Die weltwirtschaftliche Entwicklung wird mit Begriffen wie «Globalisierung» und «Übergang zur Informationsgesellschaft», die künftige Wirtschaft als «knowledge based economy» charakterisiert. Das bedeutet einen noch höheren Stellenwert der Wissensproduktion und Vermittlung und damit für die Hochschulen: Ihre ökonomische und gesellschaftliche Bedeutung für die Wertschöpfung und die Wohlfahrt des Landes scheint noch grösser zu werden.
VON BEAT SCHMID
Die neuen Informationsinfrastrukturen sie sind in vielen Ländern (nicht in der Schweiz) Gegenstand nationaler Strategien machen die Information auf völlig neue Weise überall verfügbar auch in ihren prozessualen Aspekten, wie zahllose Diskussionsforen im Internet belegen. Ein neues Alexandrien entsteht, eine Bibliothek der Menschheit, die im Prinzip allen überall und jederzeit verfügbar ist. Diese Entwicklung ist eine wesentliche Determinante der Globalisierung. Die Information wird umfassend mobil, und in ihrem Gefolge immer grössere Teile der Arbeit mit den inzwischen für die alten Industrieländer deutlich spürbaren negativen Beschäftigungseffekten.
Die Schweiz braucht einen qualitativ richtigen Mix zwischen Ausbildungsgängen, die auf die Praxis vorbereiten, und solchen, die für die Forschung und die akademische Lehre ausbilden. |
Die Wissenschaft ist per se global: Die Erkenntnisse der Forschung werden in internationalen Zeitschriften publiziert, an internationalen Konferenzen vorgetragen und diskutiert. Hier gibt es keine autonomen regionalen Kulturen mehr, es sei denn um den Preis der Provinzialität, mag dies auch subjektiv anders wahrgenommen werden.
Auch der Ausbildungsmarkt kann sich der Globalisierung immer weniger entziehen. Zum einen hat das dreistufige angelsächsische Modell der Grade Bachelor, Master und Ph. D. heute eine dominante Stellung: Auch in Asien und in weiten Teilen des nicht deutschsprachigen Europa ist es etabliert. Die meisten Studierenden schliessen mit dem Bachelor Degree ab. Eine geringere Zahl besucht die Graduate School und schliesst als Master ab. Der Ph. D. ist primär für die akademische Laufbahn und für die Forschung gedacht.
Die unternehmerisch geführten amerikanischen Elite-Universitäten geben de facto den Takt an. Ihr Kennzeichen ist eine klare Strategie in den Bereichen, in denen sie Exzellenz anstreben sowie das Bestreben, die besten Dozenten und wohl noch wichtiger die besten Studierenden auszuwählen. Das Selektionsverfahren wird in südostasiatischen Ländern oft noch rigoroser gehandhabt. Das Ergebnis ist die Herausbildung im bedeutenderen Anzahl von Schulen mit regionalem Charakter.
Auf der anderen Seite führen mehr und mehr internationale Firmen fachbezogene Ranglisten der Schulen, deren Absolventen sie einstellen. Diese Entwicklung hat inzwischen auch unsere Arbeitsmärkte erreicht. Die MBA-Ausbildungsgänge sind schon seit längerem dieser globalen Optik unterworfen, bei regulären Diplomstudiengängen werden sie je länger je mehr spürbar. Eine Folge davon ist die Gründung von «Filialen» bekannter Schulen auch in Europa.
Ein weiteres Kennzeichen der neuen Epoche ist die enorme Beschleunigung. Dieser Prozess wurde schon oft thematisiert: Sinkende Halbwertzeit des Wissens oder exponentielle Zunahme der Wissensproduktion sind Chiffern dieser Entwicklung, die in der Wirtschaft mit immer kürzer werdenden Produktelebenszyklen einher geht. Sie verlangt nicht nur lebenslanges Lernen und entsprechende Weiterbildungsangebote, sondern auch neue und erneuerte Curricula.
Eine neue Gründerzeit ist angebrochen, die zunächst die informationsverarbeitende Wirtschaft (Neue Medienwirtschaft, Information Highway) erfasst hat. Sie zeitigt in der Hochschulwelt neue Forschungs- und Ausbildungszweige, vor allem in den Ländern, die in den neuen Gebieten auch wertschöpfungsmässig erfolgreich sind. Sie muss auch in unserem Lande auf der Hochschulebene eine Entsprechung finden, wie die Industrialisierung in der philosophischen Fakultät II und in der Gründung technischer Hochschulen eine Antwort fand.
Die schweizerische Hochschullandschaft
Den schweizerischen Hochschulen wird zu Recht eine gute Qualität attestiert. Sie sind für alle Studierenden, die über ein Maturitätszeugnis verfügen, offen. Bezüglich neuer Fachgebiete sind sie oft konservativ, wie etwa die eher verspätete Einrichtung der Informatiklehrgänge belegt, oder die Tatsache, dass Medien- und Kommunikationswissenschaften bis in die jüngste Gegenwart in der Schweiz nicht als Hauptfach studiert werden konnten.
Bis vor kurzem war die Mittelausstattung der schweizerischen Hochschulen überdurchschnittlich gut. Für die absehbare Zukunft muss jedoch mit in etwa konstanten Mitteln gerechnet werden, bei noch leicht steigenden Studentenzahlen.
Als wohl wichtigstes Projekt der Gegenwart muss die Etablierung der Fachhochschulen betrachtet werden. Das Konzept sieht vor, dass Fachhochschulen und universitäre Hochschulen gleichwertig, aber andersartig sind: Während die Fachhochschulen anwendungsorientiert sind und Absolventen für die Praxis ausbilden, sollen die universitären Hochschulen forschungsorientiert sein und primär akademischen Nachwuchs und Forscher ausbilden. Diese Zweckbestimmung würde ein Verhältnis von zum Beispiel 80 zu 20 zu Gunsten der Fachhochschulen verlangen. In der Realität ist das Verhältnis aber eher umgekehrt.
Die Schweiz besitzt sieben Volluniversitäten und vier spezialisierte universitäre Hochschulen (die zwei ETHs, die HSG und neuerdings die Tessiner Universität). Die schweizerische Hochschulpolitik geht von der stillschweigenden Prämisse aus, dass alle Hochschulen in etwa zur gleichen Kategorie gehören. Eine Unterscheidung in Elite-Hochschulen und Hochschulen mit eher regionalem Charakter ist nicht vorgesehen. Damit korrespondierend ist auch keine Selektion der eintretenden Studenten vorhanden; diese erfolgt erst später über Vordiplom- und ähnliche Prüfungen.
Gegenwärtig findet eine Restrukturierung in die richtige Richtung statt: Die Erziehungsdirektoren und der Präsident des ETH-Rates werden ein Gremium bilden, das primär für die normative Ebene zuständig ist und möglicherweise mit den dafür notwendigen Kompetenzen ausgestattet wird, während eine aufgewertete Rektorenkonferenz für die strategische Ebene und die Umsetzung zuständig sein wird.
Defizite
Unser Land braucht Spitzenausbildungsgänge und eine Spitzenforschung im internationalen Massstab in all den Gebieten, die für unsere Wertschöpfung wichtig sind. Dies ist in einem Gebiet nur mit einer beträchtlichen Anzahl von Dozenten machbar und mit sehr guten Studenten.
Wir brauchen weiter neue Curricula und Forschungsinstitutionen in wichtigen neuen Gebieten, zum Beispiel für Medienwirtschaft, -wissenschaften und -technik, dem quantitativ wichtigsten Wirtschaftszweig im nächsten Jahrhundert: Wir müssen dort Exporteure, am besten Netto-Exporteure werden, um die Verluste in anderen, nicht mehr kompetitiven Bereichen zu kompensieren. Dies muss bei gleichbleibenden Mitteln durch Umlagerungen erfolgen. So wenig wie das Akademikerprofil der Agrargesellschaft gleich war wie das der Industriegesellschaft, wird das der Informationsgesellschaft dem der Industriegesellschaft gleichen: Viele Berufsbilder werden in evolutionär gewandelter Form weiterbestehen, aber auch zahlreiche neue entstehen.
Die neuen Curricula werden rasch benötigt, so rasch wie die neue Wirtschaft wächst, nämlich eine Grössenordnung schneller als die Wirtschaft der Industriegesellschaft. Unser Planungs- und Entscheidungssystem ist dem sich verabschiedenden Zeitalter angepasst und deutlich langsamer als das der unternehmerisch geführten amerikanischen Universitäten. Das Bewusstsein des Umbruchs, der Gründerzeit hat noch wenig Fuss gefasst.
Wir brauchen schliesslich einen auch quantitativ richtigen Mix zwischen Ausbildungsgängen, die auf die Praxis vorbereiten, und solchen, die für die Forschung und die akademische Lehre ausbilden. Wir brauchen ebenso, wie bereits oben gesagt, einen qualitativ richtigen Mix: Nicht alle Absolventen müssen zur Elite gehören.
Konzentration auf Kernkompetenzen
Es gibt wie meist viele Wege, die zum gewünschten Ziel führen. Die folgenden Überlegungen orientieren sich am Hochschulmodell, das weltweit dominant geworden ist, nämlich dem angelsächsisch/amerikanisch geprägten. Ein eigenständiger helvetischer Weg ist natürlich denkbar, aber wohl deutlich riskanter.
Um in all den Gebieten, die für unsere Gesellschaft und Wirtschaft wichtig sind, in Forschung und Ausbildung Spitzenleistungen anbieten zu können, ist eine Konzentration auf Kernkompetenzen für die einzelnen Hochschulen unerlässlich. Anders kann sich ein Sieben-Millionen-Land nicht mit den führenden Instituten messen (die deutlich grössere Einzugsgebiete haben). Keine schweizerische Hochschule wird das in allen Bereichen tun können allein schon wegen der Professorenzahl, die dazu je Fachgebiet nötig ist.
Ausbildungsgänge differenzieren
Neben der notwendigen Ressourcenkonzentration gehört dazu auch die Auswahl der besten Studenten. Das geschieht in unserem dem Elitären abholden Lande heute versteckt, durch Herausprüfen in Vordiplomen usw. Man kann das genannte Ziel nicht erreichen, ohne das Selektionsproblem zu lösen. Bei der Zulassung zum Gymnasium tun wir dies offen. Der grösste Teil der Hochschulabsolventen benötigt nicht den Abschluss einer Spitzenschule bzw. kann ihn nicht erlangen. Das bedeutet, dass wir den Mut haben sollten, eine Differenzierung der Ausbildungsgänge zu akzeptieren.
Die Arbeitsteilung zwischen Fachhochschulen und universitären Hochschulen muss, damit sie auch quantitativ stimmt, dahingehend ergänzt werden, dass der Tatsache explizit Rechnung getragen wird, dass der Löwenanteil der Absolventen der Hochschulen nicht in die Forschung und die akademische Lehre, sondern in die Praxis gehen. Dies würde in den Disziplinen, wo die Zahlenverhältnisse heute falsch sind, zum Beispiel in der Betriebswirtschaftslehre, dadurch relativ einfach gelöst werden können, dass in den universitären Hochschulen ein Grad eingeführt würde, der dem Bachelor entspricht. An westschweizerischen Universitäten ist dies schon heute der Fall (Lizentiat nach drei Jahren). Der Fachhochschulabschluss würde damit dem Bachelor entsprechen. Inhaber des Bachelor-Degree könnten dann, egal ob von einer Fachhochschule oder einer universitären Hochschule, bei geeigneten Leistungen in die Graduate School, die der heutigen Lizentiatsstufe entspricht, übertreten wie im angelsächsischen Modell.
Neuerungen rasch einführen
Schliesslich müssen unsere Hochschulen die Fähigkeit erlangen, Neuerungen rasch und im grösseren Umfange zu produzieren. Veränderungen im Bereich von zweistelligen Prozentzahlen je Planungsperiode sind für eine absehbare Zeit unerlässlich, sollen die notwendigen Änderungen in nützlicher Frist Realität werden, das heisst die Schwerpunktbildung und die Etablierung der benötigten Curricula.
Herausforderung erkennen
Die vorgelegte Analyse ist notgedrungen verkürzt, und die Massnahmen sind skizzenhaft geraten. Beides wäre zu verfeinern. Schwieriger dürfte es sein, Konsens zur generellen Lagebeurteilung zu erlangen. Unser Land scheint mit der Tatsache der Etablierung globaler Märkte in vielen Bereichen Mühe zu haben. Es ist nicht zu erwarten, dass eine Hochschulpolitik im oben skizzierten Sinne durchsetzbar ist. Dies ist vielleicht auch nicht nötig. Es bleibt aber zu hoffen, dass einzelne schweizerische Hochschulen die Herausforderung erkennen und meistern. Dies sollte die offizielle Hochschulpolitik zulassen und wenn möglich fördern.
Dr. Beat Schmid (Beat.Schmid@IWI.UNISG.CH)ist ausserordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen.
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Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
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Last update: 09.07.97