Welche Bedeutung hat das Wort Wandel? Im etymologischen Lexikon heisst es dazu: «Änderung, Wechsel», aber unter anderem findet man dort auch «wandelbar, veränderlich, unstet» Ist das der zukünftige Weg der Hochschule? Gedanken eines Beteiligten, den die aktuelle Hochschulrealität nicht mehr los liess.
Wandel und Wechsel liebt, wer lebt» lässt Richard Wagner Wotan im ersten Akt des «Rheingoldes», dem Vorspiel zum «Ring des Nibelungen», sagen. Wird das Spiel um Gold und Macht nun auch an der Universität inszeniert? Nichts Neues also?
Die Lehrenden als Teil der Gesamtheit der Lehrenden und Lernenden, der Universität im ursprünglichen Sinn, empfinden die Hochschule heute als einen multifunktionalen Betrieb, dessen «Corporate identity» aus der Summe der Teilbereiche Lehre, Forschung und Dienstleistung entsteht. Ein weiterer Teilbereich, Management, gewinnt im Moment in zunehmendem Mass an Bedeutung, um nicht zu sagen die Oberhand.
Learning by doing
Das System geht von der irrigen Annahme aus, dass ein Professor immer gleichzeitig ein hervorragender Forscher, ein ausgezeichneter Lehrer und ein begabter Administrator sei. Vielen, die heute in der Hochschule Verantwortung auf verschiedenen Stufen tragen, haben sich letzteren Teilbereich durch «on the job training» oder «learning by doing» erarbeitet, grundlegende Kenntnisse jedoch fehlen ihnen.
Mutig übernimmt nun die Hochschule vermehrt Kompetenzen und Aufgaben im Rahmen des geplanten neuen Universitätsgesetzes und verteilt sie weiter an die Fakultäten, ohne dass entsprechende Verwaltungskompetenz dort geschaffen wird. Spielen hier nicht in Zukunft Vereine aus der Amateurliga gegen Profis? Müssen wir nicht vielmehr darüber nachdenken, wie und in welchem Umfang Verwaltungsarbeit an diejenigen delegiert werden kann, die dies auch gelernt haben?
Brennende Hochschulfragen
Bildungspolitiker müssen sich fragen lassen, ob die Hochschule mit einem Industriebetrieb, der die Produktepalette Lehre, Forschung und Dienstleistung anbietet, verglichen werden kann und ob Bewertungskriterien aus dem Industrie- oder Finanzbereich ohne weiteres auf die Hochschulen übertragen werden können. Diese Fragen spiegeln die Problematik wider, die seit einigen Jahren in beinahe allen mitteleuropäischen Universitätssystemen diskutiert wird.
Die Antwort auf eine Frage erwarten alle Hochschulangehörigen von der Gesellschaft: Wieviel Hochschule wollen wir uns noch leisten? Hier ist der Einsatz von Bildungspolitikern gefordert. Denn eine wirklich überzeugende Antwort ist bisher nicht zu erkennen. Zu bedenken ist, dass die Schweiz mit etwa sieben Prozent Hochschulabschlüssen pro Geburtsjahrgang zusammen mit Österreich das Schlusslicht der OECD-Statistik bildet. Die Hochschulen warten auf die Diskussion der längst fälligen klaren Leistungsaufträge, um ihre Rolle in der sich wandelnden Gesellschaft neu definieren zu können. Der Rotstift allein ist eine ungeeignete Antwort auf diese brennende Frage.
Weltfremde Forscher?
Eines ist jedoch bereits heute deutlich: Im Verlauf dieser Diskussion wird sich das Bild und die gesellschaftliche Rolle der Hochschule langfristig stärker verändern, als heute zu erkennen ist. In Zukunft wird an der Hochschule kaum Platz mehr sein für Personen mit herausragenden Fähigkeiten in nur einem Teilbereich zum Beispiel der «weltfremde» Forscher, der begeisternde Lehrer. Gefragt sind Multi(mediale)-Talente. Ein Verlust? Ja, denn zur Schaffung von «Innovation» bedarf es Konzentration auf das Wesentliche und Zeit in Form von Musse zum Nachdenken. Kann die Hochschule eine Insel der Seligen bleiben im Sinne von Schillers «Ein jeder Wechsel schreckt den Glücklichen»?
Vision, Tradition, Stagnation
Ohne Visionen und Rahmenbedingungen ist ein Wandel an der Hochschule nicht zu bewerkstelligen. Wollen die Hochschule und ihre Fakultäten ihre Ansprüche in der Gesellschaft auch künftig durchsetzen, müssen sie vermehrt Reformwillen und Anpassungsfähigkeit an geänderte Rahmenbedingungen und eine innere Einigkeit beweisen. Insbesondere die Fakultäten mit einem stark divergierenden Fächerspektrum sind gefordert, ein «kleinstes gemeinsames Vielfaches» zu finden und zu verteidigen, was nur durch Beschränkung von egoistischen persönlichen Interessen und von Fachinteressen zum Wohle der Gemeinsamkeit möglich ist. Für eine Institution, die Neues finden will, bedeutet Tradition Stagnation.
Verbunden hat diese beiden Begriffe Talleyrand: «Man muss die Zukunft im Sinn haben und die Vergangenheit in den Akten.»
Andreas Pospischil
unipressedienst Pressestelle der
Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
http://www.unizh.ch/upd/magazin/1-97/
Last update: 09.07.97