[Institut für Neuroinformatik]
Die Schlüsselprinzipien, mit denen das Hirn arbeitet, entdecken und anschliessend in künstlichen Systemen zur Ausführung bringen: mit diesen Vorhaben startete Ende 1995 das gemeinsame Institut für Neuroinformatik beider Hochschulen, das von den Professoren Rodney Douglas und Kevan Martin geleitet wird.
Zwar gehört die Entwicklung von komplexen Computern zu den wichtigen technischen Errungenschaften des späten 20. Jahrhunderts, dennoch arbeitet sogar ein Insektenhirn, geschweige denn ein Säugetierhirn, immer noch bei weitem effektiver als jeder existierende Computer, wenn es um die Lösung von Aufgaben geht, die Interaktionen mit der Umwelt in Echtzeit sowie Mustererkennung, Navigation und motorische Koordination erfordern. Die Komplexität des Hirns in seiner Organisation und Funktion zu verstehen, ist somit eine der grossen Herausforderungen für die Wissenschaft im 21. Jahrhundert. Am Institut für Neuroinformatik arbeiten Forscherteams aus Biologen, Physikern, Psychologen, Ingenieuren und Informatikern zusammen daran, diese Komplexität zu verstehen. Die Forschenden nutzen dabei neue Entwicklungen in der Silizium- und Computertechnologie, um Modelle des Gehirns zu entwickeln und diese dann experimentell zu testen. Das Bedürfnis, biologische Intelligenz sehr grundsätzlich zu verstehen, hat ein schnelles Wachstum von neuer Forschung an der Schaltstelle zwischen Neurowissenschaften, Informatik und Ingenieurwesen gefördert. Das Institut für Neuroinformatik begünstigt diese wichtige Entwicklung durch seine Aktivitäten.
Vier Forschungspfeiler
1. Experimentelle Anatomie und Physiologie des visuellen Cortex (Teil der Hirnrinde, der für das Sehen zuständig ist). Die Projekte erforschen die Struktur und die Funktion der neuronalen Minischaltkreise im Cortex (Abbildung 1). Als Methoden werden Elektronen- und Lichtmikroskopie, Immunocytochemie sowie elektrophysiologische Aufnahmen von Neuronen in Präparaten wie auch am Tier direkt verwendet.
Abbildung 1: Grundlegende
neuronale Schaltkreise im visuellen Cortex. Hemmende Nervenzellen und ihre Verbindungen
sind in Grau gehalten, erregende Nervenzellen in Schwarz. Die einzelnen Schichten des
Cortex sind eingezeichnet.
2. Theoretische Analyse und Simulation der Schaltkreise im Cortex. Dabei werden
die rechnerischen Eigenschaften von biologischen neuronalen Schaltkreisen (siehe Abbildung
1) analysiert und daraus vereinfachte Neurone abstrahiert, die für Studien mit analogen
VLSI-Chips (VLSI = Very Large Scale Integration, ein Mass für die Dichte der Schaltungen)
geeignet sind (Abbildung 2).
Abbildung 2: Resultat eines Experiments
mit einem Netzwerk aus vereinfachten Neuronen. Aus stereoskopen Bildern, die von zwei
eindimensionalen Netzhäuten geliefert werden, müssen Objekte in unterschiedlicher
Entfernung lokalisiert werden. Die Punkte in der Abbildung stehen für Neuronen, die die
Signale aus den beiden Netzhäuten (gestrichelte Linie) aufeinander beziehen. Die
Aktivitäten von Untergruppen dieser Neuronen (Ellipsen) werden durch hemmende
Nervenzellen gesteuert, indem diese das Netzwerk auf eine einzige Lösung einschränken.
Jede dieser Untergruppen interagiert auch mit einem Paar von sogenannten analog disparity
neurons (Dreiecke), welche die Stetigkeit von Objekten mit einer ähnlichen Tiefe
ausdrücken. Diese Netzwerke werden mit digitaler Simulation erforscht und dann in analoge
VLSI-Chips eingeführt.
3. Entwerfen und Herstellen von sogenannten neuromorphen Systemen. Mit analogen VLSI-Methoden sollen elektronische Schaltkreise konstruiert werden, die Signalverarbeitungs- und Rechenfunktionen durchführen wie biologische neuronale Netzwerke. Zurzeit liegt das Schwergewicht im Entwickeln von Einfach- und Mehrfach-Chip-Systemen, die die frühe visuelle Verarbeitung durchführen, und von dichten analogen Speichern. Ausserdem wird eine Infrastruktur für die Kommunikation zwischen den Chips aufgebaut (Abbildung 3).
Abbildung 3: Die Kommunikation zwischen
den verschiedenen Recheneinheiten in einem analogen VLSI-Schaltkreis ist ein limitierender
Faktor beim Bau von neuromorphen Systemen. Es ist unmöglich, genügend Käbelchen
zwischen den Chips zu verlegen. Ein sogenannter Kommunikationsbus (Address-Event-Bus)
schafft hier Abhilfe. Neuronen im sendenden Chip erzeugen Sequenzen von
Aktionspotential-Ereignissen. Jedes dieser Ereignisse wird am Eingang zu einem
Kommunikationsbus in eine Adresse kodiert. Ein zeitlicher Strom dieser Adressen bewegt
sich zwischen dem Sender- und dem Empfängerchip. Die Adressen werden durch den Empfänger
wieder entziffert und gelangen als Aktionspotentiale an ihr postsynaptisches Ziel.
4. Entwicklung von neuromorphen Robotern. Neue Methoden für die Konstruktion und die Kontrolle von kleinen Robotern werden erforscht, die als mobile Plattform für die Entwicklung und das Testen von einfachen neuromorphen Systemen dient (Abbildung 4).
Abbildung 4: Ein autonomer
Koala-Typ-Roboter, der von der ETH Lausanne stammt, wurde ausgerüstet mit einem
VLSI-Chip, der eine eindimensionale analoge Netzhaut beinhaltet mit assoziiertem
Bildvorverarbeitungs- und Merkmalerkennungsschaltkreis. Dies macht ihn zum Neurobot (neuro
+ robot). Der Chip ist darauf optimiert, dass er die Kontrastgrenze zwischen hell und
dunkel unter schwierigen Lichtbedingungen erkennt. Der Koala benützt den Output aus dem
visuellen Chip, um der Kontrastgrenze zu folgen (in diesem Fall wurde ein Kabel
kreisförmig ausgelegt). Die Bahn des Koalas (Quadrate) wurde während eines Testlaufs von
ungefähr 100 Metern (mehr als 25 Mal dem Kabel entlang) verfolgt. Man bemerke die geringe
Abweichung in der Route, die der Neurobot in den aufeinanderfolgenden Umkreisungen
gewählt hat.
Das Institut für Neuroinformatik der Universität und der ETH Zürich wurde Ende 1995 gegründet. Neben den beiden Professoren Rodney J. Douglas und Kevan A. Martin arbeiten drei Oberassistenten, zehn wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie acht Assistenten und Assistentinnen am Institut. Die Forschung am Institut wird unterstützt durch: ETH und Universität Zürich, SNF (Schwerpunktprogramm), U.K. Medical Research Council, Centre Suisse d'Electronique et de Microtechnique, US Office of Naval Research, Human Frontiers Science Program, Gatsby Charitable Foundation, Wellcome Trust und die Europäische Union.
Rodney J. Douglas ist ordentlicher Professor für Theoretische Neuroinformatik und Direktor des Instituts für Neuroinformatik der Universität und der ETH Zürich
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Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 09.01.98