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Forscher aus Leidenschaft

Er hat eine turbulente Epoche wissenschaftlicher Forschung nicht nur miterlebt, sondern auch mitgeprägt: Charles Weissmann, Direktor des Instituts für Molekularbiologie der Universität Zürich, zeichnet verantwortlich für grundlegende molekularbiologische Arbeiten, die die genetische Forschung und auch die klinische Medizin entscheidend beeinflusst haben.

Charles Weissmann vor dem Bild seines Vaters Chil, porträtiert von Max Oppenheim.

Das Gros der Medizinstudenten ist in der Regel nicht unglücklich, wenn es nach bestandenem erstem Prope etwas auf Distanz zur Chemie gehen kann. Nicht so Charles Weissmann, der seinem 1956 an der Universität Zürich abgeschlossenen Medizinstudium gleich noch eines in Organischer Chemie folgen liess. «Mich interessierte vor allem die Biochemie, die es zu dieser Zeit als Studium nicht gab», schildert er seine damaligen Überlegungen. «Alle Biochemiker kamen von der Physiologie und somit von der Medizin her. Nach dem Medizinstudium stellte ich aber fest, dass ich viel zuwenig von Chemie verstand, um fruchtbar arbeiten zu können.» Obwohl ihm das Studium der Organischen Chemie bei Professor Karrer – Nobelpreisträger und «einer der grossen organischen Chemiker damals in Zürich» – sehr gut gefiel, schienen ihm die Zukunftsaussichten in der klassischen Organischen Chemie «nicht mehr hochinteressant».

Früher Einstieg in Molekularbiologie

Es war die Zeit, in der das Interesse der Wissenschaft an den Nukleinsäuren erwachte, in der Watson und Crick ihr DNA-Modell präsentierten – eine Forschungsrichtung, die auf Charles Weissmann eine enorme Faszination ausübte. Er vollzog 1961 als Dreissigjähriger den Einstieg in die Molekularbiologie an einer der damaligen Hochburgen dieser Disziplin: an der New York University School of Medicine bei Professor Severo Ochoa, einem weiteren Nobelpreisträger, der ihn bei einem Vortrag in Zürich begeistert hatte. In der Folge erlebte Weissmann die spektakuläre Entwicklung der Molekularbiologie aus nächster Nähe mit. «Es war eine äusserst aufregende Zeit mit der Entschlüsselung des genetischen Codes, der Einführung der rekombinanten DNA und einer ganzen Reihe weiterer Durchbrüche.» Charles Weissmann war damit dort angekommen, wo es ihn schon als Kind hingezogen hatte: in der (molekular)biologischen Forschung. «Mein Interesse wurde im Alter von elf oder zwölf Jahren durch das damals sehr berühmte Buch <Mikrobenjäger> von Paul de Kruif geweckt, das die Forschungsarbeiten grosser Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts wie Pasteur, Koch oder Ehrlich beschreibt. Das Buch hat in mir eine grosse Begeisterung für die Forschung geweckt, die mich fortan begleitete und mich davon abhielt, praktische Medizin auszuüben.»

Indem er die Forscherlaufbahn einschlug, trat Weissmann gewissermassen in die Fussstapfen seiner Jugendidole. Und er tat dies sehr erfolgreich, denn er hat die oben angesprochene Zeit spektakulärer Entwicklungen in der Molekularbiologie nicht nur miterlebt, sondern auch mitgeprägt.

Reverse Genetik als bedeutendste Leistung

Einer der Schwerpunkte seiner Tätigkeit bis 1978 war die Erforschung der Struktur und Vermehrung von RNA-haltigen Viren. Weissmann und seine Mitarbeiter trugen Wesentliches zur Aufklärung des Vervielfältigungsmechanismus' und der Struktur der RNA eines sogenannten Bakteriophagen bei. Der Bakteriophage diente Weissmann zu Beginn der 70er Jahre – ab 1967 als Direktor des Instituts für Molekularbiologie an der Universität Zürich – auch zur Einführung eines völlig neuen Verfahrens, das als reverse Genetik bezeichnet wurde. Dabei wird nicht von einem Strukturmerkmal ausgegangen und nach dem entsprechenden Gen geforscht, sondern der umgekehrte Weg beschritten. Mittels gezielter Mutagenese wird das Erbmaterial an einer bestimmten Stelle verändert und untersucht, wie sich dies auf den Organismus auswirkt. Aus den beobachteten Veränderungen kann dann auf die Funktion des Gens zurückgeschlossen werden. Reverse Genetik hat sich weltweit als unerlässliches Verfahren der experimentellen Genetik durchgesetzt, und Weissmann hält es für seine «bedeutendste Leistung». Zumindest wirtschaftlich hatte er indes einen noch grösseren Erfolg zu verzeichnen. 1979 gelang es ihm und seinen Mitarbeitern als ersten, ein menschliches Interferon-Gen zu isolieren und in Bakterien zur Expression zu bringen. Dieser Stoff, der zuvor beinahe unbezahlbar gewesen war, konnte nun in grossem Ausmass produziert werden und kommt zur klinischen Anwendung bei Hepatitis und gewissen Krebsarten wie Leukämien, Melanom oder Nierenkarzinom.

An der Front sein

Gegenwärtig arbeitet Weissmann, der für seine wissenschaftlichen Verdienste mit einer langen Reihe bedeutender Preise und Ehrungen ausgezeichnet wurde, vor allem an der Erforschung von Prionen. Es handelt sich dabei um infektiöse Proteine, die Krankheiten wie Scrapie, das Creutzfeldt-Jakob-Syndrom und den Rinderwahnsinn auslösen. «Auf diesem Gebiet», lässt er sich entlocken, «sind wir mit an der Front.» Und auch im Privatleben wollte Charles Weissmann in den letzten Jahren hoch hinaus: Seine Ferien verbrachte er mit Trekking im Himalaja und in den Anden.

Bruno Kesseli

E-Mail:
weissma@molbio1.unizh.ch

Auszeichnungen:
Robert-Koch-Medaille

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unipressedienst – Pressestelle der Universität Zürich
Felix Mäder (fmaeder@zuv.unizh.ch)
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Last update: 23.4.1997