Die Senioren-Universität Zürich besteht seit vierzehn Jahren. Tausende von Seniorinnen und Senioren haben in dieser Zeit Vorlesungen besucht, sich weitergebildet, aber auch Einblick in Themen und Forschungsbereiche erhalten, die ihnen zuweilen fremd und auch beängstigend erscheinen mögen. Die Senioren-Universität: ihre Hintergründe, ihre Aufgaben, ihr Erfolgsrezept.
VON GEROLD HILTY
Medizinische Themen locken die meisten Hörerinnen und Hörer an die Zürcher Senioren-Universität. |
Zürich hat die Institution der Senioren-Universität nicht erfunden. 1973 schuf Prof. Pierre Vellas in Toulouse die erste «Université du 3e âge». Die Idee breitete sich sehr rasch aus. Die ebenfalls von Pierre Vellas gegründete «Association internationale des Universités du 3e âge» (AIUTA) zählt heute weltweit über 250 Mitglieder. In der Schweiz entstand zuerst in Genf, 1975, eine Senioren-Universität. Bis 1984 folgten Neuenburg, Basel, Lausanne, Freiburg und Bern. Nach der Gründung der Zürcher Senioren-Universität entstanden noch im Tessin und in Luzern entsprechende Institutionen.
Die Schweizer Senioren-Universitäten sind heute in einer Föderation zusammengeschlossen.
Die Senioren-Universität Zürich besitzt in Winterthur so etwas wie eine Zweigstelle. Der «Regionale Seniorinnen- und Senioren-Verband Winterthur» organisiert dort Vorträge, die er aus dem Zürcher Programm übernimmt. In ähnlicher Weise ist die Senioren-Universität Schaffhausen von derjenigen von Basel abhängig. Diese beiden Institutionen sind nicht selbstständige Senioren-Universitäten und Mitglieder der Föderation, denn es ist unabdingbare Voraussetzung für eine Schweizer Senioren-Universität, dass sie sich auf eine Hochschule abstützen kann.
Nah bei der Alma mater
Warum diese Bedingung? Da ist zuerst ein psychologischer Grund zu nennen. Die Mitglieder einer Senioren-Universität wollen wirklich universitäre Veranstaltungen besuchen. Nur ein kleiner Teil von ihnen hat in jungen Jahren studiert. Viele andere möchten nun etwas vom Versäumten nachholen. Andere haben Kinder, denen sie das Studium ermöglichten, und nun sind sie glücklich, auch ein wenig in der Universität schnuppern, ein wenig Universitätsluft atmen zu können. Das ist für diese älteren Menschen wichtig. Es ist aber auch für die Universität wichtig, die so einer breiteren Öffentlichkeit ein biss-chen zeigen kann, was sie tut, wofür der Staat die riesigen Beträge ausgibt, welche heute für den Betrieb einer Hochschule nötig sind.
Neben diesem psychologischen Grund steht ein geistiger, der mit dem Wesen der Wissenschaft zusammenhängt. Welches ist der Unterschied zwischen einem Primarlehrer und einem Hochschullehrer?, hat man schon gefragt, und als Antwort vorgeschlagen: Der Primarlehrer muss alles wissen und der Hochschullehrer nicht. Was soll das heissen?
Auf den unteren Stufen des Schul- und Bildungswesens werden abgesehen vom Einüben bestimmter Formen des sozialen Verhaltens vor allem Fakten vermittelt, die man lernen muss: das Einmaleins, die Rechtschreibung, die Grammatik, Kenntnisse in Geschichte und Geographie und anderes.
Auf der höchsten Stufe unseres Bildungssystems, derjenigen der Hochschulen als Trägerinnen von wissenschaftlicher Forschung und Lehre, geht es natürlich auch um Fakten, aber das Letzte sind nicht die Fakten, sondern ihre Interpretation, das Hinterfragen des Gegebenen, das Verstehen seiner Grundlagen und seines Gewordenseins. Sobald wir interpretieren, tun wir dies jedoch von einem gewissen Standpunkt aus. Die Antworten, die wir auf unsere Fragen erhalten, sind nicht unabhängig von unserer Fragestellung. Wissenschaftliches Denken muss daher stets seine eigenen Grenzen mitbedenken.
Weil sie diese Grenzen kennen, müssen Dozentinnen und Dozenten nicht alles wissen. Auch bei der Vermittlung von Erkenntnissen ist es wichtig, dass solche Begrenztheit sichtbar wird, und dies ist eben ein Merkmal der Lehre auf Hochschulebene.
Es wäre verfehlt, den Mitgliedern der Senioren-Universität möglichst viele neue Fakten zu vermitteln. Das entspricht weder ihren Bedürfnissen noch ihrem Aufnahmevermögen. Was man ihnen aber vermitteln kann und soll, ist der richtige Umgang mit den Fakten, und das ist ein eminent wissenschaftliches und damit universitäres Anliegen. Dazu ist die Darstellung von Problemen aus den verschiedensten Wissensgebieten geeignet.
Ein Recht auf Antworten
Selbständiges Denken, das sich stets auch seiner eigenen Grenzen bewusst ist, ist für Seniorinnen und Senioren noch aus einem ganz besonderen Grund wichtig. Im Verlauf ihres Lebens hat eine ungeheure Wissensexplosion stattgefunden. Es sei nur einiges angedeutet: Denken wir an die Atomphysik, von der Zündung der ersten Atombombe bis zur Katastrophe von Tschernobyl, denken wir an die Astrophysik und die Weltraumtechnik mit Mondlandungen und Erforschung des Mars, denken wir an die Fortschritte der Medizin mit Herztransplantationen, künstlichen Organen und vielem anderem mehr, denken wir an die Biologie, die den Geheimnissen des Lebens und unserer Erbsubstanz auf der Spur ist, denken wir an die Flugtechnik und den Flugverkehr, an die Elektronik, die Computerwissenschaft und ihre Anwendung bis hin zu Internet und E-Mail.
Diese Entwicklungen, welche wir Senioren miterlebt haben, sind schwindelerregend, beängstigend, ja, sie können als Gefahren wahrgenommen werden. Nun flössen Gefahren weniger Angst ein, wenn man sie genau und sicher kennt. Deshalb ist die richtige, wissenschaftlich fundierte Einordnung all dieser Errungenschaften wichtig, und in diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welches die Antworten des Menschen auf diese Entwicklungen sein sollen, und damit überhaupt die Frage nach dem Wesen des Menschen, wie sie von Theologen, Philosophen, Psychologen usw. zu beantworten gesucht wird. Solche Antworten erwarten die Mitglieder einer Senioren-Universität ebenfalls, und sie haben ein Recht darauf.
Schulung in wissenschaftlichem, selbständigem Denken ist bei älteren Menschen ganz besonders wichtig, dies schon deshalb, weil nur durch ständige Anregung die geistige Frische bewahrt werden kann. Diese Frische ist gesellschaftlich gesehen von um so grösserer Bedeutung, als das Zusammenspiel von Geburtenzahlen und Lebenserwartung voraussichtlich dazu führen wird, dass in rund fünfzig Jahren die Schweizer Bevölkerung zu einem Viertel aus Rentnerinnen und Rentnern besteht. Hier eröffnet sich für die Senioren-Universitäten ein weites Feld der Tätigkeit und auch der Verantwortung.
Eine Erfolgsgeschichte
Der grosse Erfolg der Senioren-Universitäten hängt mit der gewandelten Stellung der älteren Menschen innerhalb der Gesellschaft zusammen. Das Selbstbewusstsein, die Mobilität und das Verfügen-Können über mehr Freizeit bei den Seniorinnen und Senioren hat entscheidend zugenommen. Beizutragen, dass diese Freizeit sinnvoll und gewinnbringend ausgefüllt werden kann, ist eine ebenso schöne wie wichtige Aufgabe. Dass sehr viele Dozenten und Dozentinnen der beiden Zürcher Hochschulen bereit sind, zur Lösung dieser Aufgabe beizutragen, ist immer wieder eine beglückende Erfahrung.
Für die Lehrenden stellt eine Vorlesung an der Senioren-Universität in didaktischer Hinsicht eine Herausforderung dar. Sie müssen die Frage beantworten, wie die Grundlagen und Ergebnisse ihrer Wissenschaft und ihrer Forschung sich so darstellen lassen, dass auch nicht akademisch gebildete Hörerinnen und Hörer mit Gewinn den Ausführungen folgen können.
Viele Dozenten bestätigen mir aber immer wieder, dass die Mitglieder der Senioren-Universität ein sehr angenehmes und dankbares Publikum darstellen.
Seit Jahren sind rund zweitausend Mitglieder eingeschrieben. Zu den Vorträgen erscheint im Durchschnitt ein knappes Viertel der Mitglieder. Es kommen aber auch schon einmal tausend Zuhörerinnen und Zuhörer zu einer Veranstaltung.
Wieviele Leute kommen, hängt abgesehen von Umweltfaktoren (Wetter, Jahreszeit, Ferienzeit, Feiertagsnähe) natürlich vom Thema ab. Im allgemeinen locken medizinische Themen mit Bezug zum Alter am meisten Hörer an. Es gibt aber auch Stimmen, die sich dahingehend äussern, man habe im Alter ohnehin oft mit gesundheitlichen Problemen zu tun und wolle an der Senioren-Universität deshalb nicht auch noch vor allem medizinische Vorträge hören. Tatsache ist, dass im allgemeinen auch theologische, kunstgeschichtliche, historische, literarische, politische, juristische, ökonomische und naturwissenschaftliche Themen sehr gut ankommen. Gelegentlich wirkt auch ein besonders bekannter Referent als Anziehungspunkt.
Die Seniorinnen und Senioren haben ein feines Sensorium für das didaktische Geschick (oder Ungeschick) der Vortragenden. Sie sind äusserst aufmerksame und engagierte Zuhörer, was sich vielfach auch in den Fragen äussert, die sie den Referenten in der an den Vortrag anschliessenden Fragestunde stellen. Dankbar sind sie auch für schriftliche Unterlagen zu den Vorträgen.
Andere Aktivitäten
Neben den Grossveranstaltungen im Rahmen von Vorlesungen bietet die Senioren-Universität auch Sonderveranstaltungen an: Konzerte, Aufführungen von Seniorenbühnen, kunsthistorische Führungen, Ausstellungsbesuche, seminarähnliche Diskussionsgruppen über philosophische oder literarische Probleme. Bei Veranstaltungen, die sich über mehrere Wochen erstrecken und aktive Teilnahme verlangen (Vorbereitung zu Hause, Bereitschaft zur Diskussion), liegen die Teilnehmerzahlen deutlich unter einem Zehntel der Durchschnittsbesucherzahlen. Offenbar wollen sich viele Seniorinnen und Senioren nicht für eine längere Zeit binden. Die Einzelvorträge, die sie nach Lust und Laune, nach Befinden und Interesse besuchen können, scheinen ihren Wünschen besser zu entsprechen.
Neben Vorträgen und Sonderveranstaltungen bietet die Senioren-Universität auch ein Altersturnen an, das vom ASVZ geleitet wird. Dieses Turnen wird von einer aktiven Gruppe sehr geschätzt und besitzt durch die Gruppenbildung auch eine soziale Funktion. Auch sonst ist die soziale Funktion der Senioren-Universität wichtig. Viele Besucher der Vorträge kommen in Grüppchen oder Gruppen, und vor sowie nach den Vorträgen sieht man solche Gruppen oft beim Gespräch in der Cafeteria der Universität Zürich-Irchel.
Angesichts des Erfolges der Senioren-Universität möchte man die folgende letzte Strophe eines Studentenliedes von J. Buchhorn anstimmen:
Student sein, wenn in Abendmatten
Der sanfte Weg sich niederneigt,
Von West die Schar der Wolkenschatten
Schon vor das Blau des Tages steigt,
Student sein, wenn der Sang verklungen,
Der deinem Lenz einst Flügel lieh,
Und jung du trotzdem mit den Jungen:
Dann war es recht, dann stirbst du nie.
Geschichte der Senioren-UniversitätNach längeren Vorarbeiten und Auseinandersetzungen hatte der Regierungsrat des Kantons Zürich Ende 1984 die Grundlage für die Existenz der Senioren-Universität geschaffen. Am 25. April 1985 fand die erste Vorlesung statt. Die Senioren-Universität wurde zuerst direkt vom Prorektorat «Lehre und Forschung» geleitet. Die Arbeitsbelas-tung durch die florierende Institution nahm jedoch so sehr zu, dass 1992 ein eigenes Sekretariat geschaffen werden musste. 1993 wurde die Senioren-Universität gegenüber dem Prorektorat dadurch noch selbständiger, dass der Rektor Gerold Hilty als Delegierten des Rektors mit der Leitung der Senioren-Universität betraute. Im Rahmen der Neuorganisation der gesamten Universität ist nun auch die Senioren-Universität auf eine neue Grundlage gestellt worden. Die Geschicke der Senioren-Universität werden von nun an noch eindeutiger bestimmt durch den Delegierten des Rektors und eine von ihm geleitete Kommission. Dieser gehört als Vizepräsidentin Frau Dr. Susanna Bliggenstorfer an, womit die Verbindung zum Prorektorat sichergestellt ist. Im übrigen sitzen in der Kommission je ein Vertreter oder eine Vertreterin der Volkshochschule des Kantons Zürich, des Sozialamtes der Stadt Zürich, der ETH Zürich, der sieben Fakultäten sowie des Zürcher Hochschulvereins. Die Senioren-Universität muss selbsttragend sein. Die Personal- und Sekretariatskosten, die allerdings reduzierten Benützungsgebühren für die Infrastruktur (Hörsäle, Büro usw.) sowie die bescheidenen Dozentenhonorare werden aus den Mitgliederbeiträgen bestritten. |
Die Senioren-UniversitätDie Senioren-Universität Zürich ist eine selbsttragende Weiterbildungsinstitution für Leute ab sechzig Jahren. Gegenwärtig zählt sie 1977 eingeschriebene Mitglieder. Die Dozierenden der Senioren-Universität rekrutieren sich aus der Dozentenschaft der beiden Hochschulen. Administrativ ist sie mit der Universität verbunden. Einem Delegierten des Rektors obliegt die unmittelbare Leitung. Er steht in ständiger Verbindung mit dem Prorektorat Lehre und wird beraten durch eine Kommission, in der auch die ETHZ vertreten ist. Programmschwerpunkt bilden Vorträge aus den verschiedensten Wissens- und Forschungsgebieten. Während des Semesters finden diese am Dienstag und Donnerstagnachmittag statt. Ergänzend werden Sonderveranstaltungen (Seminarien, Exkursionen, Besichtigungen), Aulakonzerte, Aufführungen von Senioren-Theatern und auch ein vom ASVZ durchgeführtes Seniorenturnen angeboten. Die Senioren-Universität Zürich pflegt mit den anderen Schwei- zer Senioren-Universitäten einen regen Kontakt. Präsident: Gerold Hilty, emeritierter Professor für Romanische Philologie
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Dr. Gerold Hilty ist emeritierter Professor für Romanische Philologie und Präsident der Zürcher Senioren-Universität.
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Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 17.04.99