unimagazin Nr. 2/98

Die Metamorphosen des Martin Schwarz

VON CHRISTINE TRESCH

Bild: Martin Schwarz (42873 Byte)

Serielle Matterhornturbinen unter einem Microchiphimmel, ein Vogel-Flugzeugwesen, das über die Alpen fliegt – das Titelbild dieses Magazins, bunt, ironisch und provokativ, stammt wie alle Illustrationen im Heft vom Winterthurer Kunstmacher Martin Schwarz.

Da gibt es zum einen zahlreiche Postkartenbilder, die im Laufe der letzten Jahre entstanden sind. Diese Montagen, alles phantastische Bildwelten, sind aus realen Inhalten zusammengesetzt. Schwarz, 1946 geboren und seit 1968 freischaffender Künstler, geht fast immer von Vorhandenem aus, das er verändert. Früher tat er das mit Schere und Leim, heute hat er, was die Bildbearbeitungen betrifft, modernste Computertechnik zur Hand – und im Winterthurer Computerspezialisten Max Peter mehr als nur technische Unterstützung gefunden. Ihre Arbeit sei wie die eines Filmteams, sagt Schwarz, er sei der Regisseur und Max Peter der Kameramann.

Neuinterpretationen

Im Mittelteil des Heftes findet sich eine zehnseitige Bilderreise durch eine virtuelle Schweiz, die der Künstler eigens für dieses Heft angefertigt hat. Eine Art Leporello, das die Bewegung im Cyberspace antizipiert. Auf dieser Bilderreise trifft man auf viele Themen, die Martin Schwarz beschäftigt haben und noch beschäftigen.

Das erste Bild zeigt Museumsbesucher vor schwarzen Leinwänden, das Bild als black box. Das klassische Tafelbild hat Schwarz immer wieder angezogen. So hat er zum Beispiel alte Meister neuinterpretiert, etwa Leonardo da Vincis «Monalisa». In seinem Bild «Abwesende Monalisa» ist nur noch Leonardos nicht minder geheimnisvolle Landschaft zu sehen, Monalisa ist wegretuschiert genauso wie Goyas «Maya», auf die in der Nachahmung von Martin Schwarz nur die zerknautschten Kissen verweisen.

In einer anderen Werkgruppe hat der Künstler die Bilder von Sonntagsmalern zu Ende gemalt, daraus «Sonntagsmalerei mit Fallgruben» gemacht, die Idyllen dieser Hobbykünstler in Alpträume verwandelt, ihre trügerische Sicherheit in Abgründe.

Die nächsten Bilder ziehen die BetrachterInnen hinein, in eine barocke Bibliotheklandschaft zunächst. Ein Seitenflügel in einem Barockschloss in Süddeutschland ist der zeitweilige Arbeitsort von Martin Schwarz – und barocke Üppigkeit in Formensprache und Farbgebung sind ihm nicht unlieb.

Das Bibliotheksambiente verweist auch auf die zahlreichen Buchobjekte, die der Künstler entworfen hat. Er nimmt zum Beispiel antiquarische Bücher, stabilisiert sie mit Leim und Baustoffen und lässt aus ihnen wundersame Skulpturen entstehen, die selbstredende Namen tragen wie «Predigendes Buchholz», «Geistesblitze» oder «Rundumgeschlossenes Wespennestbuch».

Matterhorn am Palmenstrand

Durch Stalagmiten- und Stalaktitenhöhlen führt die permanente Metamorphose in eine surreale Gebirgslandschaft, in der die Wirklichkeit anklingt, aber auch modellhaft reduziert wird. Die Felsen zeigen sich in ihren molekularen Strukturen, was da kriecht und fliegt wird zum ornamentalen Wiesenmuster. Wie über einen Teppich schreiten wir ins Bergrestaurant. Oder ist es das Berginnere, unser Unterbewusstein, auf dessen Tischen stoisch je ein Matterhorn ruht?

So, wie dieser Berg manchen TouristInnen für das ganze Land steht, abertausende Mal abgelichtet und ins Fotoalbum geklebt wird, so nimmt ihn Schwarz immer wieder auf. Er stellt ihn als Zitat an einen Palmenstrand, in die afrikanische Steppe oder auf den Mond. Er verfremdet ihn mit digitalen Mitteln, entblösst sein Innenleben. Ein Berg ist nicht einfach ein Berg.

Der letzte Schritt dieser Bilderreise führt hinaus ins Offene, der Blick geht ins Weltall und auf eine gleissende Retina. Derart schliesst sich der Kreis zu den anonymen Betrachtern am Anfang des Zyklus.

Behauptungen wider das Besserwissen

Die Ironie, der Witz, vor allem aber die künstlerische Relevanz der Arbeiten von Martin Schwarz liegt auch darin begründet. dass er sich um Kausalitäten foutiert, wie sie der Alltag uns sonst abfordert. Was wäre, scheint er zufragen, wenn die Natur zurückschlägt, sich die technischen Errungenschaften zu eigen macht, gar einverleibt?

Seine digitalen Collagen sind Behauptungen wider das Besserwissen ohne moralischen Zeigefinger, ein Spiel mit technischen Möglichkeiten und dem Raum der Phantasie. Wer mehr Wissen möchte vom Kunstmacher Martin Schwarz, ein Besuch der Homepage des Künstlers (http://www.winti.ch/mschwarz) lohnt sich.

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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 09.08.98