Arten und kosysteme, die über Jahrtausende entstanden sind, verschwinden in bisher unbekanntem Ausmass und Tempo es ist von Massensterben die Rede. Ursachen und Folgen sind meist nur grob bekannt. Der konomie stellt sich die Frage, was dies für die Wohlfahrt, für unser Wohlergehen bedeutet. Sind die Verluste abzusehen und zu berechnen? Die konomie steht vor einer interdisziplinären Herausforderung.
VON IRMI SEIDL
«Global Change» als Begriff bezieht sich nicht nur auf den Klimawechsel. Die massive, anthropogen verursachte Veränderung der Erde betrifft ebenso Boden, Wasser und Vegetation und gefährdet damit auch lebende Systeme. Seit der Biodiversitätskonvention von Rio im Jahre 1992 ist das Massensterben das möglicherweise grösste der Erdgeschichte zu einemöffentlichen und politischen Thema geworden. Die Listen gefährdeter und ausgestorbener Arten werden immer länger. Doch was ist das schon, angesichts der Millionen Arten, die auf dem Erdball leben, der grösste Teil davon noch gar nicht entdeckt? Was bedeutet dieses Massensterben für unser Leben, für unseren Wohlstand? Antworten von konomen/innen sind gefragt.
Um das Phänomen und die Konsequenzen einerökonomischen Analyse zugänglich zu machen, ist zunächst die Frage zu klären, was Biodiversität ist und welcheökonomische Bedeutung sie hat. Die Biodiversitätskonvention fasst unter diesem Begriff die genetische Vielfalt von Lebewesen, die Artenvielfalt sowie die Vielfalt von kosystemen zusammen. Von einer mehr funktionellen Seite gesehen, ist Biodiversität eine wesentliche Eigenschaft natürlicher Systeme und eine wichtige Grundlage für dieökonomische Produktion. Für die konomie sind an diesen Definitionen zwei Aspekte wichtig: Biodiversität kann einerseits ein privates oder einöffentliches Gut sein, und sie ist andererseits zugleich ein Wesensmerkmal lebender Systeme.
Immer wieder wird die Frage gestellt, ob es möglich und vertretbar ist, Biodiversität angesichts der enormen Wissenslücken und ihrer grundsätzlichen Bedeutung für das Leben adäquat mit Geldgrössen zu bewerten. Möglicherweise weist Goethes Mephisto auf eine Antwort hin, wenn er die gelehrten Herren und damit wohl die moderne Welt an folgendem Denken zu erkennen meint: «Was ihr nicht rechnet, glaubt ihr, sei nicht wahr; was ihr nicht wägt, hat für euch kein Gewicht; was ihr nicht münzt, das sagt ihr, gelte nicht!» Kommen wir also nicht darum herum, Geldwerte zu erheben, um den natürlichen Lebensgrundlagen Gewicht zu verleihen?
Worin besteht nun der (ökonomische) Wert eines Naturgutes? Angesichts der vielfältigen Bedeutung von Naturgütern ist eine sorgfältige Kategorisierung angebracht. Grundsätzlich lässt sich in konsumptive und in nicht-konsumptive Werte unterscheiden. Erstere stiften einen direkten oder indirekten Konsumnutzen, letztere dagegen werden nicht direkt genutzt, sie erfüllen andere als Konsumbedürfnisse. Verdeutlicht am Beispiel der Pflanzenvielfalt: Als konsumptive Werte einer vielfältigen Flora zählen Heilkräuter oder die Sortenvielfalt von Kulturpflanzen (direkter Nutzen); indirekten Nutzen haben die Reinigungs-, Produktions- und Absorptionsfunktion des Bodens dank vielfältiger Vegetation. Zu den nicht-konsumptiven Werten zählt der mögliche künftige Wert, den bislang «nutzlose» Pflanzen haben können (Optionswert potentieller Medizinsubstanzen, Nahrungsmittel). Weiter kann die blosse Existenz von Pflanzenvielfaltästhetische Freude stiften oder symbolische Werte verkörpern (Existenzwert). Schliesslich verspüren viele Menschen auch den Wunsch (und die ethische Verpflichtung), Artenvielfalt den künftigen Generationen zu hinterlassen (Vermächtniswert).
Die Komplexität ökologischer Systeme verlangt zusätzlich den Blick auf die Funktionen von Naturgütern bzw. ökologischen Systemen. Nur so kann deren Bedeutung möglichst umfassend erkannt werden. Es lassen sich folgende Funktionen identifizieren: Die Regulierungsfunktion, die Lebensraumfunktion, die Produktionsfunktion und die Informationsfunktion.1 Auf das Beispiel Pflanzenvielfaltübertragen: Zu den Regulierungsfunktionen zählt zum Beispiel die (Mikro-)Klimaregulierung, die Kohlendioxidassimilierung, die Stärkung der Bodenregulierungsfunktion oder die Senkenfunktion (Abbau und Einlagerung von Schadstoffen). Lebensraumfunktionen hat Pflanzenvielfalt durch die Gestaltung von Lebensraum, sie schafft Anbaumöglichkeiten, Erholungsräume und touristische Ziele. Weiter hat sie auch produktive Funktionen: Aus ihr entstehen Kulturpflanzen, und sie birgt medizinische Wirkstoffe, sie liefert genetische Ressourcen sowie Heiz-, Bau- und Bekleidungsmaterialien. Schliesslich hat Pflanzenvielfalt auchästhetische und spirituelle Bedeutung, und sie liefert Informationen für Wissenschaft und Bildung. Dafür wird der Begriff Informationsfunktion verwendet.
Lassen sich für dieses Kind die Verluste einer vielfältigen, lebendigen Umwelt ausdrücken?
In der konomie gibt es inzwischen eine lebendige Diskussion und Praxis zur Errechnung von Werten für Naturgüter bzw. für Verluste, die durch ihre Zerstörung entstehen. Der traditionelle Ansatz besteht darin, die Geldwerte zu erheben, die durch Verlust, zur Vermeidung von Schäden, für Reparaturen oder für den Ersatz des Naturgutes aufgewendet werden müssen. Stark neoklassisch geprägte Methoden dagegen erheben vor allem, ob die Konsumenten/innen den Schutz der Umwelt wollen (Nutzen bzw. Präferenzen haben), wie hoch diese Präferenzen sind (in Geldeinheiten ausgedrückt) und schliesslich, wie Nutzen (Präferenzen) und Kosten für den Schutz der Umwelt zueinander stehen (Kosten-Nutzen-Analyse). Dieses Konzept geht davon aus, dass die Konsumenten/innen aufgrund fehlender oder versagender Märkte ihre (monetäre) Wertschätzung und damit ihren Nutzen nicht ausdrücken können. Weil die Preise von Naturgütern nur unvollständig die bestehenden Knappheiten widerspiegeln (sie sagen nicht die «ökologische Wahrheit»), versagen die Allokations- und Verteilungsmechanismen des Marktes; es kommt zu Wohlfahrtseinbussen. Entsprechend beschäftigt sich die Umweltökonomie damit, die externen Kosten und Nutzen von Naturgütern zu erheben und dem Marktsystem zugänglich zu machen.
Um monetäre Werte zu erfassen, gibt es verschiedene Methoden. Wie können diese nun beispielsweise für die Wertbestimmung von «Pflanzenvielfalt» angewendet werden?
Zunächst zur traditionellen Methode der Erhebung von Schadens-, Vermeidungs-, Reparatur- oder Kompensationskosten. Schadenskosten entstehen beispielsweise bei der Zerstörung von Pflanzenvielfalt durch entgangenen Nutzen, den nichtentdeckte, verlorengegangene medizinische Substanzen hätten liefern können (gemäss Schätzungen haben die Wirkstoffe aller bekannten, aber bislang nicht untersuchten höheren Pflanzen einen Wert von 147 Milliarden US-Dollar2). Andere mögliche Schäden entstehen durch Ernteausfälle aufgrund von Erosion der Saatgutvielfalt, durch die Verschlechterung von Bodenfunktionen oder durch Verluste eines rückläufigen Tourismus.
Die Schadensvermeidungskosten sind Ausgaben, die getätigt werden, um Schäden vorzubeugen. Im Falle der Pflanzenvielfalt können dies Ausgaben für die Förderung von Artenvielfalt sein, Prämien für ökologischen Anbau, Kosten für die Ausweisung von Naturschutzgebieten usw. Die (Schadens-)Reparaturkosten stehen für Ausgaben, um bereits entstandene Schäden zu reparieren, sofern dies möglich ist. Beispiele dafür sind die Kosten für den Aufbau von Genbanken, Aufwendungen für das (Zurück-)Züchten (traditionell oder gentechnisch) oder für Baumassnahmen, um die Erosion durch unzureichende Bodenbedeckung zu verhindern. (Schadens-) Kompensationskosten schliesslich sind jene Aufwendungen, die getätigt werden müssen, um Schäden zu kompensieren. Weil in Kalifornien beispielsweise natürlich vorkommende Bienenarten verdrängt und ausgerottet wurden, muss die Bestäubung von Kulturpflanzen durch gemietete Bienen gesichert werden, was jährlich etwa 40 Millionen US-Dollar kostet.3
Die neoklassisch inspirierten Methoden haben hauptsächlich zum Ziel, individuelle bzw. aggregierte Präferenzen für Naturgüter zu erheben.
Mit der Aufwandmethode lassen sich «versteckte» Präferenzen für Naturgüter in ökonomischen Handlungen identifizieren. Es wird zum Beispiel der Aufwand berechnet, der notwendig ist, um ein solches Gut zu sehen oder zu geniessen (Reisekosten, -aufwand). Im Falle von Pflanzenvielfalt ist dies zum Beispiel der Aufwand von Touristen/innen für den Besuch einer pflanzenreichen Region. Eine Studie von Schelbert hat gezeigt, dass der Reiseaufwand der Besucher/innen des Zürichberg-/Adlisbergwaldes jährlich 4,2 Millionen Franken beträgt.4
Die Marktpreismethode versucht, den Anteil an Marktpreisen zu errechnen, der aufökologische Eigenschaften eines Gutes bzw. einer Leistung zurückzuführen ist. Bekannt ist das Beispiel von Mieten: Wohnungen in ruhigen, grünen Gegenden sind teurer als ebenbürtige Wohnungen neben stark befahrenen Strassen. In gleicher Weise fliessen Präferenzen für den Erhalt und die Pflege der Pflanzenvielfalt in die Preisbildung von Produkten ausökologischer Landwirtschaft.
Fehlt jeglicher Markt, auf dem Konsumenten/innen ihre Präferenzen äussern können, so kann die Zahlungsbereitschaftsanalyse (Kontingenzmethode) angewendet werden. Menschen werden befragt, wieviel ihnen ein Naturgut wert ist, das heisst, wieviel sie für deren Erhaltung zu bezahlen bereit sind (willingness to pay). Diese Methode wird zunehmend angewendet und verfeinert.5 Eine Befragung in sterreich zum Donau-Auen-Nationalpark ergab, dass jede sterreicherin und jeder sterreicher bereit ist, über 14 Jahre durchschnittlich 330 Schilling im Jahr zu zahlen, wenn der Nationalpark gegründet und keine Wasserkraftanlagen gebaut werden.6
Die Arbeit von Bienen zu ersetzen ist kostspielig fallsüberhaubt möglich.
Die Beispiele dürften angedeutet haben, dass Berechnungen immer lückenhaft bleiben müssen und nur einen Teil des Wertes von Naturgütern erfassen können. Hier setzen auch die Einwände gegen diese Methoden der Monetarisierung an: Das Wissen sowohl von Laien als auch von Spezialisten über die Bedeutung von Naturgütern und Pflanzenvielfalt im besonderen ist viel zu klein, als dass die Bedeutung für heutiges und künftiges menschliches Leben nachvollzogen und in Geld ausgedrückt werden könnte. Hinzu kommt, dass sich ein vergleichsweise hoher Teil der Bevölkerung gegen die Aufrechenbarkeit von Naturgütern gegen Geld wendet. Untersuchungen zeigten, dass rund ein Viertel der Bevölkerung solche lexikographischen Präferenzen hat.7
Diese Grenzen und die Lücken bei der Errechnung geben eine Antwort auf die Titelfrage, wenngleich eine wenig befriedigende: Die Kosten der globalen Biodiversitätszerstörung lassen sich auch annähernd nicht errechnen. Die einzelnen Errechnungsmethoden können aber Hinweise auf die Grössenordnung möglicher Verluste geben. Dies ist in unserer zahlen- und geldgrössenfixierten Gesellschaft unerlässlich. Doch der Fortgang des Massensterbens zeigt, dass die errechneten Geldgrössen selten genügend Impulse für ausreichende Schutzmassnahmen geben. Die Gesellschaft dürfte nicht darum herum kommen, absolute Schutzgrenzen zu setzen und einzuhalten. Zum Schutz der Pflanzenvielfalt können dies beispielsweise die Begrenzung der Versiegelungsfläche, Vorschriften für die Landbewirtschaftung, Mindestwaldflächen oder Mindesthabitatgrössen sein. Wie solche Mindeststandards konkret aussehen undökonomisch effizient eingehalten werden können, wollen Mitarbeiter/innen des Instituts für Umweltwissenschaften genauer untersuchen und erforschen.
Literatur
1 Vgl. de Groot, R.: Functions of Nature, Groningen, 1992.
2 Vgl. Bulldozer im Paradies, in: Der Spiegel, 48/1995, S. 186-204.
3 Vgl. Pimentel, D. et al.: Environmental and economic costs of pesticide use, in: BioScience, Vol 42, 1992, S. 354-362.
4 Vg. Schelbert, H./Maggi, R. u.a.: Wertvolle Umwelt, Züricher Kantonalbank Nr. 3, 1988.
5 Aufstellung verschiedener solcher Analysen vgl. Blöchiger, H./Hampicke, U./Langer, G.: Schöne Landschaften: Was sind sie uns wert, was kostet ihre Erhaltung? in: Altner, G. u.a.: Jahrbuch kologie 1996, München 1996, S. 136-150.
6 Vgl. Kosz, M.: Valuing riverside wetlands: the case of the "Donau-Auen" national park, in: Ecological Economics, 16, 1996, S. 109-127.
7 Vgl. Hanley, N./Spash, C.: Problems in Valuing the Benefits of Biodiversity Protection, in: Environmental and Resource Economics, 5, 1995, S. 249-272.
Dr. oec. Irmi Seidl (iseidl@uwinst.unizh.ch) ist Assistentin am Institut für Umweltwissenschaften der Universität Zürich.
unipressedienst Pressestelle der Universität Zürich
Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
http://www.unizh.ch/upd/magazin/3-96/
Last update: 3.10.1996