenschaftliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung.

Nur sind die Pflanzenwissenschaften an den Zürcher Hochschulen etwas ungeordnet gewachsen. «Auf beiden Seiten beschäftigen sich Forscher mit verwandten Bereichen, in denen sie durchaus verschiedene Forschungsprojekte verfolgen, ohne aber zusammenzuarbeiten», sagt Clive Kuenzle, Prorektor für Planung an der Universität, der sich besonders der Pflanzenwissenschaften angenommen hat.

Pflanzen (29219 Byte)Auch Pflanzen haben ihre Baupläne, ihre Anpassungsmechanismen und ihre Strategien.

Im Zuge des internationalen Kampfes um Standortvorteile und um die bestmögliche Organisierung der zur Verfügung stehenden Mittel und Fähigkeiten erkannten die leitenden Gremien beider Hochschulen, dass der Reichtum ihrer jeweiligen Pflanzenwissenschaften sich sozusagen komplementär verhielt, wobei die Vernetzung untereinander eher zufällig und gering war. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Genetiker, die versuchen, Pflanzen resistent gegen Krankheiten und Umwelteinflüsse zu machen: Wird an der Universität neuerdings der Weizen untersucht, ist es an der ETH der Reis; beide Bereiche ergänzen sich aufs schönste, zusammen bilden sie einen Brennpunkt der Zürcher Pflanzenwissenschaften.

Zusammenlegung von Kräften

An der Universität beschäftigen sich die Umweltwissenschaften besonders aufmerksam mit Pflanzen, an der ETH ist der Pflanzenbau eine Spezialität – die beiden Gebiete können einen Schwerpunkt Pflanzenwissenschaften auf verschiedene Weise abrunden.

Die Koordination zwischen den Lehrstühlen drängte sich auf, und so regte denn die Leitung beider Hochschulen die Schaffung eines eigentlichen Kompetenzzentrums Pflanzenwissenschaften an, in welchem die Hochschulen ihre traditionell starken Bereiche zu einem eigentlichen Schwerpunkt von internationaler Ausstrahlung vereinigen.

«Dabei handelt es sich nicht um ein Institut unter einem Dach, sondern um ein Netzwerk», präzisiert Clive Kuenzle, einer der Planungsväter dieses Schwerpunkts. Die räumliche Vereinheitlichung der ausgedehnten Labors und Treibhäuser wäre finanziell gar nicht machbar. Doch ist das angesichts der neuen Kommunikationsformen auch nicht notwendig. So bleiben die einzelnen Forschungsgruppen an der Universität und der ETH räumlich zu Hause – doch öffnen sie sich gegenseitig die Türen.

Den Studierenden sollen gemeinsame Lehrveranstaltungen angeboten werden, die gegenseitig anerkannt werden. Die gemeinsame Nutzung von Forschungseinrichtungen durch die einzelnen Institute soll gefördert werden. Jede Form der Forschungszusammenarbeit soll erleichtert werden. Für einmal handelt es sich nicht um eine Sparmassnahme, sondern um eine Flurbereinigung. Die Reorganisation spart kaum Kosten, aber sie bereichert das Angebot.

Stärkung des Hochschulstandorts Zürich

Die Zelle des neuen Kompetenzzentrums ist ein Leitender Ausschuss. Dieser wird die Verschmelzung der beiden Forschungsteile zu einem einzigen Schwerpunktbereich organisch in die Wege leiten.

Entscheidend sind in jedem Fall die Menschen, welche die Forschung betreiben. Die langfristige Entwicklung des Forschungs- und Lehrangebotes lässt sich vor allem durch geeignete Berufungen beeinflussen, denn angesichts der Forschungsfreiheit wäre es undenkbar, dass die Hochschulleitung auf die Tätigkeit eines Lehrstuhles Einfluss nimmt. Eine der ersten Koordinationsaufgaben besteht daher in der Besetzung frei werdender Lehrstühle. Allein auf Universitätsseite werden bis ins Jahr 2001 fünf neue Berufungen anstehen. Eine einmalige Chance, in diesem Forschungsschwerpunkt Akzente zu setzen. An einem Hearing mit internationalen Experten werden darum bis Ende 1997 Visionen für die künftigen Tätigkeiten der Pflanzenwissenschaften entwickelt, denen die Berufungspolitik folgen kann.

«Die Schaffung eines Kompetenzzentrums Pflanzenwissenschaften wird die Zürcher Hochschulen im internationalen Standortwettkampf stärken», dessen ist sich Kuenzle gewiss. Denn Life Sciences – wie man die gute alte Biologie heute zusammen mit anderen Wissenschaftszweigen nennt – florieren. «Viele Prozesse, die sich bei Pflanzen abspielen, finden sich auch bei Tieren und Menschen», erläutert Kuenzle. Die Pflanzenwissenschaften erhalten darum zunehmend auch Bedeutung für den Bereich der Medizin. Am Hochschulstandort Zürich dürfen sie nun in die Höhe wachsen.


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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 06.01.98