Magazin der Universit?t Z?rich Nr. 3/96

Medienumwelt im Wandel

Fast täglich begegnet man in Zeitungen, Zeitschriften und am Fernsehen Beiträgen, die von einem zurzeit stattfindenden tiefgreifenden Umbruch unserer Medienlandschaft berichten, sogar vom Ende der Massenkommunikation ist die Rede. Da wimmelt es von neuen Wortschöpfungen, Fachbegriffen und Metaphern wie «Multimedia», «interaktives Fernsehen», «Information Superhighway», «Internet» und «Cyberspace» oder «Virtual Reality». Darnach scheint auch die Medienumwelt in einem starken Wandel begriffen zu sein.

VON HEINZ BONFADELLI

Unklar bei diesem Wandel bleibt, wovon eigentlich genau die Rede ist. Man ist nie ganz sicher, ob die elektronische Revolution tatsächlich schon voll im Gange ist oder von den Marketingspezialisten der Computer- und Medienkonzerne erst sprachlich, sozusagen virtuell, herbeigeredet wird, um so notwendiges Interesse, Akzeptanz und Kaufbereitschaft erst zu erzeugen.

Als Medienwissenschafter kann man sich eines gewissen «dŽjˆ vue» nicht erwehren. Schon zu Beginn der 80er Jahre sind Prognosen und Szenarien zur «schönen neuen Medienzukunft» entworfen und aufs heisseste diskutiert worden. Damals standen jedoch nicht der Computer und Internet, sondern Kabelfernsehen und die schweizerischen Lokalradioversuche, allenfalls Videotex im Vordergrund. Imöffentlichen Diskursüberwogen Gefahren undÄngste, während heute der erhoffte Milliardenmarkt mit Medien- und Software-Angeboten und die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit des Informationssektors, Elektronik für Behinderte undÄrzte, Computer-Kunst oder Lernprogramme für Kinder dominierende Themen sind.

Trotz solcher Vorbehalte und Relativierungen wäre es aber falsch zu behaupten, es hätte sich im letzten Jahrzehnt im Medienbereich gar nichts verändert. Statt noch nicht realisierte Zukünfte spektakulär zu beschwören, soll im folgenden bescheidener auf einige zurzeit tatsächlich stattfindende Veränderungen eingegangen werden, und zwar so, wie sie sich aus der Perspektive der Mediennutzeräussern mit besonderem Augenmerk auf die Globalisierung.

Ausweitung des Medienensembles und Angebotsexplosion

Sowohl bei Fernseh- und Radioprogrammen als auch bei Zeitschriften hat in den letzten Jahren eine Vervielfachung der Kanäle wie auch eine Ausweitung der Angebote stattgefunden. Dabei garantiert «Vielzahl» an empfangbaren Sendern oder angebotenen Inhalten nicht unbedingt schon «Vielfalt». In der Schweiz geschah dies beim Fernsehen zunächst hauptsächlich durch erhöhte Empfangbarkeit ausländischer Sender, später beim Radio durch Einführung der privaten Lokalradios und jetzt in einer dritten Phase durch neue lokale Fernsehprogramme wie «TeleZüri» oder auf nationaler Ebene durch «Schweiz 4».

Nachdem noch Ende der 70er Jahre der Empfang der drei Schweizer Fernsehprogrammeüber Dachantennen, ergänzt durch die ARD und in Grenznähe durch das ZDF die Regel war, erhöhte sich der Verkabelungsgrad von damals 30 Prozent auf heuteüber 80 Prozent. In der Folge stieg die Zahl der durchschnittlich empfangbaren Sender aufüber 20 an. Gleichzeitig erhöhte sich auch die Verbreitung der Videogeräte kontinuierlich auf heuteüber 50 Prozent. Überraschenderweise stagnierte aber die Reichweite des Fernsehens bei etwa 70 Prozent täglich eingeschalteter Geräte; der Fernsehkonsum erhöhte sich erst gegen Ende der 80er Jahre langsam auf rund zwei Stunden pro Werktag in der Deutschschweiz.

Bezüglich Globalisierungäussern sich in diesen Entwicklungen widersprüchliche und zum Teil gegenläufige Tendenzen. Im AudioVision-Bereich (AV) hat sich das in der Schweiz zugängliche Angebot stark internationalisiert, und zwar mit einer Dominanz zum Beispiel des amerikanischen Films aufüber 80 Prozent, während beim Fernsehen die privaten Vollprogramme aus Deutschland wie RTL, Sat1 oder Pro 7 mit ihren vielen amerikanischen Filmen und Serien, aber auch Spartenkanäle wie CNN, MTV oder Eurosport die SRG-Programme stark konkurrenzieren. Als Folge davon entfällt heute nur noch rund ein Drittel der vor dem Fernseher verbrachten Zeit auf «einheimische» Programme.

Während Kulturkritiker von einer wachsenden Dominanz der amerikanischen Massenkultur, symbolisiert durch global verbreitete Kulturprodukte wie McDonald's, World of Coke, United Colours of Benetton, Walt Disney oder Microsoft, sprechen und Homogenisierung bzw. eine Gefährdung unserer kulturellen Identität befürchten, macht sich andererseits auch ein verstärktes Bedürfnis nach Lokal- und Regionalinformation bemerkbar. Lokale Fernseh- und Radioveranstalter, die in ihren Programmen die Nahwelt der Menschen thematisieren, stossen darum auf Publikumsinteresse. Auch bei der SRG sind nicht zuletzt jene Sendungen erfolgreich, die sich mit schweizerischen Themen befassen. Gleichzeitig darf aber nichtübersehen werden, dass gerade der Lokalbereich in den letzten Jahren von einer fortschreitenden Pressekonzentration betroffen war.

Information und Unterhaltung vermischen sich

Nun führt eine solche Angebotsexplosion, was die Kanäle, aber auch die Inhalte anbelangt, notwendigerweise zu einer verstärkten Konkurrenz, um Medienpublika bisweilen kann sich das als fast «verzweifelte» Suche nach dem Publikumäussern. Im Gefolge der Vervielfachung der Medienangebote und der sich verstärkenden Konkurrenz um Aufmerksamkeit sowohl der Publika als auch der Werber begannen sich darum auch die Angebotsformen zu verändern: Bei den elektronischen Medien hat im Gefolge des starken Wettbewerbs zwischen denöffentlichrechtlichen und den privaten Anbietern die Unterhaltungsorientierung zugenommen. So trifft der Zuschauer im Hauptabendprogramm heute häufiger auf unterhaltende Sendungen, während Informations-, Kultur- und Bildungsangebote zurückgegangen sind oder später am Abend programmiert werden. Zudem sind die klassischen Unterhaltungssendungen wie Spielfilme oder die Samstagabend-Show durch neue Angebote wie Spiel-, Talk- und Reality-Shows ergänzt worden.

Gleichzeitig ist die früher klare Trennung zwischen Information und Unterhaltung, unter dem Stichwort «Infotainment» bekannt, in Auflösung begriffen. Weil weniger der Nachrichtenwert eines Ereignisses, weil vielmehr sein Erlebniswert ins Zentrum rückt, ist nicht mehr der objektive, analysierende Bericht gefragt, sondern die subjektive Perspektive mit Betonung auf dem Spektakulären und Emotionalen, wie man dies etwa im SF DRS im «Kassensturz» und im Nachrichtenmagazin «10 vor 10» pflegt. Lockere Moderation, inszenierte Hörergespräche und Fernsehbeichten fingieren ebenfalls Nähe zum Publikum und sollen die Publikumsbindung stärken. Dadurch weichen sich die Grenzen zwischen Realität und Medienwirklichkeit auf.

Synthetische Medienrealität

Französische Medienanalytiker behaupten, dass es heute zwischen der Fernsehwirklichkeit und dem alltäglichen Leben gar keinen Unterschied mehr gebe. Während diese Diagnose vom deutschen Kulturkritiker Günter Anders in seinem Werk «Die Antiquiertheit des Menschen» noch als Erfahrungsverlust beklagt wurde, meint Jean Beaudrillard postmodern lakonisch: «Heute ist das Subjekt weder entfremdet noch entzweit, noch zerrissen. Da die anderen als sexueller oder sozialer Horizont praktisch verschwunden sind, beschränkt sich der geistige Horizont des Subjekts auf den Umgang mit seinen Bildern und Bildschirmen.»

Mit neuen Medientechnologien wie «Multimedia» und «Virtual Reality» deuten sich noch weitergehende Möglichkeiten der synthetischen Bilderzeugung an. Diese werfen neue Fragen bezüglich der Umstrukturierung unserer Wahrnehmung von Raum und Zeit auf. Und je aufwendiger und damit auch teurer solche Verfahren der Erzeugung von Medienrealität werden, desto mehr werden nur noch wenige, global tätige Konzerne in der Lage sein, Medienprodukte herzustellen und zu vermarkten.

Kultur und Kommunikation als Ware

Grenzauflösungen gibt es aber nicht nur zwischen «Information und Unterhaltung» oder «Alltagswirklichkeit» und «Medienrealität», sondern auch zwischen redaktionellem Teil und Werbung: Neue Formen wie Advertorials, Game-Shows oder Tele-Shopping stellen Versuche dar, einerseits den Werbeteil informationsmässig anzureichern oder dem redaktionellen Teil anzugleichen; andererseits wird durch Sponsoring, Product Placement oder Event Marketing versucht, Werbebotschaften im redaktionellen Teil zu verstecken. Solch verstärkte Werbeträgerfunktionen drängen notwendigerweise die publizistischen Funktionen in den Hintergrund. Redaktionelle Leistungen sind darum oft nicht mehr das primäre Anliegen, sondern werden unter dem Gesichtspunkt ihrer Tauglichkeit als Werbeumfeld konzipiert. Medienangebote werden so immer mehr zu Waren, die dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegen. Kommerzialisierung impliziert darum, dass Medien je länger, desto weniger prioritär als Kulturfaktoren verstanden werden, sondern immer stärker als Wachstumsbranche, in der sich leicht Geld verdienen lässt.

Medien als Fenster zum «Global Village»

Globalisierungstendenzen sowie eine enorme Beschleunigung der Medienproduktionäussern sich auch in den Medieninhalten selbst. Die rasante Entwicklung der Informationstechnologien ermöglicht heute sekundenschnell Verbindungen via Satellit zwischen räumlich und zeitlich getrennten Ereignissen. Die Bevölkerung als potentielles Medienpublikum ist rund um die Uhr durch Medientechnologien wie Walkman, Watchman oder Natel praktischüberall erreichbar. Während sich das Leben früher zur Hauptsache in einemüberblickbaren und durch persönliche Erfahrung vertrauten Lokalraum abspielte, nehmen wir heute via Live-Übertragung durch Medien wie CNN teil an Ereignissen wie 1989 der eigens für die Weltöffentlichkeit fabrizierten Tele-Revolution in Rumänien, 1991 am durch das US-Militär klinisch inszenierten Golfkrieg «ohne Tote» oder 1994 am O. J. Simpson-Prozess und 1996 praktisch die gesamte Weltbevölkerung an den Olympischen Spielen in Atlanta.

Antonio Muntadas: Die letzten zehn Minuten Moskau, Kassel, Washington (Videoinstallation).



Die Medien erweitern als «Fenster zur Welt» unser Wissen und unsere Teilhabe am weltweiten Geschehen ganz erheblich. Wir werden durch sie quasi zu simultanen Augenzeugen «vor Ort» auch im noch so entferntesten Winkel des von McLuhan prognostizierten «Global Village». Die Ereignisse mögen uns emotional zwar unter Umständen stark berühren, aber gleichzeitig sind wir als virtuelle Beobachter auch wieder merkwürdig unbeteiligt, passiv oder ohnmächtig, indem wir oft keinen Einfluss auf deren Verlauf nehmen können. Ungeklärt und in der Medienwissenschaft umstritten ist, ob sich dadurch nicht längerfristig unsere Passivität verstärken und unsere Anteilnahme reduzieren könnten.

Wissenskluft vergrössert sich

Mit der globalen Ausdehnung und Vernetzung der medialen Infrastruktur vergrössert sich natürlich auch das Informationsangebot, das an jedem Punkt der Erde vorhanden ist. Die Vielzahl der auf uns täglich einströmenden Informationen garantiert jedoch keineswegs eine entsprechende Qualität. Radikale Kritiker wie der Medienpädagoge Neil Postman meinen, dass heute nicht mehr der Informationsmangel das Problem sei. Vielmehr drohen Informationen in Zukunft zu einer noch unbewältigten Form von Abfall zu werden, vor dem man sich schützen müsse. Obwohl wir uns heute besser informieren können als jemals zuvor, belegen empirische Forschungen vielfach, dass die wachsende Informationsflut auch Überforderung oder gar Informationsüberdruss erzeugt, wie das jüngste Beispiel des Rinderwahnsinns in Europa drastisch illustrierte. Die Gefahr besteht durchaus, dass ein «Informationsproletariat» entstehen könnte, das sich grösstenteils nur oberflächlich durch die Bildreize der elektronischen Medien informiert und vorab emotional darauf reagiert. Dadurch wird sich aber die Wissenskluft zu den gebildeten Informationsreichen vergrössern, die vorab die informationsreichen Printmedien nutzen.

Zur Diskussion stehen freilich nicht nur die Inhalte der Information selbst. Medien vermitteln auch kognitive Schemata, mit denen wir unsere Alltagsrealität wahrnehmen und dieser Sinn verleihen. Diese Bezugsrahmen wiederum sind als Folge der Mediatisierung vermehrt standardisiert und global kollektiver Art. Als Folie beeinflussen solche globalen Wissensstrukturen sozusagen unterschwellig unsere lokal gemachten Alltagserfahrungen. Medienspuren dieser Artäussern sich beispielsweise dann, wenn jugendlichen Fernsehzuschauern der lokale Sportverein fremd, aber Street-, Base- oder Beachball vertraut erscheinen.

Trotzdem: Die neuen Medientechnologien werden wohl kaum, wie von Bill Gates und anderen Euphorikern vorausgesagt, alle bestehenden Kommunikations- und Bildungsprobleme zu lösen vermögen. Über ihre Chancen und Risiken werden nicht zuletzt die Menschen selbst entscheiden. Sie werden sich immer wieder von neuem fragen müssen, wieviel und welche Information für ihren konkreten Alltagsvollzugüberhaupt notwendig sein wird, wann medienvermittelte Information Freiräume und Selbstbestimmung ermöglicht oder unnütze Medienabhängigkeit nur Kreativitätsverlust und Eskapismus nach sich zieht.


Dr. Heinz Bonfadelli (bonfadel@sfp.unizh) ist ausserordentlicher Professor am Seminar für Publizistikwissenschaft der Universität.


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Last update: 27.9.1996