unimagazin Nr. 2/98

Wenn morgen abgestimmt würde, wenn würden Sie wählen?

Markt- und Meinungsforschungsinstitute haben Konjunktur. Auch in der Politik wird immer mehr mit Meinungsumfragen gearbeitet. Fragen nach Qualität und professionellen Standards, nach Gültigkeit und Glaubwürdigkeit von demoskopischen Erhebungen drängen sich auf. Das Nationalfondsprojekt «Meinungsumfragen in der politischen Kommunikation» widmet sich ihnen.

VON SIBYLLE HARDMEIER

Falls Sie nicht zu den Jungunternehmerinnen gehören, die nur über das Natel zu erreichen sind, zu den Dauergestressten, die nur noch vom Beantworter vorselektionierte Anrufe entgegennehmen, oder zu diesen Werbekritischen, die ihre Nummer im offiziellen Telephonbuch schützen lassen, dann haben Sie sicher auch schon an einer Meinungsumfrage teilgenommen. Die demoskopische Branche erfreut sich nämlich auch in der Schweiz einer wachsenden Nachfrage: Im Verlauf des Jahres 1996 konnten die in der Vereinigung «Swiss Interview» organisierten Markt- und Meinungsforschungsinstitute ihren Umsatz erneut steigern und die Mehrzahl der Interviews (66 % des Forschungsumsatzes) findet heute am Telephon statt.

In einer Umfrage über Umfragen im Mai 1997 gaben 61% der befragten Schweizerinnen und Schweizer an, schon einmal an einer Befragung – die gerade stattfindende selbstverständlich ausgenommen – teilgenommen zu haben. Im Vergleich zu 1986 bedeutet das eine Zunahme von ganzen 20 Prozentpunkten.
Dieses Wachstum ist Grund genug, sich über die Zukunft dieses Forschungszweiges Gedanken zu machen, und lädt die Politikwissenschafterin zum Ausmalen von möglichen Entwicklungsszenarien in der politischen Demoskopie ein.

Mögliche Szenarien

Winter 1999: Bevor der Präsident einer Weltmacht einen militärischen Angriff gegen ein feindliches Land androht oder gar in die Tat umsetzt, ist nicht nur
das Urteil der Militärstrategen gefragt, sondern auch die Meinungsforscher werden mit Fragebogen bewaffnet ins Feld geschickt: Diese sollen dem Politiker, der den Wahlerfolg seiner Partei auch für die Zukunft sichern will, das Stimmungsbarometer in der (Welt-) Bevölkerung zu einer allfälligen Bombardierung liefern.
Frühjahr 1999: Mit der Debatte über die Volkswahl des Bundesrates wird die Ausmarchung der Parteien zur Bundesrats-Ersatzwahl kompetitiver. In den Medien wird der KandidatInnen-Wettstreit vermehrt mit aktuellen Befragungsdaten untermauert. In der Berichterstattung schlägt sich das in einem Stil nieder, bei dem eine Spiel- und Sportmetaphorik vorherrscht; gegenüber Personen geraten Themen in den Hintergrund: «Leuenberger ist die Nummer eins» lautet die journalistische Kurzformel dazu.

Herbst 1999: Vereinzelte Wahlkampfbüros und politische Berater greifen im Wahlherbst zu dubiosen Methoden: Unter dem Vorwand, eine seriöse Befragung durchzuführen, rufen sie Bürgerinnen und Bürger an. Diese werden mit falschen und diskreditierenden Informationen zur Gegenkandidatin konfrontiert, einzig und allein um zu testen, was es braucht, damit ein Wahlberechtigter seine Meinung ändern würde. Im Nationalrat wird eine Motion zum Verbot von Meinungsumfragen vor Wahlen und Abstimmungen eingereicht.

Differenzierung der Debatte

Ob Sie diese Szenarien realistisch bzw. moralisch verwerflich finden oder nicht, sie zeigen anschaulich auf, was im Zusammenhang mit der politischen Demoskopie in Zukunft – noch mehr als heute – zur Diskussion stehen wird: Die Qualität und die professionellen Standards der Meinungsforschung. Wenn nämlich Befragungsresultate immer mehr zur Informationsbeschaffung in der Politik beigezogen, in den Medien publiziert werden und so in die öffentliche Meinungsbildung ein- und zurückfliessen, dann müssen diese Messungen – angesichts der Tragweite der darauf basierenden Entscheide – unbedingt den befragungstechnischen und wissenschaftlichen Gütekriterien genügen. Gleichzeitig muss die demoskopische Branche – je häufiger Bürgerinnen und Bürger befragt werden – ihre professionelle Ethik gegenüber Laien oder gar Falschspielern verteidigen, und in diesem Prozess der Meinungsbildung gilt es, die Rechte der Befragten als politische Akteure zu schützen.

Bei diesen Überlegungen hakt das Nationalfondsprojekt «Meinungsumfragen in der politischen Kommunikation: eine Qualitäts- und Wirkungsanalyse» ein. Ein besonderes Anliegen des Projekts ist es, die Debatte über die Qualität von Meinungsumfragen anzuregen und zu differenzieren. Die Anregung zur Diskussion scheint uns notwendig, weil die Situation der demoskopischen Branche speziell ist: Denn im Gegensatz zu anderen Produkten, die auf den Markt kommen, können die Käuferinnen und Käufer durch den Gebrauch der Befragungen höchstens deren Nützlichkeit, nicht aber die Qualität derselben beurteilen. Die Differenzierung der Debatte braucht es deshalb, weil bestehende Standards weitgehend ausblenden, dass Befragungen mehrfach und medial vermittelt werden, dass Befragungsresultate im politischen Diskurs einem Transformationsprozess unterliegen.

Die Situation der politischen Demoskopie ist zwar speziell, aber nicht einmalig. Andere Forschungszweige befinden sich in einer ähnlichen Situation, bieten also ebenfalls sozialwissenschaftliche Forschung an und sind gleichzeitig marktwirtschaftlich verfasst, arbeiten unter steigendem Kosten- und Zeitdruck. Die Evaluationsforschung beispielsweise ist ein solcher Forschungsbereich. Von den breiten Qualitätsstandards und Mechanismen der Selbstkontrolle, die in diesem Zweig entwickelt wurden, haben wir uns inspirieren lassen und ein Kriterienraster für die Meinungsforschung entwickelt, das empirisch überprüft und diskutiert werden soll.

Kriterienraster

Die demoskopische Branche produziert ihre Güter für einen Nachfrager. Diese definieren als Auftrag- und Geldgeber – im Bereich der Politik sind es vor allem die Medien, öffentliche Stellen sowie Verbände und politische Organisationen – Design, Untersuchungsanlage und Fragestellungen der Demoskopie weitgehend. Eine Qualitätsanalyse für die Praxis muss folglich diese Mechanismen in Rechnung stellen. Unter den Stichworten «Anwendbarkeit und Sachdienlichkeit» beleuchten wir deshalb auch die Kostenwirksamkeit und Nützlichkeit von Befragungen und folglich die Zufriedenheit der Auftraggeber.

«Genauigkeit und Verlässlichkeit» gehören zu den zentralen Anforderungen für Erhebungen; Gültigkeit (Validität) und Zuverlässigkeit (Reliabilität) heissen die wichtigsten Stichworte dazu, wobei die Gültigkeit einer Messung ihre Zuverlässigkeit voraussetzt. Befragungsbefunde sollten also stabil sein und sich bei gleichbleibenden Rahmenbedingungen in Konsistenz- oder Wiederholungstests bestätigen. Eine Voraussetzung dafür ist, dass man die Regeln der beschreibenden beziehungsweise schliessenden Statistik befolgt. Im Zusammenhang mit Meinungsumfragen heisst das insbesondere, dass die Analyse auf genügend Fallzahlen sowie statistisch signifikanten Zusammenhängen beruht und sich nicht im Unschärfebereich der Stichprobe bewegt. Eine Anforderung, die unter dem herrschenden Zeit- und Kostendruck nicht immer einfach einzulösen ist.

Validität

Valide ist ein Befragungsresultat dann, wenn tatsächlich das gemessen wird, was zu messen beabsichtigt und vorgegeben wird. Das mag auf den ersten Blick selbstverständlich oder trivial scheinen, ist es aber spätestens dann nicht mehr, wenn die Politik mit Meinungsumfragen zu argumentieren beginnt. Wenn beispielsweise in einer Umfrage gefragt wird «Soll die Gemeinde Moutier eine Abstimmung über ihre Zugehörigkeit zum Kanton Bern oder zum Kanton Jura durchführen?» und die Zustimmung der Befragten von einem jurassischen Politiker als «Ohrfeige für die Berner Regierung» gewertet wird, dann ist diese Schlussfolgerung nicht sehr verlässlich, weil die Frage kein valider Indikator für die politische Ohrfeige ist, die Befragten nicht direkt zur Position der Berner Regierung Stellung nahmen. Gleichzeitig zeigt sich an diesem Beispiel, dass auch Frageformulierungen die Validität negativ beeinflussen können, indem nicht (nur) das aufgrund der Theorie, sondern auch das in der direkten Demokratie normativ Erwartete gemessen wird.

Lesbarkeit

In einer Gesellschaft, wo Meinungsumfragen nicht mehr nur Angelegenheiten der Auftraggeberschaft sind, sondern wo die Resultate via Medien und Kampagnen in den öffentlichen Meinungsbildungsprozess einfliessen, werden auch Kriterien relevant, die über nachfrageorientierte und befragungstechnische Aspekte hinausgehen. Deshalb fassen wir im weitern unter dem Titel «Verständlichkeit und Vermittelbarkeit» Kriterien zusammen, die in Betracht ziehen, dass das Meinungsumfragen konsumierende Publikum meist ein Laienpublikum ist und dass Befragungsresultate mehrfach übermittelt werden. Lesbarkeit und politische Robustheit heissen deshalb die Anforderungen, die allein schon an die Präsentation von demoskopischen Befunden gestellt werden.

Respekt

Schliesslich werden unter dem Titel «Glaubwürdigkeit und Korrektheit» neben den weltweit anerkannten Standards zur Offenlegung der Auftraggeberschaft beziehungsweise Identifikation der durchführenden Institute auch die Pflichten gegenüber den Befragten behandelt. Dabei geht es um Datenschutz, den Schutz vor fragwürdigen Praktiken, aber auch um den Respekt gegenüber den Interviewten.

In einer Gesellschaft, wo Meinungsumfragen als Instrument der Bürgernähe und Form der politischen Kommunikation gelten, müssen die Befragten mit politisch realistischen und auch korrekten Fragen konfrontiert werden. Alles andere kann Frustrationen oder Verweigerungen auslösen, die schliesslich die Legitimität und Glaubwürdigkeit der Demoskopie selbst untergraben.

Die politische Realität

Die drei eingangs beschriebenen Szenen sind nicht der ungezügelten Phantasie der Autorin entsprungen, sie gehören im Eldorado der Meinungsforschung, den USA, längst zur politischen Realität:

Und in der Schweiz? Im Herbst 1996 verlangte eine parlamentarische Initiative, dreissig Tage vor Wahlen und Abstimmungen die Publikation von Meinungsumfragen zu verbieten. Die Markt- und Meinungsforschungsinstitute haben sich drei Jahre zuvor eine Selbstbeschränkung auferlegt und untersagen Publikationen während den letzten zehn Tagen vor Wahlen und Abstimmungen.


Dr. Sibylle Hardmeier (shardmei@pwi.unizh.ch) ist Oberassistentin am Institut für Politikwissenschaft.


unipressedienstunimagazin Nr. 3/97


unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 30.07.98