Magazin der Universität Zürich Nr. 4/96

Schaut doch mal auf den Boden!

Sporthallenböden haben es in sich. Die meisten heutigen Sporthallenböden sind hart. Sie sind vor allem auf die Bedürfnisse der Erwachsenen zugeschnitten und nicht auf diejenigen der Kinder. Doch brauchen wir überhaupt Sporthallenböden, um Sport treiben zu können?

VON ROLAND MÜLLER

[Projekte]

Was ist ein Sportboden? Der Boden ist die Grundlage für jede Betätigung in Sporthallen. Der Sportboden muss sich aus unserer Sicht durch spezifische mechanische Eigenschaften auszeichnen, um zu grosse Belastungen des Bewegungsapparates zu vermeiden.

Mehr kindergerechte Böden im Sporthallenbau!

Die Belastung des Bewegungsapparates entsteht sowohl durch eigene Muskelkräfte (beispielsweise durch die Kraft im Knie beim Velofahren) als auch durch Kräfte, die von aussen auf den Körper einwirken (etwa durch den Schlag im Knie bei einer Landung nach dem Sprung). Was kann nun der Sportboden zur Schonung des Bewegungsapparates beitragen?

Wann nützt ein Sportboden?

Eine der Hauptfunktionen des Sporthallenbodens besteht darin, grosse und unerwartete Kräfte, die auf den Sportler einwirken, zu reduzieren. Anhand von zwei Bewegungen – einem plyometrischen Sprung (das ist eine Landung mit sofortigem Abspringen) und einer Landung nach einem Sprungwurf mit Ball – soll aufgezeigt werden, wann grosse Belastungen auftreten und welche dieser Belastungen durch einen Sporthallenboden reduziert werden können. In Abbildung 1 wird die Wirkung eines Sporthallenbodens derjenigen einer harten Unterlage (Stahlplatte) gegenübergestellt.

Abb. 1: Auftretende äussere Kräfte bei einem plyometrischen Sprung (links) bzw. einer Landung nach einem Sprungwurf (rechts) auf einem Sporthallenboden (ausgezogene Linie) im Vergleich zu einem sehr harten Boden (Stahl; punktierte Linie). Beide Bewegungen wurden von einem Erwachsenen (70kg) und barfuss ausgeführt.

Aus Abbildung 1 ist ersichtlich, dass der Sporthallenboden nur die Aufprallkräfte reduzieren kann, nicht aber Abstoss- und Abbremskräfte, die durch die Muskulatur erzeugt werden. Die Reduktion der Aufprallkräfte wird erreicht, indem ein «guter» Boden einen grösseren Bremsweg ermöglicht. Aufprallsituationen sind nicht selten (zum Beispiel Fersenlauf barfuss, Landung mit Fersenkontakt, Sturz auf Knie, Kopf, Ellbogen usw.), und hier soll und muss der Sporthallenboden die Schutzfunktion übernehmen; denn der Aufprall selbst dauert nur 10 bis 30 Millisekunden, und in dieser kurzen Zeitspanne kann der menschliche Körper die Aufprallkräfte muskulär selbst nicht beeinflussen.

Es ist also nicht das Hüpfen oder das Abspringen, sondern jeweils nur die erste Phase einer Landung (Aufprall des Vorfusses oder der Ferse) oder eines Sturzes (Aufprall des Knies, Ellbogens, Kopfes), bei der der Sportler auf einen guten Boden angewiesen ist. Nach diesem Aufprall ändert sich die Belastungssituation: Eine Belastungsreduktion wird nicht mehr vom Boden, sondern vom Sportler selbst erzielt, da der Bewegungsapparat einen viel grösseren Bremsweg zur Verfügung hat als der Boden.

Provokativ gesagt heisst das, dass es für sportliche Bewegungen ohne Aufprallsituation – betrachten wir nur die vertikalen Kräfte – keine grosse Rolle spielt, auf welcher Unterlage sie ausgeübt werden.

Welcher Sportboden ist kindergerechter?

Die dynamische Härte eines Bodens kann mit Hilfe einer fallenden Kugel bestimmt werden. Die verwendete Kugelmasse ist dabei nicht dem Körpergewicht gleichzusetzen, sondern beschreibt nur die Masse der Körperteile, die beim Bodenkontakt nicht «weiterlaufen» können, sondern abrupt abgebremst werden. Diese sogenannte effektive Masse ist deshalb viel kleiner und beträgt
je nach Aufprallsituation 5 bis 40 Prozent der Körpermasse (ugs. Körpergewicht). Für einen 75 Kilogramm schweren Erwachsenen entspricht dies beim Sturz auf ein Knie etwa 4 bis 6 Kilogramm effektiver Masse, für einen Primarschüler 1,5 bis 2 Kilogramm.

Soll das Verhalten der Böden mechanisch einfach beschrieben werden, dann kann der Boden durch eine Feder ersetzt werden. Die Federkonstante dieses Modells ist dabei das Mass für die Härte des Bodens (je grösser die Federkonstante, desto härter der Boden). In Abbildung 2 sind die Härten verschiedener Sporthallenböden in Abhängigkeit der Aufprallmasse dargestellt. Die in der Legende aufgeführte KA-Zahl bezeichnet den sogenannten Kraftabbau dieser Böden, der gemäss DIN-Norm gemessen wird und für einen Sporthallenboden mindestens 50 Prozent betragen muss (je grösser der Kraftabbau, desto weicher der Boden).

Abbildung 2 zeigt, dass ein Boden mit einem grossen Kraftabbau nicht in allen Situationen weicher sein muss als ein Boden mit einem kleineren Kraftabbau. Was heisst das nun für ein Kind im Gegensatz zu einem Erwachsenen? Durch die kleinere Masse des Kindes sinken die Aufprallkräfte absolut gesehen bei allen Bodenarten. Allerdings kann der Bewegungsapparat des Kindes auch nicht die gleich grossen Kräfte aufnehmen wie derjenige eines Erwachsenen (kleinere Flächen in Knochen, Gelenken, Sehnen, Muskeln usw.). Entscheidend ist die Beanspruchung, also die Kraft pro Fläche (= Druck bzw. Zug); sie erst sagt etwas aus über das Verletzungsrisiko.


Abb. 2: Federkonstanten verschiedener Sporthallenböden (Dämpfungsschicht miteinbezogen) in Abhängigkeit der Aufprallmasse bei einer Aufprallgeschwindigkeit von 1,4 m/s (Radius der aufprallenden Kugel 40 mm, Dämpfungsschicht [«Fersenpolster»] 9mm). KA = Kraftabbau gemäss DIN.

Berechnungen bei zwei verschiedenen Böden (flächenelastischer Parkett mit Elastikschicht [KA 61 Prozent] und punktelastischer Kunststoffboden [KA 51 Prozent]) zeigen nun, dass die Beanspruchung für Kinder bei einem Aufprall mit kleiner effektiver Masse ­ zum Beispiel bei einem Sturz aufs Knie ­ auf diesem flächenelastischen Boden etwa 20 Prozent grösser ist als auf dem punktelastischen Boden. Für Erwachsene und bei eher gestreckter Körperhaltung (= grössere effektive Masse) kann hingegen die Beanspruchung auf diesem flächenelastischen Boden bis zu 50 Prozent kleiner sein als auf dem punktelastischen Boden. Diese Unterschiede sind in erster Linie durch die träge Masse des flächenelastischen Bodens bedingt. Die Grösse dieser trägen Masse ist von Boden zu Boden verschieden und durch die Konstruktion bestimmt.

Um möglichst vielen unterschiedlichen Situationen gerecht zu werden, müsste der Sporthallenboden «intelligent» reagieren können, das heisst benutzer- und situationsangepasst.

Das Wichtigste liegt unter der Oberfläche

Den idealen Sporthallenboden gibt es (noch) nicht. Es braucht aber auch nicht für jede sportliche Tätigkeit einen Sportboden. Daher muss die Benützung einer Sporthalle genau abgeklärt werden und aufgrund dieser Anforderungen die Bodenwahl getroffen werden. Insbesondere sollte dabei abgeklärt werden, ob Kinder oder Erwachsene die Hauptbenützer sind und ob viele Stürze zu erwarten sind. Je nach Anforderungsprofil ist ein anderer Boden vorteilhaft. Dabei sind folgende Eigenschaften zu beachten:

Es ist also nicht die Oberfläche, die in erster Linie über die Eigenschaften eines Sportbodens entscheidet, sondern die darunterliegende, nicht sichtbare Konstruktion. So sind Parkettböden immer flächenelastisch, Kunststoffböden hingegen punkt- oder flächenelastisch. Auch im Falle von Sporthallenböden genügt somit eine «oberflächliche» Betrachtungsweise nicht, da das Wichtigste darunter verborgen ist.


Roland Müller (mueller@biomech.mat.ethz.ch)ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Laboratorium für Biomechanik der ETH Zürich.


Projekte

Das Laboratorium für Biomechanik der ETH Zürich arbeitet auf dem Gebiet der Grundlagenforschung des menschlichen Bewegungsapparates. Die zwei wichtigsten Bereiche sind die Knochemechanik (Steifigkeit der Knochen; in Zusammenhang mit Osteoporose) und die Muskelmechanik (mechanische Eigenschaften der Muskulatur; in Zusammenhang mit Muskelatrophie). Die angewandte Forschung findet im Bereich der Orthopädie (insbesondere Ganganalysen von Patienten) und des Sportes statt. Weitere zur Zeit bearbeitete Themen im Bereich der Sportbiomechanik sind: Sportbekleidung, Skispringen, Achillessehnenprobleme und Sporschuhsohlen.


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Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
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Last update: 16.09.97