Uni nach 2000: Visionen – Befürchtungen – Hoffnungen

Mit dem neuen Gesetz über die Universität Zürich erreicht das Reformprojekt «Uni2000» ein wichtiges Zwischenziel. Die Universität soll Strukturen und Rahmenbedingungen erhalten, die ihr mehr Freiraum, mehr Selbständigkeit und mehr Flexibilität gewähren, um auch unter erschwerten Bedingungen eine leistungsstarke, innovative und international konkurrenzfähige Universität bleiben zu können. Wie werden die Universität, die Politiker und die …ffentlichkeit diese Chance wahrnehmen?

VON HANS HEINRICH SCHMID

Visionen

Ich sehe, wie das neue Universitätsgesetz inneruniversitär zu einem markanten Aufbruch führt. Alle Angehörigen der Universität erkennen, dass ihre Arbeit an der Universität Teil eines Ganzen ist und dass die Teilbereiche nur dann erfolgreich sein können, wenn sie das Ganze mittragen und vom Ganzen mitgetragen werden. Institute und Fakultäten beginnen sich zu reorganisieren und die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel sachgeleitet zu verteilen. Professorinnen und Professoren, die als eigene Persönlichkeiten berufen wurden, bringen ihre Interessen ein in das Gespräch mit ihren Kolleginnen und Kollegen, um dem Ganzen und damit auch sich selbst wieder neuen Auftrieb zu geben. Sie arbeiten noch vermehrt zusammen und bringen ihre fachlichen und menschlichen Kapazitäten gemeinsam und zielgerechter zur Geltung. Sie sehen ein, dass neue Kompetenzen auch neue Verantwortung nach sich ziehen – bis in den Bereich des Administrativen hinein –, und sie teilen die Arbeit auf, wie sich dies als am effizientesten erweist.

 
Die Universität Zürich-Zentrum (rechts) und -Irchel (links): leistungsstark, innovativ und international konkurrenzfähig ins 21. Jahrhundert

Ich sehe, wie die Arbeit in den Projektgruppen des Projekts «Uni 2000» Angehörige verschiedener Fakultäten und universitärer Ebenen miteinander in Kontakt gebracht hat. Man hat erlebt, wie vielseitig und vielgestaltig die Universität ist. Diese Kontakte werden ausgebaut, auch im Blick auf die wissenschaftliche Arbeit in Forschung und Lehre. Immer mehr wissenschaftliche Projekte und Schwerpunkte werden instituts- und fakultätsübergreifend angelegt. Es entstehen «virtuelle» Zentren und unterschiedliche Formen von Arbeitsgemeinschaften. Auch innerhalb der Institute und Fakultäten werden die Kräfte gebündelt und auf gemeinsame Ziele ausgerichtet. Auch die Geisteswissenschaftler erkennen, dass die Zeit der Einzelkämpfer am Auslaufen ist und Teamarbeiten erfolgreicher sind. Die Zusammenarbeit mit ausseruniversitären Institutionen nimmt zu, Institute mit gemischten Trägerschaften werden gegründet, und verschiedene Arten von Joint-ventures werden realisiert, von denen alle Partner profitieren.

Ich sehe, wie sich diese Entwicklung auch auf die Studierenden auswirkt, wie deren Studium reicher wird. Gleichzeitig realisieren die Studierenden, dass die Universität nicht lediglich konveniertes Wissen und Können vermittelt, sondern ihnen ein «Studium» im Sinne des Erwerbs eines eigenständigen, wissenschaftsorientierten Denkens ermöglicht. Den Studierenden wird bewusst, dass ihnen Professoren und Assistierende das Studium nicht abnehmen können, dass ein Studium das ureigenste Werk eines jeden Studierenden ist und dass eine reine Konsumhaltung nicht zum Ziele führt.

Ich sehe, wie das Globalbudget der Universität ermöglicht, die Mittel dort einzusetzen, wo sie am nötigsten sind und wo sie die grössten Wirkungen erzielen. Von besonderer Bedeutung ist die neue Verbindung von Globalbudget und Leistungsauftrag. Während sich bisher die Höhe der Mittelzusprache an die Universität primär an finanzpolitischen Gesichtspunkten orientierte, werden nun die Finanzen nach den von der Universität erwarteten Leistungen bemessen. Der Auftrag, grundsätzlich jeden Maturanden einer Schweizer Mittelschule aufzunehmen, wird der Universität nun entschädigt. Nach wie vor werden der Universität Zulassungsbeschränkungen oder Aufnahmeprüfungen versagt, doch die damit verbundene Pflicht der Selektion der wirklich Studierfähigen in den ersten Studiensemestern und das Nachholen von Maturstoffen lösen jetzt jene Mittel aus, die für diese Zusatzaufgaben nötig sind. Auftrag und Finanzierung der Hochschulen kommen in ein Gleichgewicht.

Ich sehe, dass die Politiker erkennen, dass es sich gelohnt hat, der Universität mehr Eigenständigkeit zuzugestehen. Sie sehen, wie die Universität lebendiger wird. Sie werdenüber die Tätigkeit der Universität informiert und können mitverfolgen, wie die Universität aufblüht. Sie staunenüber die Innovationen, die die Universität zustande bringt. Sie nehmen zur Kenntnis, wieviel die Universität leistet, und nehmen wahr, dass die Wissenschaft keineswegs so weltfremd ist, wie sie dies bisher vielleicht meinten. Mehr noch: Sie verstehen immer mehr, dass und warum die Wissenschaftlichkeit der Universität in Forschung, Lehre und Dienstleistung für die Zukunft unentbehrlich ist. Nicht nur mit Überzeugung, sondern mit Freude stellen sie der Universität die für ihre Arbeit erforderlichen Mittel zur Verfügung. Sie erkennen, dass schon ein Stillstand einen Rückschritt bedeutet, dass die Zukunft der Universität von den Entscheiden von heute bestimmt wird und dass Ausgaben für die Bildung Investitionen für die Zukunft sind.

Ich sehe auf gesamtschweizerischer Ebene ein Hochschulsystem heranwachsen, das nicht planwirtschaftlich konzipiert ist, sondern die jeweiligen Kapazitäten der einzelnen Hochschulen fördert und diese zum gegenseitigen Wettbewerb anspornt. Die unterschiedlichen Hochschulkulturen (deutsch/französisch/italienisch, Universitäten und ETHs, Besonderheiten von St. Gallen) werden nicht verwischt, sondern als Reichtum der Schweizer Hochschullandschaft erkannt. Die Unterschiedlichkeit ihrer Profile, auch ihrer Zulassungspolitik und in der Organisation ihrer Studiengänge werden in ihrer Differenzierung international als vorbildlich taxiert. Alles Kleinkrämertum in der Schweizer Hochschulpolitik ist verschwunden, die Hochschulen erbringen Höchstleistungen.

Ich sehe, wie regional und national die Einrichtung der Fachhochschulen den Universitäten ermöglicht, wieder neu ihr spezifisches Ziel einer akademisch-intellektuellen, theorie- und forschungsbezogenen Bildung zu verfolgen. Die berufs- und unmittelbar praxis- und anwendungsbezogenen Ausbildungsgänge sind an den Fachhochschulen weit besser aufgehoben als an den Universitäten. Die Universitäten werden kleiner, aber in ihrem eigenen Bereich effizienter, die Fachhochschule wächst und wird zur Regelhochschule.

Ich sehe, dass auch die …ffentlichkeit ein neues Verhältnis zur Universität gewinnt. Die Zeiten sind vorbei, da die Universität weitgehend als Blackbox erfahren wird, von der man nur weiss, dass sie viel kostet. Die …ffentlichkeit anerkennt, dass die Universität ein Kulturinstitut ersten Ranges ist, und ihr wird glaubwürdig, dass auch die Studierenden nicht einfach junge Menschen sind, die «nichts arbeiten», sondern dass diese darauf vorbereitet werden, in wenigen Jahren für das Geschick unseres Landes die Verantwortungübernehmen zu können.

Befürchtungen

Ich befürchte, dass es inneruniversitär noch eines längeren Prozesses bedarf, bis sich der Gedanke der Eigenverantwortung nicht nur für den persönlichen Arbeitsbereich und für das eigene Fach, sondern auch für das Ganze der Universität bis in die letzten Winkel der Universität durchgesetzt hat. Für den Vollzug der den Fakultäten und Instituten zugewiesenen Kompetenzen und Aufgaben etwa im Bereich der Verteilung der Personal- und Sachmittel muss auf weite Strecken noch eine Kultur entwickelt werden. Verteilkämpfe sind am geeignetsten, eine gute Atmosphäre schnell zu zerstören.

Ich befürchte, dass es den Politikern schwerfallen könnte, auf bisher innegehabte Kompetenzen zu verzichten. Obwohl der Zürcher Regierungsrat die laufende Legislaturperiode als die Legislatur der Verwaltungsreform deklariert hat und der Kantonsrat ihn darin unterstützt, könnte sich nun, wo dies konkret wird, ein Stück Angst vor dem eigenen Mut einschleichen.

Ich befürchte, dass die Korrelation Globalbudget Leistungsauftrag so bald nicht spielen wird. Die Spannung zwischen einer für alle offenstehenden Universität und den finanziellen Begrenzungen wird nicht so schnell zu beheben sein. Ebenso erscheint unwahrscheinlich, dass sich die Geldgeber für einen Ausbau der Massenfächer auf ein sachgerechtes und pädagogisch verantwortbares Betreuungsverhältnis bereitfinden werden. Es wäre unverantwortlich, wenn ein Globalbudget zur Ausrede für eine Unterfinanzierung einzelner Universitätsbereiche verkommen würde.

Ich befürchte – und dies vielleicht am meisten –, dass sich auf gesamtschweizerischer Ebene jene Kräfte durchsetzen, die die Schweizer Hochschulen in eine einheitliche und zentral gesteuerte «Hochschule Schweiz»überführen möchten. Die derzeitigen Pläne, die «Hochschule Schweiz» durch rein politische Instanzen, Bund und Erziehungsdirektoren – besonders auch der Hochschulkantone – führen zu lassen, widerspricht dem Grundtenor aller neuen Schweizer Hochschulgesetze. Besonders paradox wird dies, wenn ausgerechnet diejenigen Kantonsregierungen, die ihren Universitäten eben jetzt eine grössere Autonomie gewähren, diese durch ihre eigenen Vertreter in den gesamtschweizerischen Gremien bereits wieder unterlaufen.

Ich befürchte schliesslich, dass – entsprechend dem Vorbild Grossbritanniens, Frankreichs und leider auch Deutschlands – die klare Unterscheidung und je eigene Profilbildung von universitärer Hochschule und Fachhochschule auch in der Schweiz missraten könnte. Dies wäre ein schwerer Rückschlag für alle, für die Universitäten, für die Fachhochschulen und für das Schweizer Bildungswesen insgesamt.

Hoffnungen

Ich hoffe, dass inneruniversitär die Universität die Kraft haben wird, die Eigenverantwortung und Flexibilität, die sie mit ihrer Zustimmung zum Reformprojekt erstrebt hat und jetzt bekommen wird, auch wahrzunehmen und ebenso sinnvoll wie sachgerecht anzuwenden. Ich hoffe dies nicht nur, sondern binüberzeugt, dass die Universität diese Umorientierung erfolgreich vollziehen wird. Dies liegt in ihrem ureigensten Interesse. Dieser Prozess ist schon jetzt, noch vor dem Inkrafttreten des Gesetzes, in vollem Gange. Dass dieser Übergang nicht einfach ist und dauernde Anpassungen voraussetzt, liegt auf der Hand. Doch die Aussicht, dass die Universität dadurch stärker und besser wird, ermöglicht ihr, die kurzfristigen Schwierigkeiten zu meistern. Je stärker die Universität wird, desto selbständiger wird sie, desto mehr Anerkennung wird sie finden und desto grösser werden ihre Freiräume werden.

Ich hoffe, dass die Politiker die Grösse haben, der Universität ohne dauernde Interventionen die Chance zu geben, sich auch unter den neuen Rahmenbedingungen zu bewähren. Das Vertrauen, das dies voraussetzt, ist gerechtfertigt: Die hohen Leistungen der Universität Zürich sind nicht nur lokal, sondern auch national wie international anerkannt.

Ich hoffe, dass die Politiker trotz allem Spardruck bereit sind, die Universität mit den erforderlichen Mitteln zu versehen, zur Verbesserung von Forschung und Lehre und insbesondere zur dringend nötigen Förderung des akademischen Nachwuchses.

Ich hoffe, dass auf gesamtschweizerischer Ebene die Einsicht wächst, dass eine zentral gesteuerte und vereinheitlichte «Hochschule Schweiz» zwar vielleicht am billigsten ist, unserem Land aber am allerwenigsten dient. Die Kooperationspartner und die Konkurrenten der Schweizer Hochschulen werden nicht zuerst durch deren nationale Zugehörigkeit definiert, sondern durch wissenschaftliche Gesichtspunkte. Die Vernetzung der einzelnen Hochschulen mit ihren jeweiligen Partnern – national und international – muss sich an Gesichtspunkten der Sache und nicht an der Politik orientieren. Von der Globalisierung der Wirtschaft spricht heute alle Welt. Vermutlich ist die Wissenschaft noch globaler als die Wirtschaft, und von dieser Internationalität der Wissenschaft hat die Universität schon immer gelebt. Wird diese Internationalität zur Posteriorität, wird der Universität ihre allererste Aufgabe und ihr innerstes Stimulans genommen zum Schaden nicht nur der Universität, sondern vor allem unseres Landes, das wissenschaftlich in Forschung und Lehre sehr schnell in die Provinzialität absinken würde.

Ich hoffe schliesslich, dass die Arbeitsteilung zwischen universitärer Hochschule und Fachhochschule gelingt, dass beide Institutionen ihr eigenes Profil und deren Absolventen ihr je eigenes Sozialprestige erhalten, zum Wohl unserer Gesellschaft, die beider bedarf, der exzellenten, gut ausgebildeten Praktiker und der universitär gebildeten, theoriefähigen Akademiker.

Ich hoffe, dass meine Befürchtungen unrealistisch sind und meine Visionen Realität werden.


Dr. Hans Heinrich Schmid (hhschmid@zuv.unizh.ch)ist Rektor (WWW-Server des Rektorats) der Universität Zürich sowie ordentlicher Professor für alttestamentliche Wissenschaft und allgemeine Religionsgeschichte.

Siehe auch «Im Profil».


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Last update: 09.07.97