Das mittlere Erwachsenenalter zwischen Jugend und Alter gelegen ist häufig eine undramatische Lebensphase. Die eigene Lebensperspektive verschiebt sich, biographische Festlegungen werden allmählich bedeutsam, ursprüngliche berufliche und familiäre Ziele können plötzlich als unrealisierbar erscheinen.
Beim mittleren Lebensalter handelt es sich in einem gewissen Sinn um eine sozial ungenügend definierte Lebensphase, die primär durch ihren Zwischencharakter nicht mehr jung, aber auch noch nicht alt bestimmt wird. Deshalb ergibt sich empirisch ein uneinheitliches Bild, in dem die einen Daten eine kontinuierliche Weiterentwicklung in dieser Lebensphase demonstrieren und die anderen Daten auf wesentliche lebenszyklische Einschnitte deuten.
Das Auffälligste an den mittleren Jahren ist jedoch oft, dass sie so unauffällig verlaufen. Meist handelt es sich um allmähliche Wandlungsprozesse, die nur bei einer Minderheit die Form einer «Krise» annehmen. Auch deshalb sind die Wandlungen im mittleren Lebensalter bisher oft unbeachtet geblieben. Einzig die Menopause bei Frauen wird seit einigen Jahren verstärkt thematisiert.
Graue Haare, Glatze, Runzeln
Mit dem Ende der jugendnahen Erwachsenenphase beginnt eine neue Form der Auseinandersetzung mit den Grenzen der eigenen körperlichen Existenz. Der Körper macht nicht mehr alles mit, was von ihm verlangt wird. Menopause, graue Haare beziehungsweise Glatze oder Gesichtsfalten sindäussere Zeichen für den beginnenden Verlust eines jugendlichen Körpers.
Da bei Frauen der soziale Status stärker als bei Männern mit körperlicher Attraktivität verbunden wird, sehen sich Frauen verstärkt mit der Diskrepanz zwischen körperlichen Alterssignalen und psychischer Weiterentwicklung konfrontiert. Sie werden von Männern immer noch weitgehendüber jugendbezogene Attraktivitätsnormen eingeschätzt und geschätzt, insofern ist der mit sichtbarem körperlichem Altern verbundene soziale Statusverlust für Frauen fühlbarer als für Männer.
In den letzten Jahrzehnten erfolgte sowohl eine zeitliche Ausdehnung der jugendnahen Lebensphase (Postadoleszenz, vorelterliche Phase) als auch eine soziokulturelle «Verjüngung» des Erwachsenenalters. Ein Ende einer jugendnahen Lebensphase mit ihrer Orientierung an postadoleszenten Lebensformen und jugendlich geprägtem Freizeit- und Konsumverhalten erfolgt heute häufig erst im 4. Lebensjahrzehnt. Auch deshalb kann der Verlust an «Jugendlichkeit» im mittleren Lebensalter als bedrohlich erlebt werden.
Die postmoderne Version einer «midlife crisis» kann sich gerade daraus ergeben, dass endgültig von einer jahrelang internalisierten jugendnahen Wert- und Verhaltensorientierung Abschied genommen werden muss. Dieser Prozess kann «schmerzvoll» sein, denn im Grunde haben wir nicht das Alter zu «lieben gelernt», sondern nur gelernt, lange jung zu bleiben. Trotzdem handelt sich beim mittleren Erwachsenenalter gerade um eine Lebensphase, deren Verhaltens- und Lebensweisen sich in starkem Masse auf die Gestaltung des Alters auswirken.
Auszug der Kinder
Ein weiterer Wandel im mittleren Lebensalter ist die Verschiebung im Generationengefüge. Einerseits steht die mittlere Altersgruppe zwischen der jungen und derälteren Generation, wobei das Stichwort «Sandwich-Generation» wegen seiner suggestiven Aussagekraft kritisch zu hinterfragen ist. Dennoch ist unverkennbar, dass in dieser Lebensphase nicht selten die Verantwortung sowohl für die jüngere Generation (Kinder bzw. Enkelkinder) als auch für dieältere Generation (betagte Eltern bzw. Elternteile) anfällt.
Mittleres Alter eines erstgeborenen Kindes beim Tod seiner/seines | ||||
Mutter | Vaters | Grossmutter* | Grossvaters* | |
1881/88 | 37 | 32 | 10 | 2 |
1920/21 | 41 | 36 | 14 | 6 |
1958/63 | 50 | 42 | 25 | 14 |
1991/92 | 55 | 47 | 27 | 17 |
* mütterlicherseits, sofern Mutter ebenfalls erstgeborenes Kind war.
Eigene Berechnungen auf Grundlage der Sterbetafeln und Geburtenstatistiken. |
Tab. 1: Demographische Entwicklung der Generationenbeziehungen
Spätestens mit dem Auszug der Kinder setzt die sogenannte «nachelterliche Lebensphase» ein. Der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus für die herangewachsenen Kinder ein normaler lebenszyklischer Prozess kann die Lebenslage der Eltern grundlegend verändern. Ehefrauen und Ehemänner sehen sich auf ihre Ehebeziehung zurückgeworfen, für alleinerziehende Frauen bedeutet der Wegzug der Kinder häufig der Beginn des Alleinlebens.
Der Auszug der Kinder und damit das Ende der Mutterpflichten wurde zeitweise als eigentliche Lebenskrise von Frauen angesehen; als ein Lebensereignis, das Frauen in Depressionen stürzen würde, weil damit ihre eigentliche Lebensaufgabe das Muttersein zu Ende geht.
In diesem Zusammenhang wurde der Begriff des «empty-nest»-Syndroms geprägt. Dieses Konzept des «leeren Nestes», in den sechziger und frühen siebziger Jahren heftig diskutiert, erweist sich aus heutiger Sicht als fragwürdig. So wird etwa mit dem Bild des «leeren Nestes» eine biologische Analogie verwendet, wonach die eigentlichen Aufgaben einer Frau auf ihre Mutterpflichten fixiert werden. Die nachelterliche Phase wird damit von vornherein abgewertet. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass unter Bedingungen hoher Lebenserwartung die nachelterliche Phase länger dauert als die elterliche Lebensphase.
Die zweite wesentliche intergenerationelle Entwicklung, die sich häufig im mittleren Erwachsenenalter abspielt, ist dasÄlterwerden der eigenen Eltern und ihr Tod. DasÄlterwerden der Eltern kann zur Umkehr der intergenerationellen Betreuung und Pflege führen: Die Eltern, die einen während der Kindheit betreut und gepflegt haben, werden ihrerseits oft zunehmend abhängig und pflegebedürftig. Demographische und soziale Veränderungen moderner Gesellschaften (Langlebigkeit und Frauenerwerbstätigkeit) führen dazu, dass in der späten Familienphase nicht selten ein Vereinbarkeitskonflikt zwischen Pflege und Beruf entsteht.
An der Spitze des Generationsgefüges
Auch der Tod der eigenen Eltern kann neben der damit einhergehenden Trauer wichtige soziale und wirtschaftliche Konsequenzen aufweisen: Erstens werden Frauen und Männer im mittleren und späteren Erwachsenenalter mit dem Tod ihrer Elterngeneration selbst zur «ältestenüberlebenden Generation». Sie treten an die Spitze des Generationengefüges. Zweitens können Frauen und Männer nicht selten substantielle Vermögensbeiträge erben. Da Erbschaften sozial höchst ungleich verteilt sind, erhöht sich die wirtschaftliche Ungleichheit in dieser Altersgruppe zusätzlich. Es gehört sozusagen zu den sozialen Widersprüchen dieser Lebensphase, dass im mittleren Lebensalter zwar die Ablösung von der Herkunftsfamilie durch den Tod der Eltern endgültig wird, jedoch gerade diese «endgültige Loslösung» via Erbschaften den Effekt der Herkunftsfamilie für die eigene wirtschaftliche Lage erneut hervorhebt.
Altersgruppe: | ||||
4549 | 5054 | 5559 | 6064 | |
Frauen: | ||||
allein lebend | 11% | 14% | 21% | 26% |
Paarhaushalt | 21% | 35% | 46% | 54% |
mit/bei Kind/ern* | 63% | 47% | 30% | 17% |
anderes | 5% | 4% | 3% | 4% |
Männer: | ||||
allein lebend | 12% | 11% | 12% | 9% |
Paarhaushalt | 19% | 30% | 43% | 59% |
mit/bei Kind/ern* | 67% | 52% | 39% | 28% |
anderes | 2% | 7% | 6% | 4% |
* mit oder ohen Partnerin
Quelle: Schweiz. Arbeiskräfte-Erhebung 1994 |
Tab. 2: Demographische Entwicklung der Generationenbeziehungen
Biographische Festlegungen
Das mittlere Erwachsenenalter ist auch eine Lebensphase, in welcher biographische Festlegungen erstmals verstärkt hervortreten und bewältigt werden müssen. Diese Festlegungen können sich auf berufliche Dimensionen richten, etwa indem die Konsequenzen einer speziellen fachlichen Ausrichtung für den inskünftigen Karriereverlauf deutlich werden oder sich das Ende der beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten abzeichnet.
Biographische Festlegungen können aber auch im privaten und familialen Bereich auftreten, etwa wenn sich die Chancen einer neuen Partnerwahl reduzieren oder der bisherige Lebensstil nur unter grossen Schwierigkeiten aufgegeben werden kann. Sie können sich aber auch in Form körperlich-physischer Aspekte niederschlagen, etwa wenn die Vernachlässigung der Gesundheit in jungen Jahren in dieser Lebensphase erstmals zu wahrnehmbaren Schädigungen und Behinderungen führt.
Das bisher Erreichte und Nichterreichte vor dem Hintergrund sich allmählich eingrenzender Optionen wird in dieser Lebensphase erstmals in seiner Bedeutung sichtbar. In den mittleren Jahren rücken die einen in die gesellschaftlichen Spitzenpositionen auf. Entsprechend sehen sie sich zumindestäusserlich auf dem Höhepunkt ihres Lebens. Wenn sie Diskrepanzen erfahren, dann nicht wegen Nichterreichens der beruflichen Ziele, sondern weil auch dieseräussere Erfolg nicht die Erfüllung aller Wünsche bringt. Die anderen verharren auf ihrem gesellschaftlichen Stand oder werden sogar abgewertet. Sie müssen ihre weitergehenden Aufstiegs- und Konsumwünsche zurückstecken und werden zunehmend von Jüngerenüberholt.
Biographisch gesehen ist das individuelle Altern nicht primär ein Problem der Biologie und des Körpers, sondern ein Problem der Festlegung. Im Hinblick auf das eigene Lebensalter und im Rückblick auf die eigene Vergangenheit eröffnen sich Frauen und Männern bestimmte Möglichkeiten. Manche davon werden realisiert und viele verschliessen sich.
Altern realisiert die Karriere, und zwar gerade dadurch, dass es deren Potentiale verschliesst: Mit jeder Entscheidung, mit jeder Wahl wurden und werden individuell erreichbare Alternativen aussortiert. In diesem Sinne ist Altern die gleichzeitige Akkumulation von Erreichtem und Ausgelassenem. Und es ist gerade im mittleren Lebensalter, wo dieses Dilemma modernen Lebens erstmals richtig sichtbar wird.
Im Forschungsprojekt «Lebensverläufe und Lebensperspektiven im mittleren Lebensalter» sollen durch eine Kombination von Entwicklungspsychologie und soziologischer Lebenslaufanalyse genauere Aussagenüber Lebensverläufe und Lebensperspektiven von Frauen und Männern im mittleren Lebensalter (zwischen 40 und 64 Jahren) gewonnen werden. Im entwicklungspsychologischen Teilprojekt (PD Dr. Pasqualina Perrig-Chiello, Universität Bern) werden Ressourcennutzung und Transitionen untersucht. Im soziologischen Teilprojekt (Prof. Dr. Franois Höpflinger, Universität Zürich) steht der soziostrukturelle Wandel der mittleren Lebensphase im Zentrum.
Dr. Franois Höpflinger (fhoepf@soziologie.unizh.ch) ist Titularprofessor für Soziologie.
unipressedienst Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update:
30.07.98