Magazin der Universit?t Z?rich Nr. 2/96

Arbeitswelt: Kultur am Werk

VON JOANNA PFAFF-CZARNECKA

Kultur kann beides: Brücken schlagen und unüberwindbare Barrieren errichten. Welche Option wir wählen, kann sowohl bewusstem Kalkül wie auch uns selbst verborgenen Motivationen entspringen. Über kulturelle Schranken hinweg ist Kooperation möglich, doch auch Verweigerung kann als reizvoll erscheinen. Es besteht die faszinierende Möglichkeit der Wahl: Wir alle können uns in die Schneckenhäuser kultureller Gewissheiten zurückziehen und uns dort verbarrikadieren oder aber wenigstens schrittweise eine Annäherung an Menschen anderer Kulturen suchen.

Die Arbeitswelt ist zu einem Laboratorium interkultureller Prozesse geworden, wo sich gegenwärtig gesellschaftliche Auseinandersetzungen verdichten: Ungeachtet der Bemühungen verschiedener Interessengruppen lässt sich hier eine kulturelle Segregation kaum durchsetzen. Die globalen Völkerwanderungen Richtung Arbeitsplatz, nicht nur im Westen, koinzidieren teilweise mit Dynamiken in der Produktion zusammen, wo GastarbeiterInnen eben billiger zu haben sind. Kulturelle Schranken machen sich ebenfalls am anderen Ende der Berufshierarchien bemerkbar: Mit der teilweisen Auslagerung des Finanzkapitals aus dem Westen und mit der Entterritorialisierung der Produktionsabläufe machen Kulturkonflikte auch vor den Chefetagen nicht halt.

Im Verlauf der letzten Jahre haben sich in der Schweiz die kulturellen Barrieren am Arbeitsplatz als ein Dauerthema etabliert. Diese Barrieren lassen sich auch im eigentlichen Sinne des Wortes immer wenigerübersehen, denn der Anteil der Menschen aus anderen Kontinenten an den etwa 20 Prozent ausländischer Arbeitskräfte ist im Steigen begriffen. Kann deshalb von einer kulturellen Arbeitsteilung in der Schweiz gesprochen werden? Nur bedingt. Von den Spitzenpositionen im Management, im Wissenschafts- und im Kulturbetriebüber gelernte Berufe in der Industrie und im Baugewerbe bis zum Verkauf sind Ausländerinnen und Ausländer an der Seite der SchweizerInnen anzutreffen.

Kulturelle Enklaven entstehen vor allem dort, wofür sich keine Schweizerinnen und Schweizer mehr rekrutieren lassen: In Berufen, die keine spezielle Ausbildung erfordern; wo Löhne gering und das soziale Prestige tief sind, präsentieren sich die Belegschaften in einer faszinierenden kulturellen Vielfalt. Abnehmende Zahlen von Saisonniers und zunehmende Zahlen von Asylantinnen und Asylanten putzen die ganze Schweiz, arbeiten als Handlanger in Lebensmittelketten, verdingen sich im Gastgewerbe, in den Gärtnereien und in der Landwirtschaft.

Mit der Zunahme des AusländerInnenanteils an der schweizerischen Arbeitswelt und mit der wachsenden kulturellen Vielfaltüberrascht es nicht, dass kulturelle Barrieren am Arbeitsplatz den PersonalleiterInnen neue Kompetenzen abverlangen und dass das Thema zunehmend an die …ffentlichkeit dringt. Doch lässt sich die Zunahme der Debattenüber die interkulturellen Konflikte in der Arbeitswelt alleine mit der Zahl der Fremden begründen? Keineswegs. Ich will im folgenden einige gesellschaftliche Phänomene ansprechen, nicht nur die Schweiz betreffend, die mit dieser Konjunktur zusammenhängen.

Kultur als Differenzmarker

Kultur fasziniert wieder. Sie ist im Verlauf der letzten Jahre erneut zu einer brisanten und weite Kreise faszinierenden Perspektive der gesellschaftlichen (Selbst-)Betrachtung geworden. Die Debatten um den Kulturbegriff ich folge in dieser Auffassung der britischen Ethnologin Marylin Strathern fokussieren besonders auf zwei Dimensionen: Erstens wird Kultur als Evidenz für die Vielfalt menschlicher Formen aufgefasst, wobei die kulturellen Grenzen sich als ein gesellschaftlich wirksames Unterscheidungskriterium verwenden lassen. Zudem besteht die Tendenz, zweitens, die Kultur als Wurzel des menschlichen Sinns für Identität zu verstehen.

Das Augenmerk liegt heute folglich auf der Differenz, die sich unter anderem aus der Idee der Einzigartigkeit des eigenen Symbolsystemes speist. Wo aber Eigentümlichkeiten und Unterschiede festgemacht werden, sinkt die Bereitschaft, kulturelle Übergänge an den Rändern, Experimente in Grenzsituationen und die Verringerung von Distanzen für wünschbar zu halten. Wo die kulturelle Differenz in den Fokus gerät, lässt sie sich ohne weiteres zum Vehikel der Distanzhaltung verwenden.

Zahlreiche Beispiele aus der Arbeitswelt legen Zeugnis davon ab. Im Baugewerbe und in der Industrie wächst angesichts der Rezession erneut die Kluft zwischen den einheimischen Arbeitnehmern und den Südeuropäern. Hat sich unter dem Ansturm noch fremderer AusländerInnen im Verlauf der letzten zwei Dekaden die kulturelle und soziale Distanz zu ihnen erheblich verringert, so wächst sie nun wieder. Kulturelle Barrieren am Arbeitsplatz wachsen imübrigen nicht nur im Umgang mit den AusländerInnen: In einigen gesamtschweizerischen Betrieben, wie etwa in den Schweizerischen Bundesbahnen, markieren heute Debatten um die kulturelle Identität zunehmend die Konflikte zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus verschiedenen Landesteilen.

Kulturellen Barrieren: Ursachen oder Symptome?

Kulturelle Erklärungssätze werden heute mit Vorliebe herangezogen, wenn gesellschaftliche Phänomene zur Debatte anstehen. Besonders problematisch werden solche Erklärungsmodelle dann, wenn Kultur a priori als ein Zuschreibungsmerkmal aufgefasst wird. Mit der Anstellung ausländischer Arbeitskräfte lösen Firmen und Institutionen ihre eigenen Probleme, vor allem das Unvermögen, die benötigten Arbeitskräfte auf dem Schweizer Markt zu rekrutieren. Es mangelt hauptsächlich an Kandidatinnen und Kandidaten am oberen (Führungskräfte für das obere Management; UniversitätsprofessorInnen) und am unteren Ende der Anstellungsskala (ungelernte Berufe).

Was allerdings an die …ffentlichkeit gelangt, sind in der Regel nicht die Probleme, vor die zahlreiche Personalmanager gestellt werden, die auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nicht fündig werden können, sondern die enorme kulturelle Vielfalt, die die schweizerische Arbeitswelt zunehmend kennzeichnet. Die Angst vor Überfremdung schlägt sich in politischen Massnahmen wie etwa in der Durchsetzung des Dreikreis-Modells nieder.

Die Multikulturalität lässt sich als ein schillerndes Phänomen der heutigen Zeit politisch zu Kapital schlagen, während die politischen Weisungen an die …konomie möglichst ausgeblendet werden. Es drängen an die …ffentlichkeit selten Stimmen, welche die Ursachen und nicht die Symptome anvisieren: Wie es beispielsweise dazu gekommen ist, dass eine Grosszahl der schweizerischen Betriebe ohne ungelernte ausländischer Kräfte nicht mehr auskommen kann, oder: weshalb das schweizerische Bildungssystem nicht in der Lage ist, ausreichend Spitzenkräfte auszubilden und Exzellenzzentren zu schaffen. Dieökonomischen Politiken gelangen an die …ffentlichkeit unter der vereinfachenden Formel einer schwer fassbaren Kulturpolitik.

Kulturellen Barrieren und Wertewandel

Verständigungs- und Kooperationprobleme sind für die multikulturellen Arbeitswelten symptomatisch. Die internationalen Belegschaften unterscheiden sich voneinander in ihrem Lebensstil, und diese Unterschiede kommen nicht selten darin zum Vorschein, dass Kommunikation schwierig ist und kaum Bereitschaft besteht, ausserhalb der Arbeit Umgang miteinander zu pflegen. Gelegentlich durchbrechen Angestellte die kulturellen Barrieren, indem sie Konflikte miteinander ausfechten, die nichts mit dem Produktionsprozess zu tun haben.

Während der letzten Jahre kam es in den Schweizer Betrieben mehrmals zu vehementen Auseinandersetzungen zwischen Gruppen, deren Landsleute sich in der fernen Heimat blutige Gefechte liefern. Indem «externe» Konflikte in die Arbeitswelt Eingang finden, sind die Verantwortlichen zunehmend mit neuen Personalfragen konfrontiert, ohne sich auf bestehende Normen stützen zu können. Neue Probleme entstehen ebenfalls durch den scheinbaren Mangel an Motivation, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter, die ungelernte Berufe ausüben, wenig Bereitschaft zeigen, die vor Ort gesprochene Sprache zu erlernen oder Zusatzkenntnisse zu erwerben, um Funktionen als GruppenleiterIn wahrzunehmen.

Im Falle der multikulturellen Belegschaften lassen sich die genannten Probleme schnell diagnostizieren und leicht erklären, doch sie betreffen heute nicht nur den ausländischen Anteil der einheimischen Arbeitswelt. Besonders die ältere Schweizer Generation muss heute befremdet zur Kenntnis nehmen, dass auch die Betriebe in den umfassenden gesamtgesellschaftlichen Wertewandel mitgerissen wurden. Die heutigen Lebensentwürfe richten sich selten mehr nach grossen «Narrativen» aus, welche die eigenen Anstrengungen den Bedürfnissen des Vaterlands unterordnen oder eine paternalistisch gefärbte Loyalität gegenüber dem eigenen Betrieb voranstellen würden. Der Beruf und die Anstellung sind nicht mehr in dem Masse identitätsstiftend, wie sie es vor wenigen Dekaden noch waren. Die Produktionssphäre bindet die gesellschaftlichen Energien zwar weiterhin im bedeutenden Masse ein, doch die Konsumsphäre bemächtigt sich zunehmend der Welt der Phantasie. In diesem Prozess bringen die ausländischen Arbeitskräfte etwas sichtbar zum Ausdruck, das aber nicht nur sie betrifft.

Kultur in der Produktionssphäre wiederentdeckt

Die kulturelle Vielfalt bringt die westliche Arbeitswelt zudem vor ein Problem, das mit der ansteigenden weltweiten Konkurrenz zusammenhängt. In diesem Fall geht es nicht so sehr um kulturelle Schranken, die innerhalb des globalen Marktes die Kooperationsmöglichkeiten vereiteln würden. Vielmehr wirft der Westen einen bangen Blicküber den eigenen kulturellen Zaun hinweg, zu Kulturen, die den Kapitalismus zwar nicht geschaffen haben, die aber möglicherweise wichtige Bedingungen bereitstellen, um seine Entfaltung unter den veränderten Rahmenbedingungen erfolgreich(er) zu gestalten.

«Protestant Buddhism» gehört zu den neuen Formeln, die den Zusammenhang zwischen Kultur und Wirtschaft zu ergründen suchen, indem Kultur als Ressource aufgefasst wird, dieüber denökonomischen Erfolg entscheidet. Mit der Diversifizierung des Finanzkapitals entstehen neue kulturelle Dynamiken; für den Westen unter anderem die, die Kultur der bis vor kurzem schwächeren Partner endlich genauer zu betrachten. Dass die Geschäftspartner anderer Kulturen mit dem Westen meist bestens vertraut sind, wird nicht selten als ein Vorsprung der Letzteren gewertet, der den Geschäftsgang der Ersteren beeinträchtigen könnte.

…stliche Theoretiker, wie beispielsweise Francis Fukuyama, verstehen etwa das neu erwachte Interesse für das Thema «Vertrauen» geschickt auszubeuten, das, wie schon manche Kommunitaristen konstatiert haben, dem entzauberten Westen verlustig gegangen ist.1 Die «nicht kontraktuellen Elemente des Vertrags» rücken erneut in den Vordergrund interdisziplinärer Debatten. Allerdings dort, wo Kultur als Differenzmarker aufgefasst wird, interessieren vor allem die eigenen oder fremden kulturellen Voraussetzungen für den Geschäftserfolg, und nicht die brennende Frage, welche Institution im Geschäftsleben denkbar wäre, um das Eigene und das Fremde erfolgreich zu verbinden.

Kultur als Quelle der Verunsicherung

In zahlreichen Dienstleistungsbetrieben erzeugt der Umgang mit den Fremden eine grosse Verunsicherung. Der berufliche Alltag vieler Menschen, die Dienst am Kunden betreiben, gestaltet sich ob der Präsenz einer internationalen Kundschaft spannungsreich aus. Nehmen wir das Beispiel der Zugschaffner. Sie sind nicht nur mit einer fremden Kundschaft konfrontiert, sondern auch mit einer zunehmenden Unübersichtlichkeit der Vorstellungen, wie der Umgang mit den Fremden auszusehen hat: Wechselnde Konjunkturen verschiedener Fremdenbilder der Barbar, der Feind, der Unverstandene, der Profiteur, der Hilfesuchende greifen auf die Arbeitsweltüber, wenn es darum geht, dass die ausländischen Reisenden eine gültige Fahrkarte haben.

Es kommt immer wieder zu Situationen, dass Schaffner vor der …ffentlichkeit eines ganzen laut debattierenden Zugabteils ihre Konflikte mit den Fremden auszufechten haben. Das schafft Verunsicherung, denn es ist leicht, einen Fremden zu verdächtigen, und manchmal schwierig, keinen Verdacht zu schöpfen. Und es wird (wenngleich nicht für alle) zunehmend schwieriger, sich selbst als fremdenfeindlich zu sehen oder als solcher zu gelten. In diesen Fällen ist nicht in erster Linie kulturelles Wissen gefragt, das sich auf die jeweiligen Werte und Normen des Gegenübers beziehen würde, sondern die Kompetenz im Umgang im Bereich der kulturellen Grenzen.

Kultur als Ressource der Macht im Beruf

Schliesslich: Kultur wird zum Vehikel, auf dem Machtkämpfe ausgefochten werden. Politiken der Anerkennung begleiten gegenwärtig die Machtspiele, die innerhalb der Betriebe, bei Fusionen und Übernahmen von Firmen und beim Errichten von Tochtergesellschaften im Ausland ausgetragen werden. Kulturelle Konflikte entzünden sich in den Chefetagen und zwischen den ausländischen Firmenleitungen und den einheimischen Belegschaften.

Die Differenzen lassen sich nicht von der Hand weisen: Es bestehen in der Regel beträchtliche Unterschiede im Arbeitsrhythmus, in der Disziplin, in der Organisation der Arbeit, in den Kommunikationsflüssen, im Betriebsklima und gar in der Streikkultur. Doch allein mit der Existenz kultureller Schranken lassen sich die Konflikte nicht erklären. Weshalb benehmen sich Personen in den einheimischen Betrieben anders als im Ausland? Oder: Weshalb legen Mitglieder nichtwestlicher Gesellschaften, die an den berühmtesten «Business Schools» studiert hatten, während ihrer Ausbildungszeit in der Regel perfekte Kompetenz in den westlichen Umgangsformen an den Tag, wechseln aber ihre Attitüden, wenn sie die Spitzen der einheimischen Betriebe erklimmen?

Gewiss: Bestimmte kulturelle Formen lassen sich nicht ins Ausland verpflanzen, doch häufig geht es nicht so sehr um die kulturelle Kompatibilität, sondern vielmehr darum, wie die Mitglieder verschiedener Kulturen ihre Begegnung ausgestalten. In der Arbeitswelt verdichten sich gesellschaftliche Konflikte. Betrachten wir die kulturellen Barrieren am Arbeitsplatz, so lassen sich wichtige Aspekte der interkulturellen Prozesse, dieüberall stattfinden, erkennen. Interkulturelle Begegnungen finden meistens zwischen Partnerinnen und Partnern statt, dieüber ungleich verteilte Machtressourcen verfügen. Gerade in Zeiten, wenn kulturelle Modelle hoch bewertet werden, besteht die Tendenz, in den Aushandlungen kulturelle Elemente in die Waagschale zu werfen. Kulturelle Schranken können so bestehende Konflikte verschärfen (wenn etwa Fusionsverhandlungen ins Stocken geraten), und sie werden nicht selten zum Ausfechten von Konflikten verwendet, deren Ursachen anderswo liegen.

Das gegenwärtige Anwachsen der Gewissheitenüber die kulturellen Differenzen geht, wohl nicht ganzüberraschend mit einer zunehmenden Verunsicherungüber den Umgang miteinander einher. Barrieren am Arbeitsplatz gehen weltweit weiterhin tendenziell mit einer kulturellen Arbeitsteilung einher, die aber in wichtigen Bereichen aufgebrochen ist: Mit der Dispersion des Kapitals und der gleichzeitigen Monopolbildung kommt es zu Verschiebungen in den Kräfteverhältnissen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und zur Neubewertung spezifischer Eigenschaften so wie sich etwa mit dem kommerziellen Erfolg der asiatischen Gesellschaften der Vertrauensdiskurs eingestellt hatte. Zudem haben wichtige Diskussionen vor der Arbeitswelt nicht halt gemacht: Solidaritätsdebatten, Betroffenheitsdiskurse und «Stimmen der Unterdrückten» haben zwar keine Umwälzungen herbeigeführt, aber verunsichert und damit neue Standpunkte in Aussicht gestellt.

Die Erfordernisse des Arbeitsalltags bringen es mit sich, dass interkulturelle Beziehungen in den Vordergrund rücken. Doch paradoxerweise sind es nicht die kulturellen Differenzen, sondern vielmehr kulturelle Konstanten die den Konflikten zugrundeliegen: der allen gemeinsame Ethnozentrismus, die Fähigkeit zum strategischen Umgang mit den Elementen der eigenen Kultur sowie die Bereitschaft eines jeden, um die kulturelle Anerkennung zu kämpfen. Es ist insofern nicht die kulturelle Vielfalt in der Arbeitswelt, die grundsätzlich Konflikte herbeiführt. Es ist vielmehr die Unsicherheit im Umgang an den kulturellen Rändern, die auf alle Seiten das Potentialöffnet, Kultur zu einer strategischen Ressource werden zu lassen. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn kulturelle Unterschiede hoch bewertet werden. Heute ist es aber wichtig, den Dialog zwischen Kulturen zu fördern, denn - wie schon eingangs gesagt - die Kultur kann beides: Brücken schlagen, aber auch unüberwindbare Barrieren errichten.

Literatur

1 Die wohl interessanteste Diskussion über den Vertrauensbegriff enthält das Buch von Diego Gambetta (Hrsg.). Trust: Making and Breaking Cooperative Relations. Oxford: Basil Blackwell (1988).


Babylon am Himalaja

Viele wichtige wissenschaftliche Forschungsinstitute sind Orte der Kulturbegegnung. ICIMOD oder das «International Center for Integrated Mountain Development» ist gewiss ein solcher Ort. Seit seiner Errichtung im Jahr 1985 in der nepalischen Hauptstadt Katmandu ist ein internationales Forscherteam mit der Untersuchung des Himalaja-Gebiets beschäftigt. Leider untersucht ICIMOD ausgerechnet das nicht, was es verkörpert: die Multikulturalität der Himalaja-Region, welche die Zusammensetzung des ICIMOD-Personals in der eindrücklichsten Weise zum Ausdruck bringt. Obschon mein einjähriger Aufenthalt am Institut als «Short-Term-Professional-Staff-Member» nicht dafür vorgesehen war, bot es mir ein faszinierendes Feld für teilnehmende Beobachtungüber interkulturelle Prozesse am «Dach der Welt».

Die am ICIMOD angestellten Forscher, vorwiegend Naturwissenschafter und …konomen, stammen mehrheitlich aus denjenigen Staaten, die durch die Berge und Pässe des Himalaja zugleich getrennt und verbunden sind: Es sind Inder, Chinesen, Nepali, Bangladescher, Pakistani und Burmesen.1 Den Hauptteil stellen die Männer: Die Verteilung der gut dotierten Forschungsplätze entspricht imübrigen nicht nur demüblichen Geschlechterverhältnis in gehobenen wissenschaftlichen Positionen in der Region, sondern auch demjenigen in der Schweiz.

Das Konzept, ein internationales Forschungsteam aus den Nachbarländern zu rekrutieren, ist gewiss aufgegangen. Mit einer blühenden «global community» und einer Vielzahl internationaler Institutionen wirkt Katmandu im zentral- und südasiatischen Vergleich nicht nur kosmopolitisch, sondern bietet auch eine wichtige Drehscheibe für wissenschaftliche Kontakte auch in der anwendungsorientierten Forschung.

Anfang der neunziger Jahre stellten wir etwa 30 wissenschaftliche MitarbeiterInnen (darunter 3 Frauen) ein heterogenes Grüppchen dar. Wir vereinigten auf uns 10 verschiedene Nationen (wobei die WissenschaftlerInnen aus dem Westen vorwiegend kurze Forschungsmandate hatten), 22 Muttersprachen und sämtliche Weltreligionen. Die politischen Turbulenzen taten einem friedlichen Zusammenarbeiten keinen Abbruch, und auch auf die wissenschaftliche Qualität der Arbeit hatte die Vielfalt unserer Herkunft kaum Einfluss: ICIMOD kann es sich leisten, nur ausgewiesene Forscher(Innen) zu rekrutieren, die mehrheitlich ihr Studium an international angesehenen Universitäten absolviert haben.

Unsere «kulturell-politische Diversität» war dennoch frappant, und für die Qualität der Arbeit nicht ohne Folgen. Bestimmte Teile des Himalaja sind nur den einheimischen Forschern zugänglich, denen gelegentlich erlaubt wurde, kleine internationale Teams mitzubringen. Die Vielfalt der Disziplinen weitete den Blick, wobei wir es gelegentlich sorgsam vermeiden mussten, nationale Befindlichkeiten zu verletzen, wenn es darum ging, konkrete Fragen zu stellen, die etwa die jeweiligen Forschungspolitiken tangierten. Doch vermied es niemand, sie mit den Kollegen von der anderen Seite des Himalaja auszutauschen.

Dass es kulturelle Fallen gab, war ein unausgesprochenes Geheimnis, mit dem wir an den guten Tagen in der Kantine vorsichtig spielten. Unvergesslich war beispielsweise der Moment, als zwei nepalische Wissenschaftler, die zwar der gleichen Ethnie angehören, doch der eine Hindu und der andere Buddhist, liebevollüber die Rituale der anderen Religionsgemeinschaft spotteten. Solche Momente, und nicht nur der offensichtliche wissenschaftliche Nutzen des Aufenthalts, prägen meine Erinnerung an ICIMOD: das Kennenlernen der rotchinesischen Kollegen, die sich stets bereit zeigten, ihr Wissen und Können in den Dienst ihrer Heimat zu stellen; der «traditionelle» «Pan»-Marsch der nepalischen Kollegen, sprich: das mittägliche Schlendern zum Betelstand, wo sie sich in einer für Intellektuelle unüblichen Manier mit der beliebten asiatischen Spezialität eindeckten; die Vielfalt und die globale Ausrichtung der intellektuellen Kreise, aus denen meine indischen Kollegen stammten; die kleinen kulinarischen Neckereien anlässlich unserer (seltenen) Parties.

Solche Begegnungen waren möglich, weil uns die Arbeitswelt für mehrere Stunden zusammenbrachte, bevor wir abends wieder auseinanderstoben. Unvergesslich bleibt auch der «Blick aus der Ferne» auf sich selbst: die Erfahrung, wie angenehm die Momente des ungezwungenen Beisammenseins mit der Forstwissenschaftlerin aus dem Westen waren.

1 Während meines Aufenthalts am ICIMOD waren Afghanistan und Bhutan durch keine Wissenschafter vertreten.


Dr. Joanna Pfaff-Czarnecka (jpc@ethno.unizh.ch) ist Assistentin und Lehrbeauftragte am Ethnologischen Seminar der Universität Zürich.


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Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
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Last update: 24.6.1996