Das Hochbauamt des Kantons Zürich ist verpflichtet, ein halbes Prozent seiner Bauaufwendungen künstlerischen Projekten zuzuführen. So arbeitete auch für die Fertigstellung der vierten Bauetappe an der Universität Irchel eine Jury ein Kunst-am-Bau-Programm aus. Sie prämierte zwei Arbeiten, die die Auseinandersetzung mit dem Neubau und seinen BenutzerInnen suchen. Deren Vorläufigkeit korrespondiert nicht unbedingt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und gibt zu Diskussionen Anlass.
VON EVA KELLER
Wenn im Oktober 1998 die Gebäude der 4. Bauetappe an der Universität Irchel offiziell eröffnet werden, wird man in der grossen, hellen Eingangshalle von Bau 55 auf eine hüttenartige Konstruktion treffen, die mehr schlecht als recht aus Karton, Holz und mit Klebeband zusammengebastelt ist.
Der Künstler Thomas HIrschhorn und Versatzstücke zu seinem «Robert-Walser-Kiosk». |
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Begeben sich die BesucherInnen danach ins sechsgeschossige Treppehaus, um in die verschiedenen Institute zu gelangen, vernehmen sie Geräusche, die sie vergeblich zu orten suchen und deren Qualität sie kaum zu beschreiben vermögen.
Literatur- und Kunsthäuschen
Ein Kartonverschlag in einem Hightechgebäude und Kunst, die sich verbirgt, was soll das? Unvermeidlich und unabdingbar kommt es zu Debatten über die Kunstfavelas des 1957 geborenen, in Paris lebenden Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn und über die unsichtbare Intervention der in Basel lebenden 44jährigen Künstlerin Käthe Walser. Grundsätzlich wird auch über Kunst im allgemeinen und über das Kulturprozent des Kantons im besonderen diskutiert werden.
Auf dem einfachen, fragilen Gebilde von Thomas Hirschhorn steht gross und krakelig «Robert Walser-Kiosk» geschrieben. Im Innern des Kioskes finden sich Tisch und Stuhl, Neonröhren, Kassettenrekorder und Videoabspieleinheit, zur Hauptsache aber umfangreiches Studienmaterial Bücher, Photographien, Audio- und Videokassetten usw. von und zu Robert Walser.
Hirschhorn liest Walser
Der «Robert Walser-Kiosk» ist ein Angebot an die ForscherInnen, das Betriebspersonal und die BesucherInnen der Universität, sich zurückzuziehen, in einem Buch zu lesen, Photographien zu studieren, einer Lesung zu folgen, kurz sich mit Leben und Werk von Robert Walser auseinanderzusetzen.
Ihn wird nach sechs Monaten ein «Emil Nolde-Kiosk» ersetzen. Im Halbjahresrhythmus
folgen sechs weitere Literatur- und Kunsthäuschen. Alle sind sie Menschen gewidmet, deren
Werk Hirschhorn schätzt: Otto Freundlich, Ingeborg Bachmann, Meret Oppenheim, Fernand
Léger, Lioubov Popova und Emmanuel Bove.
Robert Walser beispielsweise verehrt Hirschhorn seiner künstlerischen Unabhängigkeit und
seiner persönlichen Integrität wegen. Ferner sieht er in ihm die Verkörperung des
Antihelden. Für Léger interessiert er sich, weil dieser sich als einer der ersten
Künstler nicht nur mit Trivialkultur beschäftigt, sondern auch nach einer fruchtbaren
Verbindung von Kunst und Massenkultur sucht.
Produktiver Kontrast
Alle acht Kioske sind ähnlich konstruiert und ausgestattet. Sie werden in derselben Halle, aber an verschiedenen Stellen plaziert. Ihre regelmässige Wartung wird von Studierenden der Weiterbildungsklasse Bildende Kunst der Schule für Gestaltung Zürich übernommen. Nach Inbetriebnahme wird jeder Kiosk photographisch und mit Video dokumentiert. Diese Dokumentationen gehen nach Abschluss des Projektes in den Besitz des Auftraggebers über.
Das Kiosk-Projekt von Thomas Hirschhorn steht in einem spannungsvollen wie produktiven Kontrast zu Ort und Kontext. Inhaltlich formuliert es eine literarische und künstlerische Gegenwelt zur hochentwickelten, abstrakten Forschungsarbei wenngleich die Ernsthaftigkeit von Hirschhorns Recherchen und sein Enthusiasmus durchaus Parallelen zur Arbeitsweise eines Forschers haben. Vergänglich und handgefertigt wie seine Kioske sind, widersetzen sie sich auch formal der sachlichen Architektur und dem soliden Bau.
Felix Stephan Hubers grossformatige Photoarbeit wird zum
Ankauf empfohlen: Felix Stephan Hubers «Moose» (199091; 230 x 500 cm).
Im Grunde interessieren Hirschhorn aber weder ästhetische Lösungen noch
intellektuelle Einigkeit, er möchte vielmehr Energie freisetzen und Leben in die
Eingangshalle von Bau 55 bringen. Seine Absicht ist es, die NaturwissenschaftlerInnen mit
anderen Realitäten zu konfrontieren, um sie zu inspirieren und bestenfalls neue,
unbekannte Energien in ihnen freizusetzen. Sein Engagement und damit auch seine
Dialogbereitschaft erstreckt sich über vier Jahre: ein Einsatz, der für ein
Kunst-am-Bau-Beitrag absolut einmalig ist. Käthe Walsers Projekt für das Treppenhaus des
sechsgeschossigen Institutsgebäudes ist eine Installation mit Klängen.
Unsichtbare Treppengängerin
Die Künstlerin benutzt dafür den bestehenden metallenen Handlauf, in dessen Innern sie eine kleine Kugel aus Moosgummi zirkulieren lässt. Aus eigenem Antrieb rollt die Kugel jeweils hinunter, um dann mit Hilfe von Luft wieder nach oben transportiert zu werden. Die «Treppengängerin» bleibt unsichtbar. Dadurch, dass sie den Handlauf berührt und Luft verdrängt, wird ihr Tun jedoch akustisch wahrnehmbar.
Arbeitsort von Käthe Waisers unsichtbarer «Treppengängerin»
Technisch verbindet Käthe Walser die beiden Enden des Handlaufs mittels einer Steigleitung, über die bei Bedarf Luft zugeführt werden kann. Ein Steuerungsprogramm bestimmt respektive verändert die Menge und den Rhythmus der Luftzufuhr, das heisst, die Kugel wird in unregelmässigen und unvorhergesehenen Abständen aktiviert.
Die Geräusche der rollenden Kugel werden von Mikrophonkapseln aufgezeichnet und über Steuerung, Computer und Lautsprecher im Treppenhaus hörbar. Die «Treppengängerin» ist so angelegt, dass sie als Instrument mit dem Handlauf als Klangkörper und der Kugel als Klangerzeugerin MusikerInnen, KomponistInnen oder auch interessierten Institutsangehörigen für musikalische Experimente zur Verfügung gestellt werden kann.
Die Beschäftigung mit dem architektonischen und wissenschaftlichen Kontext ist für
Käthe Walsers Eingriff gleichermassen konstitutiv. Sie benutzt das Angebot des
Architekten, den schlichten, schönen Handlauf, und sie versetzt sich in die
«Treppengängerin», welche die Stufen erklimmt, ab und an innehält, um Luft zu holen.
Mit der nicht sichtbaren Klangerzeugerin findet die Künstlerin zudem eine stimmige
Metapher für den Forschungsbetrieb und seine Systeme, die für Aussenstehende weder
einsichtig noch fassbar sind. Ebenso unzugänglich, wie es die hochentwickelten
Laboratorien der hier angesiedelten Institute der Öffentlichkeit sind. Sie liegen hinter
dem Treppenhaus.
Die Bauten und das Kulturprozent
1962 beschloss der Regierungsrat des Kantons Zürich eine Teilverlegung der Universität auf das 45 Hektaren grosse Strickhofareal am Milchbuck. Er antwortete damit der wachsenden Zahl von Studierenden und dem steigenden Raumbedarf der Institute. Durch eine etappenweise Bebauung soll den jeweils aktuellen Bedürfnissen optimal entsprochen werden.
Haben die Jury überzeugt: Beat Streulis grossformatige Strassenszenen. |
1978 wurden die ersten Bauten mit vorwiegend naturwissenschaftlichen und medizinischen Instituten bezogen. Gegenwärtig wird die vierte Bauetappe abgeschlossen. Sie umfasst drei unterschiedliche Gebäude: Bau 15 mit der Forschungsbibliothek, Bau 35 mit zwei (unterirdischen) Hörsälen sowie Bau 55 das eigentliche Hauptvolumen dieser Etappe mit den Instituten Molekularbiologie, Hirnforschung und Neuroinformatik. Als staatliche Einrichtung ist das Hochbauamt des Kantons Zürich verpflichtet rund ein halbes Prozent seiner Bauaufwendungen künstlerischen Aufgaben zuzuführen.
Der Besuch des Universitätscampus veranschaulicht den verantwortungsbewussten und engagierten Umgang mit Kunst seitens der Bauherrschaft. Für die ersten beiden Bauetappen (1978 und 1984 abgeschlossen) erfolgte die Auswahl der Kunst-am-Bau-Beiträge mittels eines gesamtschweizerischen Wettbewerbs. Das Spektrum der insgesamt 25 realisierten Arbeiten widerspiegelt beispielhaft das demokratische Kunstverständnis jener Jahre.
Bei der dritten Etappe (19891994) hingegen erarbeitete eine Expertenkommission bereits bei Baubeginn ein künstlerisches Gesamtkonzept und erteilte Studienaufträge an neun ausgewählte KünstlerInnen. Hauptanliegen jener Kommission war es, kluge Bezüge zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesamtanlage herzustellen.
Im Juli 1997 betraute das Kantonale Hochbauamt eine siebenköpfige Jury mit der Ausarbeitung eines Kunstprogrammes für die vierte Bauetappe.
Neue Kunst- und Arbeitsformen
Nach einer eingehenden Beschäftigung mit den orts- und kontextbezogenen Gegebenheiten hat die Jury inhaltlich ein Programm formuliert, das explizit neue Kunst- und Arbeitsformen mit einbezieht (unter anderem elektronische Medien, interaktive Arbeiten, works in progress).
Die JurorInnen sehen beispielsweise in der Anwendung neuer Medien oder in prozessorientierten Beiträgen eine zeitgemässe und sinnfällige Entsprechung zu den technischen Einrichtungen und Forschungsmethoden der in den Gebäuden der vierten Bauetappe untergebrachten Institute.
Das Kunstprogramm umfasst zwei orts- respektive kontextspezifische Kunstwerke in den Bauten 35 und 55, den Ankauf einer Reihe von beweglichen, ortsunabhängigen Werken für die Bibliothek (Bau 15) sowie die halböffentlichen und institutsinternen Bereiche in Bau 55 und schliesslich die Ausschreibung eines Wettbewerbs.
Zu diesem werden dreizehn KünstlerInnen eingeladen, sie können zusätzlich Vorschläge für Werkankäufe einreichen. Es sind dies Stefan Altenburger, Ana Axpe, Marie-Antoinette Chiarenza, Alexander Hahn, Thomas Hirschhorn, Carsten Höller, Felix Stephan Huber, Christian Marclay, Muda Mathis, Pipilotti Rist, Roman Signer, Beat Streuli, Käthe Walser. Aus Zeitgründen müssen Höller, Marclay, Signer und Rist auf eine Teilnahme verzichten. Höller und Signer unterbreiten indes Ankaufsvorschläge. Am Wettbewerb beteiligen sich somit neun KünstlerInnen.
Zwischen Kurzweil und Kopfarbeit
Stefan Altenburger (Video), Marie-Antoinette Chiarenza (Photographie) und Muda Mathis (Photographie und Musik) versuchen den universitären Alltag mit Farbe, Witz und Ironie zu brechen. Während Altenburger fiktive und reale Bilder spielerisch mischt und Chiarenza (zwischen-) menschliche Beziehungen und Befindlichkeiten misst, will Mathis einmal täglich geräuschvoll und multimedial durch das Treppenhaus spuken.
Sehr ästhetische Lösungen präsentieren Alexander Hahn und Beat Streuli mit Videoprojektionen respektive grossformatigen Photographien. Ana Axpe (Wandmalerei/Video) und Felix Stephan Huber schliesslich konzentrieren sich auf die Forschungsinhalte. Als einziger Wettbewerbsteilnehmer thematisiert Huber den sensiblen Punkt von Forschung und Öffentlichkeit.
Etliche Wettbewerbseingaben vermögen die Jury nicht in allen Teilen zu überzeugen. Einige erachtet sie als technisch nicht ausgereift, andere als inhaltlich zuwenig fundiert. Oder aber sie kritisiert den Umgang mit der Architektur beziehungsweise zweifelt an der Realisierbarkeit der künstlerischen Idee.
Das siebenköpfige Gremium empfiehlt schliesslich die Projekte von Käthe Walser und Thomas Hirschhorn zur Weiterbearbeitung. Sie zeichnet damit zwei Arbeiten aus, die als works in progress konzipiert sind. Beide, Walser und Hirschhorn, stellen zunächst Grundstrukturen bereit. Die «Treppengängerin» wie auch die Kunstkioske suchen zunächst einmal Kontakt zum Bau und den BenutzerInnen, erst mit der Zeit wandeln und entwickeln sie sich weiter.
Angekauft werden sollen die grossformatigen Photographien von Altenburger und Huber für den Bau 35 und von Beat Streuli für den Durchgang von Bau 15 zu Bau 34. Eine bewegliche Installation von Thomas Hirschhorn und zwei Videobänder von Ana Axpe sieht die Jury für die Bibliothek vor. Des weiteren kauft sie zwei Photoarbeiten von Huber und zwei Photoserien von Roman Signer für das Institutsgebäude (Bau 35).
Eva Keller ist Kunsthistorikerin und Vorsitzende der Jury.
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Pressestelle der Universität Zürich
Nicolas Jene (upd@zuv.unizh.ch)
Last update: 09.08.98