unimagazin Nr. 2/98

Bald überflüssig? – oder befreit für Neues?

Die klassische Rolle der Sekretärin hat wenig Zukunft, weil die technisch-organisatorischen Entwicklungen viele angestammte Aufgabenbereiche in diesem Beruf hinfällig machen. Andererseits eröffnen sich durch diese Hilfsmittel auch neue Tätigkeiten. Die Funktion der Sekretärin im Wandel, ein Zwischenbericht.

VON HANS GESER UND MARGRET BÜRGISSER

Ende der fünfziger Jahre stellte der deutsche Soziologe H. P. Bahrdt im Rückblick auf hundertfünfzig Jahre stürmischer Industrialisierung fest, dass die Arbeitsteilung im Bürobereich im «kleinhandwerklichen» Stadium stehengeblieben sei. Weder das Telephon noch die Schreibmaschine hätten etwas an dieser noch durch paternalistische Abhängigkeiten geprägten Strukturform zu ändern vermocht, die sich nicht zuletzt im traditionellen Verständnis der Geschlechtsrollen manifestiere. So sei zum Beispiel mit der Beziehung Chef – Sekretärin ein traditionelles Modell geschlechtlicher Rollenteilung in die Arbeitswelt hinein importiert worden, das im Rahmen formaler Organisation sogar noch eine ungleich schärfere und zementiertere Ausprägung als im informellen Bereich der Familie gewinne.

Mit seiner Leitvorstellung, das Büro weise gegenüber der Fertigung einen «Entwicklungsrückstand» auf, hat Bahrdt nicht völlig unrecht gehabt. Zwar hat im Zeichen des rigiden, zentralverwalteten Grosscomputers und des kollektivistisch anmutenden Grossraumbüros in eine Art Protoindustrialisierung der Büroarbeit stattgefunden, die in der monotonen Fliessbandarbeit unqualifizierter Datatypistinnen (und in der Kontrollmacht schwer zugänglicher, von der Aura des Geheimwissens umwobener EDV-Spezialisten) ihren sinnfälligen Ausdruck fand.

Computer versus Maschinen

Spätestens seit der Ausbreitung des Personal Computers hat sich aber gezeigt, dass die Technisierung der Büroarbeit nach völlig anderen Gesetzmässigkeiten als die frühere Mechanisierung und Automatisierung der Produktionsarbeit verläuft.

Diese Unterschiede liegen zum Beispiel darin, dass Computer im Unterschied zu Maschinen

Im kaufmännisch-administrativen Bereich, wo die Informatisierung bisher besonders weit vorangeschritten ist, sind logischerweise auch die mit dieser Zukunftsoffenheit verknüpften Verunsicherungen und Ängste besonders manifest geworden. Sie widerspiegeln sich insbesondere in einer tiefen Ratlosigkeit darüber, welche KV-Ausbildungen heute geeignet sind, ihren Absolventen für die nächsten 45 Jahre Erwerbsarbeit optimale Beschäftigungs- und Karrierechancen zu vermitteln.

Unentbehrlich und verschwiegen

Die klassische Rolle der Sekretärin besteht im Kern darin, dass sie administrative und/oder kaufmännische Dienstleistungen für andere Mitarbeiter (meistens männliche Vorgesetzte) erbringt.

Im Unterschied zu Sachbearbeitern muss sie permanent offen dafür sein, Weisungen entgegenzunehmen und je nach Bedarf unvorhersehbar variierende Aufgaben erfüllen.

Die Analogie zum patriarchalen Mann-Frau-Verhältnis besteht darin, dass der Chef die instrumentalen Leitungsaufgaben und Aussenfunktionen (Verhandlungen, Kundenbeziehungen, Auftragsübernahme u.a.) übernimmt, während von der Sekretärin erwartet wird, dass sie für die reibungslose Binnenorganisation und die Bürodekoration sorgt und die sonst männlich geprägte Betriebsatmosphäre mit einem Element weiblicher Ausstrahlung und Fürsorglichkeit durchdringt.

Diese letzteren, nicht formalisierbaren Zusatzerwartungen sind für die feminine Prägung des Berufs verantwortlich, die von den objektiven Sachaufgaben her nicht gerechtfertigt werden kann.

Im Innenverhältnis kann die klassische Sekretärin relativ leicht den Status der Unentbehrlichkeit gewinnen, weil der Chef zum Beispiel auf ihre Verschwiegenheit angewiesen ist und ohne ihre Hilfe kaum in der Lage ist, einen ordentlichen Brief zu verfassen oder ein abgelegtes Dokument wiederzufinden.

Technischorganisatorische, ökonomische und kulturelle Entwicklungen scheinen heute darin zu konvergieren, dass diese konventionelle Berufsbasis erodiert, andererseits aber in beschränktem Umfang neue Tätigkeitsfelder und Mobilitätschancen entstehen.

Unschärfere und variablere Arbeitsteilung

Verschiedenste moderne Technologien verringern die Abhängigkeit des Chefs von der Sekretärin, weil er selber in der Lage ist, mittels des Computers Briefe zu schreiben, elektronische Post zu verschicken, Telephonanrufe direkt entgegenzunehmen oder sich am Automaten Kaffee zu besorgen.

In quantitativer Sicht bedeutet dies, dass die Zahl der Sekretariatsstellen sinkt und selbst hochrangigen Vorgesetzten zugemutet wird, ohne Hilfskraft auszukommen oder «ihre» Sekretärin mit anderen zu teilen. Und die Chance der Sekretärinnen, selber Vorgesetzte zu sein, reduziert sich noch stärker, weil es für subordinierte Bürohilfskräfte kaum mehr nennenswerte Arbeiten gibt.

Die qualitative Folge besteht darin, dass die Arbeitsteilung je nach Interessen und Fähigkeiten des Chefs ganz unterschiedlich ausgestaltet wird und die Sekretärin kaum mehr über gesicherte, nur für sie reservierte Aufgabenbereiche verfügt, auf die sie ihre berufliche Identität und organisatorische Unentbehrlichkeit abstützen könnte. Vielmehr wird sie oft rein subsidiär benötigt, wenn es zum Beispiel gilt, in Abwesenheit des Chefs das Telephon zu hüten oder aus Briefentwürfen ihres Vorgesetzten die letzten orthographischen Fehler zu tilgen.

Verlust der Intimität

Ein weiterer Statusverlust entsteht daraus, dass manche Informationen, die sich früher im «Privatbesitz» von Sekretärinnen befanden, jetzt am Bildschirm frei verfügbar sind. So ist es in manchen Firmen üblich geworden, dass die Agenden aller Mitarbeiter (auch der höheren Vorgesetzten) im Netz gespeichert und an jedem PC abrufbar sind: was die Terminvereinbarung sehr erleichtert, andererseits aber auch die soziale Kontrolle über die Zeitgestaltung der Angestellten stark erhöht.
Die Sekretärin verliert dadurch nicht nur ihre Bedeutung als Auskunftsperson, sondern büsst auch gewisse Spielräume ein, durch gezielte Kundgabe oder Nichtkundgabe solcher Informationen ihren Chef vor unerwünschten Inpflichtnahmen abzuschirmen und dadurch auf sein Zeitbudget Einfluss zu nehmen. Sie muss dann erleben, dass sie nicht mehr in den Genuss jener persönlichen Wertschätzung (und entsprechenden Privilegien) gelangt, wie sie sich aus einem «langjährig gewachsenen Vertrauensverhältnis» ergibt.

Die Sicherung ihrer Berufsstellung hängt deshalb in Zukunft stark davon ab, dass sie sich durch eine spezialisierte Weiterbildung zur Sachbearbeiterin qualifiziert, sich durch fundierte Computerkenntnisse unentbehrlich macht oder – im günstigsten Fall – im Sinne eines «office manager» übergreifendere Kommunikations- und Koordinationsaufgaben übernimmt.

Vom Ordnungs- zum Gestaltungssinn

Die Informatisierung führt dazu, dass vor allem rein interne Organisationsaufgaben (Buchführung, Lohnabrechnung, Archivierung usw.) sehr stark an Gewicht verlieren, weil sie aufgrund ihres Routinecharakters viel besser als zum Beispiel externe Kundenkontakte durch EDV-Einsatz zu bewältigen sind.

Früher war sorgfältiges, angestrengt-konzentriertes Arbeiten gefragt, um korrekte arithmetische Rechenoperationen durchzuführen, Korrespondenz im richtigen Fach abzulegen oder auf eingespannten Briefbögen (samt Kohlekopien) jegliche Tippfehler zu vermeiden. Ordnungssinn und Disziplin waren die Tugenden, die dementsprechend schon in der schulischen Ausbildung im Vordergrund standen und für die beruflichen Anstellungs- und Aufstiegschancen massgeblich waren.

Die Arbeitsstimmung im Büro war durch eine gewisse introvertierte Anspannung und Störungsempfindlichkeit geprägt, so dass unerwartete Besucher oder Telephonanrufer oft nicht mit der erforderlichen Geduld und Zuvorkommenheit behandelt wurden.

In heutigen Büros kann demgegenüber eine entspanntere und extravertiertere Atmosphäre herr-schen, weil es Computerprogramme gibt, die für die Korrektheit mathematischer Kalkulationen oder der Orthographie sorgen – und vor allem: weil beliebige Fehler leicht korrigierbar sind, bevor sie sich auf Papier irreversibel verfestigt haben.

Andererseits wachsen aber die Ansprüche, den produzierten Dokumenten eine «schöne» Gestaltung zu verleihen, indem man zum Beispiel vom Reichtum verfügbarer Formatierungen, Schriftarten und graphischer Darstellungsweisen Gebrauch macht und – wenn es sich um Präsentationsgraphiken oder Webpages handelt – immer mehr auch die Farbgebung als Kommunikationsmittel einbezieht.

Freisetzung von Innenvorgängen

Nicht mehr die orthographisch korrekte Geschäftskorrespondenz, sondern die ansprechend gestaltete Webpage oder Produktdokumentation ist heute das Aushängeschild, das die öffentliche Reputation einer Institution oder Firma mitbestimmt; und keine kann sich auf Dauer den ständig steigenden Ansprüchen auf professionelle Qualität entziehen.

Hinzu kommt, dass Firmen und Institute ihre Veröffentlichungen immer häufiger selbst zur Publikationsreife bringen, anstatt Verlage und Druckereien damit zu betrauen. Beim Web-Publishing gesellt sich dazu die Herausforderung, aus den vielfältigen, ständig expandierenden Möglichkeiten multimedialer Darstellung und Kommunikation optimal Nutzen zu ziehen.

Die Freisetzung von Innenvorgängen hat auch zur Folge, dass immer mehr Angestellte während immer grösserer Teile ihrer Arbeitszeit für die Pflege von Kundenkontakten und andere Aussenbeziehungen Zeit haben und auch innerhalb der Organisation mehr freie Valenzen für Teambesprechungen, Projektgruppen oder abteilungsübergreifende Koordinationsprozesse entstehen. Im Einklang mit diesen objektiven Entwicklungen haben sich vielerlei Managementphilosophien («lean management», «Customer Focus», «New Public Management» u.a.) ausgebildet, die gerade in der Förderung dieser Primärinteraktionen (und nicht etwa in einer noch weiteren Technisierung) die grösste Quelle des zukünftigen Produktivitätsfortschritts sehen.

Kommt der Abbau von Personal hinzu, bleiben – zum Beispiel in Bankfilialen – am Schluss überhaupt nur noch Angestellte, die zumindest teilweise auch für Kontakte mit Kunden, Lieferanten usw. verwendbar sind.

«Soft skills» gefragt

Dementsprechend vermindern sich die Chancen kaufmännischer Angestellter, ihre Qualifikation (und damit: ihren Marktwert) so wie früher auf objektiv messbare Fähigkeiten (wie die Geschwindigkeit beim Stenographieren oder Maschinenschreiben) abzustützen, die in formeller Schulung erlernbar und im Zuge beruf-
licher Erfahrung in berechenbarer Weise steigerungsfähig sind.

Stattdessen sehen sie sich damit konfrontiert, viel diffusere «soft skills» (wie Teamfähigkeit, Dialogbereitschaft, Überblicksfähigkeit, Flexibilität) vorzeigen zu müssen, die nicht innerhalb geregelter Ausbildungsgänge gezielt erlernt werden können und – mangels Objektivität – zum späteren Berufserfolg auch nicht in einem klar determinierten Verhältnis stehen.

Dies hat zur Folge, dass die Beurteilungs- und Entscheidungsprozesse, die für die Anstellung und berufliche Beförderung massgebend sind, stärker von subjektiven Einschätzungen abhängen und insgesamt intransparenter, unvorhersehbarer und unkontrollierbarer werden.

Mehr Kompetenz, gleicher Lohn

Technische, organisatorische und kulturelle Entwicklungen konvergieren darin, dass die «klassische Sekretärin», die ihre berufliche Identität rein über Dienstleistungen für den Vorgesetzten definiert, kaum mehr Überlebenschancen besitzt. Allenfalls vermag sie noch auf gehobenen Chefetagen eine Zeitlang als Statussymbol zu überleben, im übrigen aber wird sie im Zuge personeller Rationalisierung weggespart oder geht in anderen Rollen auf, bei denen eher Sachbearbeitungsaufgaben und betriebs- statt personenbezogene Tätigkeiten dominieren.

Gemeinsam mit vielen anderen Berufen erfährt die Sekretärin das Schicksal, dass vielerlei handwerkliche und auf Erfahrung basierende Fertigkeiten unwichtiger werden und sich der Schwerpunkt der Qualifikationsanforderungen einerseits auf generalisiertere Sozialkompetenzen und gestalterische Fähigkeiten und andererseits auch zu hochspezifischen, betriebsbezogenen – und entsprechend variablen – Sachkenntnissen verschiebt.

Vielerorts zwingt der Personalabbau dazu, alle noch verbleibenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen als vollwertige SachbearbeiterInnen in Anspruch zu nehmen, die über alles Wesentliche Bescheid wissen und die Betriebsabläufe als Ganzes im Auge haben. Einerseits steigen dadurch die Selbstverwirklichungschancen und die Arbeit macht mehr Freude, andererseits wächst aber auch die Frustration darüber, dass Entlöhnung und Arbeitsbedingungen mit der gestiegenen Verantwortung meist nicht Schritt zu halten vermögen und sich die durch die Formalstruktur definierten Statusasymmetrien nicht grundsätzlich ändern.


Der Computer am Arbeitsplatz

Im Rahmen des Nationalen Schwerpunktprogramms «Zukunft Schweiz» laufen am Soziologischen Institut der Universität Zürich verschiedene Forschungen mit dem Ziel, die Entwicklung der aktuellen Arbeitswelt unter dem Gesichtspunkt des Wandels der Qualifikationsanforderungen zu beleuchten und dabei den von der Computertechnologie ausgelösten Veränderungen (neben denen vielerlei kulturelle, ökonomische und organisatorische Determinanten zu berücksichtigen sind) in besonderer Weise Rechnung zu tragen. In der hier vorgestellten qualitativen Studie steht der Berufswandel der Sekretärin im Mittelpunkt.


Forschungsverbund «Soziale Ungleichheiten»

Das Projekt «Geschlechterungleichheiten in den Regionen der Schweiz» ist eines von vier Forschungsprojekten, die im Schwerpunktprogramm «Zukunft Schweiz» innerhalb des interdisziplinären Forschungsverbundes «Soziale Ungleichheiten» durchgeführt werden, Alle Projekte dieses Verbundes befassen sich mit der Erscheinungsweise, der Dynamik und den Konsequenzen sozialer Ungleichheit.


Dr. Hans Geser (geser@soziologie.unizh.ch) ist ausserordentlicher Professor für Soziologie. Margret Bürgisser (marburg@soziologie.unizh.ch) ist Assistentin am Soziologischen Institut.


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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 30.07.98